# taz.de -- Friedrich Merz auf dem CDU-Parteitag: Der kalte Fritz | |
> In seiner Rede auf dem CDU-Parteitag versucht sich Friedrich Merz | |
> staatsmännisch zu geben. Er wird mit 90 Prozent Zustimmung als Parteichef | |
> bestätigt. | |
Bild: Applaus von von rechts und links: Friedrich Merz (M.) mit den Generalsekr… | |
BERLIN taz | Die 1.001 Delegierten wünschen sich nichts dringender, als | |
endlich aus vollem Herzen zu applaudieren. Doch Friedrich Merz macht es | |
ihnen auf dem CDU-Parteitag nicht leicht. Dabei geht es dem Vorsitzenden am | |
Montag um seine Wiederwahl als Parteivorsitzender, und dafür erhofft er | |
sich den größtmöglichen Rückhalt. Am Ende ist klar: Es ist seine | |
zurückhaltende Rede, die seinen Zustimmungswerten am Ende des Tages | |
zugutekommt. Mit rund 90 Prozent wird Merz als CDU-Vorsitzender in seinem | |
Amt bestätigt. | |
Für die CDU geht es bei ihrer Zusammenkunft in Berlin ums Eingemachte. Vor | |
zweieinhalb Jahren trat die Partei nach dem herben Verlust der | |
Bundestagswahlen den ungewohnten und als schmachvoll empfundenen Weg in die | |
Opposition an. Seitdem ist viel passiert: [1][Mit großem Arbeitseifer hat | |
die Partei ein neues Grundsatzprogramm erarbeitet], Landtagswahlen | |
gewonnen, einen Generalsekretär geschasst, mit der AfD geflirtet und sich | |
hinterher von ihr distanziert. | |
Hinter alldem stand der Wunsch von Merz, die Partei konservativer zu | |
verorten und das Erbe von Angela Merkel zu überschreiben. Doch es ist wie | |
verflixt: In Umfragen ist die Union zwar inzwischen stärkste Kraft, doch | |
scheint sie bei etwa 30 Prozent festgenagelt zu sein. Zu wenig für einige, | |
die darauf hoffen, dass die Unbeliebtheit der Ampelregierung mehr auf das | |
Konto der Konservativen einzahlen müsste. | |
Merz und [2][Carsten Linnemann, der mit gut 91 Prozent als | |
CDU-Generalseketär vom Parteitag gewählt wurde,] sehen sich am Ende eines | |
parteiinternen Erneuerungsprozesses. „Es war eine richtig gute und | |
spannende Zeit für unsere Partei“, sagt Merz über die Arbeit am | |
Grundsatzprogramm, das der Parteitag am Dienstag beschließen soll. Darin | |
stehen auch Vorhaben wie weniger Asylverfahren in Deutschland, was 700 | |
Theolog*innen am Montag in einem offenen Brief als „unchristlich“ | |
kritisierten. | |
## Leichter Applaus für Merz | |
Merz geht auf diesen Punkt in seiner fast anderthalbstündigen Rede nur | |
flüchtig ein. „Wir brauchen Einwanderung, das wird niemand bestreiten“, | |
sagt der Parteivorsitzende unter verhaltenem Applaus in den Saal. Doch die | |
„irreguläre Einwanderung“ überlaste die Integrationsfähigkeit an Schulen | |
und im Wohnungsmarkt. | |
Aber Merz redet dann nicht von Plänen zum Wohnungsbau oder mehr Geld für | |
die Kinderbetreuung. Tosenden Applaus bekommt er bei Ausführungen gegen die | |
AfD, wo er das erste Mal in seiner Rede auch wirklich laut wird: „Gegen | |
diese Kraft der Zersetzung werden wir uns zur Wehr setzen.“ Es sei nicht | |
erst seit zwei Jahren bekannt, dass die AfD von Russland unterstützt werde, | |
ruft Merz. „Wir sagen allen denjenigen den Kampf an, die unsere Werte und | |
unsere Europäische Union von innen zerstören wollen.“ | |
Schon die kleinsten rhetorischen Spitzen bescheren ihm Applaus, die | |
Delegierten scheinen geradezu darauf zu warten. Doch mit Bemerkungen gegen | |
die Bundesregierung spart Merz mehr als sonst. Großen Jubel im Saal gibt | |
es, als Merz sagt, die Ampel befinde sich sogar entgegen ihren eigenen | |
Ansprüchen klimapolitisch auf Abwegen. „Deutschland ist der klimapolitische | |
Geisterfahrer, und wir werden diese Geisterfahrt spätestens im nächsten | |
Jahr beenden.“ | |
Merz wiederholt auch eine andere inhaltliche Forderung der Union, mit der | |
die Partei die Politik der Ampel rückgängig machen will. „Wir wollen das | |
sogenannte Bürgergeld der Ampel in dieser Form wieder abschaffen.“ | |
[3][Dennis Radtke findet die Wortwahl an dieser Stelle „nicht dramatisch“,] | |
wie der Europaabgeordnete der taz im Anschluss an die Rede von Merz sagt. | |
Radtke ist Vertreter des Arbeitnehmerflügels der CDU. Er sagt, Merz habe | |
eine „sehr mittige und sehr staatstragende“ Rede gehalten. Und hält er dem | |
CDU-Vorsitzenden zugute, dass er sich für die Europapolitik der Union | |
ausgesprochen habe und Spitzenkandidatin Ursula von der Leyen den Rücken | |
gestärkt habe. | |
Ähnlich sieht es die Delegierte Fee Roth, die wie Radtke aus Bochum stammt | |
und das erste Mal als Delegierte auf einem CDU-Bundesparteitag vor Ort ist. | |
