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# taz.de -- Postkoloniales Theater in Dortmund: Zeitschleifen des Patriarchats
> Am Theater Dortmund ist Sharon Dodua Otoos Roman „Adas Raum“ zu sehen.
> Das Stück ist der flirrende Spuk einer Gewalt- und
> Unterdrückungsgeschichte.
Bild: Husch, husch – in Richtung antipatriarchalen Weltgeist
In den letzten Jahren hat sich in der Theaterlandschaft der Trend
herausgebildet, [1][erfolgreiche Romane auf der Bühne zu adaptieren].
Längst sind es nicht nur Titel aus dem Literaturkanon, die als Stoff für
Inszenierungen herhalten. Konjunktur hat in den Schauspielhäusern ebenso
die zeitgenössische Prosa. Regisseurin Miriam Ibrahim bewies bereits 2021
mit ihrer Inszenierung von Olivia Wenzels „1000 Serpentinen Angst“ im
Staatstheater Hannover, dass sie den Transfer von belletristischen Vorlagen
auf die Bühne beherrscht.
Nun wagte sich Ibrahim an den Roman [2][„Adas Raum“ von Sharon Dodua Otoo],
in dem die Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin die Geschichte von vier
gleichnamigen Frauen erzählt, die in ihren jeweiligen Epochen mit den
patriarchalen bis kolonialen Gewalt- und Unterdrückungsstrukturen
konfrontiert sind. Ihr Sujet reiht sich damit in die Auseinandersetzung mit
den intersektionalen Mechanismen, aber auch den Diversitätsdiskursen einer
Schwarzen Identität ein, die Julia Wissert, seit der Spielzeit 2020/21
Intendantin im Theater Dortmund, im Osten des Ruhrgebiets etabliert hat.
Auch Otoo verwebt in ihrem vielbeachteten Roman postkoloniale Themen mit
Erinnerungs-, Rassismus- sowie Genderdiskursen anhand der vier
Frauenfiguren. Ada ist eine Ghanaerin, die Ende des 15. Jahrhunderts die
Ankunft der Portugiesen erlebt und um ihr verstorbenes Baby trauert.
Nach einem Zeitsprung ins Jahr 1848 stoßen wir auf eine Ada, die als
Mathematikerin eine Art Informatikpionierin ist, aber sich mit Mansplaining
und anderen Formen männlicher Hegemonie herumplagt. 1945 verdingt sich Ada
als Zwangsprostituierte im Lagerbordell des KZ Buchenwald/Mittelbau Dora,
bevor wir sie noch mal 2019 als alleinerziehende Mutter ohne deutsche
Staatsangehörigkeit kennenlernen, die sich in Berlin mit ihrem Reisepass
vergeblich auf Wohnungssuche begibt.
## Subalternes Stimmengeflecht
Das sind in nuce die Konturen von Otoos Roman, der kaum eine stringente
Handlung, kaum konkrete Figuren liefert. Vielmehr ist es ein wesenhaftes
Stimmengeflecht das Otoo eröffnet, ein Weltgeist patriarchaler Geschichte,
dessen Zeitschleifen sie abklopft. Wer dieses literarische Geflecht einer
kollektiven Erinnerung also auf die Bühne bringt, kann über viele
dramaturgische Herausforderungen stolpern.
Miriam Ibrahim und Dramaturg Jasco Viefhues entschieden sich dafür, diese
Polyphonie der Ada-Stimmen von gleich sechs Schauspielerinnen verkörpern zu
lassen. Sie formieren sich auf der Rampe zu einer Gruppe, tänzeln sich
wieder auseinander oder proklamieren den Text ähnlich wie in einem
Sprechchor – so, als erzähle hier ein weibliches und subalternes
Kollektivsubjekt.
Alle tragen Blusen und Hosen im gleichen, spröden Türkis, über die zunächst
ebenso konforme, übergroße Mäntel mit Kapuzenoberteilen hängen (Kostüme:
Gianna-Sophia Weise), derer sich die Darstellerinnen regelmäßig entledigen.
Mal werfen sie die Mäntel auf den Boden, mal stapeln sich diese Kleider wie
Ballast auf den Schultern, irgendwann wiegt das Kleidungsstück gleich einem
Pietamotiv in den Armen.
## Allegorische Felsenlandschaften
Dieser Kniff evoziert einen symbolistischen Verweis: als Dialektik von
abstrakten Hüllen und patriarchalen Rollenzuweisungen, in denen sich die
konkreten Körper verheddern, in denen sie gefangen zu sein scheinen und
sich abstrampeln.
Ähnlich symbolisch wie karg erscheint dagegen das Ensemble aus Felsen, das
Bühnenbildnerin Nicole Marianna Wytyczak konzipierte. Wer will, kann darin
eine Allegorie der steinernen Verhältnisse des Patriarchats lesen; oder die
Gesteinsbrocken, mit der es diese Archäologie einer Unterdrückungs- und
Gewaltgeschichte zu tun hat.
Die Lichtprojektionen, die Markus Fuchs auf die Felsenlandschaft
projizieren lässt, sorgen indes für die Atmosphäre einer Séance, einer
Geisterbeschwörung, in der sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
kreuzen. Nicht umsonst ist es Jacques Derridas Begriff der
[3][Hantologie], der im Programmheft lanciert wird. Der französische
Philosoph lehnte sich mit seinem Neologismus an die Ontologie an, die Lehre
des Seins, die ihm deshalb brüchig erscheint und heimgesucht wird, weil
die Unterdrückung der Vergangenheit in der Jetztzeit spukt.
Zumindest diese Momente der Inszenierung sind ein gelungenes Destillat
dieser Romanvorlage. Denn seltsam zurückhaltend wirkt bei alldem die
Darbietung der Darstellerinnen, die texttreu die Vorlage monologisieren
müssen. So geht es an diesem Abend darum, die Ohren zu spitzen und dem
Vorgetragenen zu lauschen. Das wirft zugleich Fragen über den Ertrag und
den Mehrwert solcher Romanadaptionen im Theater auf.
2 May 2024
## LINKS
[1] /Theaterfassung-Rueckkehr-nach-Reims/!5447872
[2] /Debuetroman-von-Sharon-Dodua-Otoo/!5750328
[3] /Grundlagenwerk-zur-Poptheorie/!5044540
## AUTOREN
Benjamin Trilling
## TAGS
Theater
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Kunst
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Schaubühne Berlin
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