# taz.de -- Erdbeben in Neapel: Und was, wenn die Lava kommt? | |
> Bei Neapel sorgt Magma unter der Erde für starke Erdbeben. Irgendwann | |
> wird der Vulkan ausbrechen. Wie reagieren auf die sich anbahnende | |
> Katastrophe? | |
Bild: Ins Wasser zu springen hilft bei einem Vulkanausbruch eher nicht | |
Der Schrecken stand den Menschen ins Gesicht geschrieben, die am | |
Montagabend im westlich von Neapel gelegenen Städtchen Pozzuoli auf die | |
Straßen strömten – aus ihren Häusern getrieben von einem [1][Erdstoß] der | |
Stärke 4,4 der Richterskala. „Unser Wohnhaus schaukelte heftig“, berichtete | |
eine Frau dem angerückten TV-Reporter. | |
Schon seit Monaten bebt vor den [2][Toren Neapels] immer wieder die Erde, | |
und diesmal waren die Erschütterungen sogar bis in die Großstadt hinein zu | |
spüren. Das wiederum hat mit einem vulkanischen Ereignis zu tun. Bei | |
„Vulkan“ und „Neapel“ denkt man zwar unmittelbar [3][an den Vesuv], der | |
majestätisch über der Stadt thront. | |
Bei den aktuellen Beben allerdings spielt der gar keine Rolle. Denn Neapel | |
hockt auf den Phlegräischen Feldern, einem zweiten Vulkan, den außerhalb | |
der Stadt die wenigsten kennen. Tief in der Erde köcheln dort Unmengen | |
Magma, und die von dort aufsteigenden Gase bescheren die sogenannte | |
„bradyseismische Bewegung“: Sie drücken die Erdoberfläche nach oben, | |
gegenwärtig mit einem Rhythmus von zwei Zentimetern pro Monat. Wenn die | |
Spannung der sich hebenden Erdoberfläche zu groß wird, bebt es. So kräftig | |
wie am letzten Montag allerdings wurde die Erde in Pozzuoli seit 40 Jahren | |
nicht mehr erschüttert. | |
## Der Staat bereitet sich vor | |
Wenigstens eines muss der italienische Staat sich nicht vorwerfen lassen: | |
dass er die Situation nicht konstant unter Beobachtung hielte. Das INGV, | |
das Nationale Institut für Geophysik und Vulkanologie, vermisst alles, was | |
es auf den Phlegräischen Feldern zu vermessen gibt: die Bodenbewegungen, | |
die aufsteigenden Gase, die Magmaströme im Untergrund. | |
Es ist eigentlich ganz so wie beim Klimawandel. Was geschieht, ist bestens | |
bekannt, und wohlbekannt sind auch die Folgen. Dass zum Beispiel just an | |
dem Tag, an dem in Pozzuoli die Erde bebte, in diversen Regionen | |
Norditaliens wieder einmal zahlreiche Flüsse nach heftigen Regengüssen über | |
die Ufer traten und ganze Ortschaften überschwemmten, überraschte | |
niemanden: Es ist halt der Klimawandel. | |
„Unvorhersehbar“ sind diese Naturkatastrophen keineswegs. Die Szenarien | |
sind wissenschaftlich akkurat durchdekliniert, ob bei den Beben in Pozzuoli | |
oder den Extremwetterereignissen in Norditalien. Nicht ganz so klar ist | |
allerdings, wie die Menschheit die Spannung zwischen der „Normalität“, dem | |
Alltag ohne Regen oder Beben einerseits, dem „anormalen Ereignis“, wenn das | |
Malheur dann eintritt, andererseits austariert. | |
## Immer so weiter wie bisher | |
Selbst bei Warnungen vor heranziehenden schweren Unwettern lassen sich | |
viele nicht davon abhalten, erst mal ihren Alltag weiterzuleben, mit dem | |
Auto durch die Gegend zu gurken, wie immer ganz gewöhnliche Dinge zu | |
erledigen, bis der Schlamassel über sie hereinbricht. Und auch die | |
Tatsache, dass der Zusammenhang zwischen sich häufenden Extremwetterlagen | |
und dem Klimawandel auf der Hand liegt, ändert nichts daran, dass vielen | |
eine entschlossene Klimapolitik vor allem eines ist: ein Ärgernis. | |
Wenigstens diesen Vorwurf müssen die Menschen in Pozzuoli sich nicht machen | |
lassen: Die ihnen drohenden Beben sind nicht menschengemacht; dass das | |
Magma im Erdinneren ausgerechnet unter ihnen brodelt, ist unabwendbar. | |
Gegenwärtig ist „nur“ mit Erdbeben zu rechnen, doch in Zukunft ist auch ein | |
veritabler Vulkanausbruch nicht ausgeschlossen. Da bleibt nur die | |
gründliche Vorbereitung auf eintretende Notfälle, die Planung der schnellen | |
Evakuierung der Bevölkerung. Das sind im Zweifelsfall nicht wenige. Allein | |
Pozzuoli zählt 76.000 Einwohner*innen, in der gesamten Gefahrenzone, den | |
weiteren umliegenden Gemeinden sowie den westliche Stadtteilen Neapels, | |
leben gut 600.000 Menschen. | |
Schon nach dem Beben vom vergangenen Montag bildeten sich schnell große | |
Verkehrsstaus. „Panik“ sei denn auch das größte Risiko, kommentierte | |
hinterher ein Experte, mit dem Rat, den Behörden doch bitteschön zu | |
vertrauen. Die wissen genau, dass sie die gesamte Zone bei heraufziehender | |
Gefahr binnen 72 Stunden evakuieren können, und sie haben auch schon die | |
Pläne zur Verteilung der Menschen auf die diversen italienischen Regionen, | |
von der Lombardei im Norden runter nach Sizilien. Doch auch ihre Pläne | |
beantworten nicht die Frage, was denn passiert, wenn die Anomalie plötzlich | |
in den normalen Alltag einbricht, mit Zehntausenden Menschen in Panik, bei | |
denen die Nerven blank liegen. | |
24 May 2024 | |
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## AUTOREN | |
Michael Braun | |
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