Die 28-Jährige sieht sich als „liberal-progressiv“ und sagt, sie sei damals | |
wegen Angela Merkel in die CDU eingetreten. „Merz war in seiner Rede sehr | |
bemüht, die politische Mitte einzufangen“, findet sie. Das sei das | |
„Erfolgsrezept“ für die Partei. | |
## Merz' kurze Zündschnur | |
Die Stimmung auf den Fluren des Parteitags ist gelöst. Die CDU ist in einem | |
riesigen Hotel im Südosten des Berliner Stadtteils Neukölln | |
zusammengekommen; ausgerechnet an der Sonnenallee, wo nach | |
Feuerwehreinsätzen zu Neujahr 2023 der gesamte CDU-Vorstand gegen die | |
„Silvester-Randalierer“ Stimmung machte. Die Mitarbeiter der | |
CDU-Parteizentrale haben sich alle Mühe gegeben, dieses Neukölln anders | |
anzustreichen. Der Saal im Estrel-Hotel ist im neuen Türkis der CDU | |
angestrahlt, in riesigen Kuben prangen die Slogans der Partei, die sich | |
wieder wünscht, „in Verantwortung zu führen“. | |
Merz kennt das Hotel inzwischen recht gut. Hier hat er vor zweieinhalb | |
Jahren angekündigt, ein drittes Mal für den Parteivorsitz zu kandidieren. | |
Damals hatte er als möglichen Generalsekretär Mario Czaja im Schlepptau, | |
Ostdeutscher und Mitglied im Sozialflügel der Partei. Merz gab damals Sätze | |
von sich, die so klangen: „Die CDU muss modern werden“, er sprach sprach | |
auch viel von sozialer Gerechtigkeit. Viel geblieben ist davon nicht. | |
Gemeinsam mit seinem neuen Generalsekretär Linnemann will er die Partei | |
weiter rechts verorten: Im Grundsatzprogramm finden sich neben den | |
Ausführungen zu den Asylverfahren auch das Bekenntnis zur Leitkultur, eine | |
Distanzierung vom Islam und auch die Möglichkeit, zur Atomkraft | |
zurückzukehren. | |
In der Vergangenheit war Merz oft mit populistischen Äußerungen | |
aufgefallen. Arabische Jungs diffamierte er als „kleine Paschas“, | |
ukrainische Flüchtlinge als „Sozialtouristen“. Geflüchteten unterstellte | |
er, den Deutschen die Zahnarzttermine wegzunehmen. Die Grünen erklärte er | |
zum Hauptgegner, obwohl die CDU in den Ländern erfolgreich mit der Partei | |
zusammenarbeitet und möglicherweise nach der Bundestagswahl auch auf sie | |
als Koalitionspartner angewiesen ist. Er erklärte die CDU zur „Alternative | |
für Deutschland mit Substanz“, und erweckte im ZDF-Sommerinterview den | |
Eindruck, dass eine Zusammenarbeit mit der AfD im Kommunalen in Ordnung | |
sei. | |
Mit alldem bestätigte er immer wieder das Bild, dass er ein Mann mit großem | |
Ego und kurzer Zündschnur sei. Wie kurz diese ist, hat der [4][Spiegel am | |
Wochenende noch einmal genüsslich in einer Titelgeschichte ausgeführt.] | |
Darin beschreibt das Magazin, wie Merz tobte und sogar drohte, alles | |
hinzuschmeißen, nachdem NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst kurz vor einem | |
kleinen Parteitag [5][in der FAZ einen Debattenbeitrag mit dem Titel „Das | |
Herz der CDU schlägt in der Mitte“ veröffentlicht hatte.] Was Merz – nicht | |
zu Unrecht – als Angriff verstand. | |
Kurz darauf tauschte Merz seinen glücklosen Generalsekretär Czaja aus. | |
Nachfolger Linnemann bezeichnete diese Zeit, als die Geschichte in der | |
Berliner Blase bereits die Runde machte, als „Knackpunkt“. In den | |
vergangenen Monaten ist Merz ruhiger geworden, zuletzt unterlief ihm kaum | |
noch ein Fehler. Die Frage ist nur: Kann Merz das durchhalten? Wenn der | |
Druck im Wahlkampf hoch ist? | |
Denn für Merz, so viel ist klar, geht es an diesem Montagmittag nicht nur | |
um die erste Wiederwahl als Bundesvorsitzender der CDU. Es geht auch um | |
die Frage: Kann der Mann Kanzler? Im Moment läuft es auf ihn hinaus. Aber | |
da lauern eben weiter die beiden Kontrahenten: der wendige CSU-Chef Markus | |
Söder, dem viele in der CDU zutrauen, zuzuschlagen, wenn sich die | |
Gelegenheit noch ergibt. Und Hendrik Wüst. Der betont am Montag noch | |
einmal, wie wichtig die Mitte für die CDU sei. Wüst sagt aber auch: „Lasst | |
uns gemeinsam Friedrich Merz den Rücken stärken.“ Wenn das nicht mal ein | |
Anfang ist. | |
6 May 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Politikwissenschaftlerin-ueber-CDU/!6005867 | |
[2] /Neues-CDU-Grundsatzprogramm/!6005864 | |
[3] /Dennis-Radtke-ueber-Fluegelstreit-in-der-CDU/!5819064 | |
[4] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/cdu-chef-friedrich-merz-die-daem… | |
[5] https://www.faz.net/aktuell/politik/gastbeitrag-hendrik-wuest-das-herz-schl… | |
## AUTOREN | |
Cem-Odos Güler | |
Sabine am Orde | |
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