# taz.de -- Palästina-Proteste von Studis: From the Job to the Sofa | |
> Sind Studierende dazu berufen, gegen das Unrecht in der Welt ihre Stimme | |
> zu erheben? Mag sein. Die meisten Menschen kommen aber auch gut allein | |
> klar. | |
Bild: Pro-Palästina-Proteste an der FU Berlin am 7. Mai 2024 | |
Die in Berlin lehrende Sozialwissenschaftlerin Naika Foroutan, die | |
taz-Community hat sie noch in freundlicher Erinnerung, als sie jüngst auf | |
dem [1][taz lab zu Gast] war, ist Mitinitiatorin einer Unterschriftenliste, | |
die die – auch in ihren – akademischen Kontexten aufwühlenden | |
propalästinensischen Proteste nicht diskreditiert sehen will, schon gar | |
nicht kriminalisiert. Hier geht es nicht im Detail um die Bewertung dieses | |
universitären Engagements, eben auch seitens Lehrender. Sondern um einen | |
Satz, der landläufig verstanden wird, also als unhinterfragbar weggelesen | |
wird, aber dennoch fragwürdig ist. | |
Foroutan schreibt in einem [2][ihre Haltung erläuternden Text im | |
Tagesspiegel]: „Dass Studierende auf Unrecht aufmerksam machen, hat | |
Tradition. Wer, wenn nicht sie – wo, wenn nicht an Universitäten?“ Mit | |
Unrecht ist Israels Krieg gegen die Terrororganisation Hamas gemeint – und | |
der Hinweis auf traditionell Übliches ist auf die Bewegung der | |
Achtundsechziger gemünzt. | |
Der entscheidende Befund lautet also: Die Studierenden seien qua Status als | |
angehende Akademikerinnen*, durchaus geschichtsbewusst, gehalten, in den | |
Protest zu gehen. Dabei spricht nichts dafür, dass an Universitäten | |
besonders emanzipatorische und freiheitliche Potenziale stimuliert oder gar | |
besonders geboten werden: Die nationalsozialistische Bewegung in | |
Deutschland, die völkischen oder nationalistischen Moves sind historisch | |
gesehen innerhalb akademischer Kontexte, Giftküchen gleich, hervorgebracht | |
worden – und davon abgesehen hat auch das, was wir als Achtundsechzig | |
verstehen, gerade diskursiv viel Quatsch hervorgebracht. | |
Was die Sozialwissenschaftlerin aber sagen möchte: Hören wir einander zu, | |
auch in den Seminaren. Außen vor bleibt bei ihrer Analyse, dass nicht nur | |
von rechts Gefahren für Juden und Jüdinnen drohen, vielmehr von dem, was | |
sich als links in postkolonialer Hinsicht begreift. Und ausgespart bleibt | |
nicht minder, dass von den Protestcamps gerade für israelgewogene | |
Studierende ein erhebliches Risiko ausgeht: Die Drohkulissen reichen aus, | |
dass etwa Juden und Jüdinnen ihre Halsketten mit dem Davidstern zu Hause | |
lassen. | |
## Ohnehin privilegierte Schicht | |
Das gewichtigste Missverständnis ist aber klassistisch zu verstehen: Warum | |
fühlen sich abiturielle Menschen besonders berufen zu protestieren? Warum | |
glaubt diese ohnehin privilegierte Schicht, qua Academia auf dem Weg in die | |
gesellschaftliche und staatliche Elite, dass sie die Topchecker des Lebens | |
sind? Warum kommt auch einer demokratisch orientierten Sprecherin wie Naika | |
Foroutan nicht in den Sinn, dass in nichtakademischen Bereichen, etwa in | |
Industrie- und Handwerksbetrieben, im schlecht bezahlten Dienstleistungs- | |
und Care-Bereich nicht weniger, sondern ebenso viel Kraft zur | |
volksintellektuellen Arbeit steckt? Dass also (formale) Bildung nicht | |
moralischer macht, sondern womöglich oft auch herzensdümmer und politisch | |
dünnsinnig? | |
Der Fehler, wenn man so will, der Bewegung Fridays for Future war, | |
einschließlich der [3][inzwischen zwielichtig agierenden Greta Thunberg], | |
die Klimastreiks buchstäblich exklusiv aus Gymnasien rekrutiert zu haben, | |
nicht jedoch aus Berufsschulen – sie signalisierten: Ihr seid zu blöd, um | |
unser hehres Anliegen zu begreifen. Dabei lernen Jugendliche exakt dort, | |
die Welt nicht nur dramatisch zu interpretieren, sondern auch | |
fachmenschlich mit Wärmepumpen umgehen zu können. | |
Und wahr ist ja, dass die propalästinensischen Protestcamps weltweit | |
exklusiv in geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern beheimatet sind. | |
In naturwissenschaftlichen, mathematischen und ökonomischen Disziplinen ist | |
politische Performance nicht untersagt – aber dort laufen mehr Studierende, | |
die oft sehr klare Karriere- und Lebenswünsche haben: nach „Normalität“, | |
nach Kooperation. | |
Aus dem gleichen Grund – ankommen, durchsetzen und aufsteigen in der (oft | |
noch fremden) Gesellschaft – wird an Berufsschulen nicht protestiert, wenig | |
in der gewöhnlichen arabischen Bevölkerung in Deutschland, gar nicht so | |
viel auch bei den jungen Menschen, die etwa in Neukölln aufwachsen: lernen, | |
lernen, lernen – und keine Zeit für Aufstände, die zu nichts führen. | |
Wer dort hingegen umherzieht, sind sogenannte antiimperalistische Gruppen | |
ohne Kontakt zur, nun ja, Zivilbevölkerung, linke Kader, die glauben, im | |
Aufstandsland zu sein. Ein Missverständnis ums Ganze, wie der Zwist um die | |
[4][Hamburger Rote Flora] nahelegt: Pro-Pali-Kräfte wollen dort das Ruder | |
übernehmen – und verkennen, dass die Rotfloristen im | |
alternativ-bürgerlichen Schanzenviertel inzwischen sehr populär sind: Die | |
tun was fürs Viertel – die anderen wollen nur Radau! | |
Last but noch least: Der Aufschrei nach dem Versuch des Berliner | |
Kultursenators Joe Chialo, weil der von Kulturiniativen eine gängige, | |
jedenfalls nicht [5][antiisraelische Antisemitismusformel] signiert haben | |
wollte, hatte schlicht existenzielle Gründe. Die da rebellierten – wie | |
lächerlich war das denn, mit Kunstboykott zu drohen! –, sind fast durchweg | |
Fördermittelempfänger. Sie fürchten um ihre Apanagen. | |
Die Mehrheit aller Migrantinnen* in Deutschland hat mit alldem nichts zu | |
tun. Sie wollen das, was sie bei ihrer Flucht oder, neutraler gesagt, | |
Ankunft in Deutschland ersehnten: ein ruhiges Leben ohne Politzwänge und | |
Bekenntnisorgeleien, ein Leben in Respekt und mit Arbeit, die Kinder | |
versorgen, abends ein bisschen gemütlich, gern beim Fernsehen oder mit dem | |
Computer auf dem Sofa, Katzenbilder angucken, so in etwa. Was wir an den | |
Universitäten mit ihren Protestcamps sehen, ist das intellektuell und | |
lebensweltlich insuffiziente Gebölk um alles, nur nicht um die konkrete | |
Verbesserung palästinensischer Lebenslagen. Leider! | |
17 May 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Das-war-das-taz-lab-2024/!6007157 | |
[2] https://www.tagesspiegel.de/wissen/pro-palastina-proteste-in-berlin-wer-wen… | |
[3] /Eurovision-Song-Contest/!6009709 | |
[4] /Nahost-Konflikt-in-der-linken-Szene/!6007672 | |
[5] /Kulturfoerderung-und-Antisemitismus/!5999871 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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