# taz.de -- Musikalisches Duell auf Fußball-Basis: So klingt Aufstieg | |
> Der Experimentalmusiker Matthew Herbert vertonte das Aufstiegs-Spiel des | |
> FC St. Pauli als Duell gegen das Ensemble Resonanz. Gewonnen haben beide. | |
Bild: Trommeln für den Sturm, lang gezogene Töne für weite Bälle: der Aufst… | |
Mit dem Abpfiff im Millerntor-Stadion war am Sonntagnachmittag der FC St. | |
Pauli in die Erste Fußball-Bundesliga aufgestiegen und die | |
Musiker:innen in der Hamburger Laeizshalle hatten Feierabend. Alles | |
war glattgegangen. Bei der Probe am Freitag hatte Matthew Herbert noch ein | |
mulmiges Gefühl geplagt. Hatte er mit „The Game“ zu hoch gepokert? | |
Für dieses Projekt hatte der Musiker, Komponist und Produzent, bekannt für | |
seine [1][Experimente mit einem Pferdeskelett] oder gesampelten | |
Schweinegeräuschen, einen ambitionierten Plan gefasst: Er wollte das | |
Zweitliga Spiel des FC St. Pauli gegen den VfL Osnabrück mit dem | |
Kammerorchester Ensemble Resonanz in der Hamburger Laeiszhalle live | |
austragen. Als musikalisches Duell. Und es gelang. Der Weg dahin war aber | |
weit und dass die Musiker:innen ausgerechnet das Spiel vertonten, das | |
mit dem [2][Aufstieg der Hamburger in die Erste Liga endete], war nicht | |
geplant. | |
Als Verstärkung hatte er ein paar Musiker aus London mitgebracht. Die | |
Briten traten in der Rolle der Underdogs an – als VfL Osnabrück. Eine Wahl | |
hatten sie nicht: Schon aus Lokalpatriotismus wollte das Ensemble Resonanz, | |
das mit einigen Gäst:innen an den Start ging, unbedingt den FC St. Pauli | |
unterstützen. Schließlich ist die Bühne des Ensembles, der Resonanzraum, im | |
[3][Hochbunker an der Feldstraße], also vis-à-vis zum Millerntor-Stadion, | |
wo der FC St. Pauli seine Heimspiele wie das gegen Osnabrück austrägt. | |
„Davor fürchte ich mich ein bisschen“, sagt Herbert am Freitag vor einer | |
der Proben. „Wir haben uns ja bisher noch nicht so richtig als Gruppe | |
eingrooven können.“ | |
## Fußball ist schneller als Musik | |
Der Londoner fragte sich, ob es wirklich allen Beteiligten gelingen wird, | |
den passenden (Spiel-)Rhythmus zu finden. Einfach, weil ein Fußballmatch | |
unheimlich schnell ist. Schneller als eine traditionelle Komposition. | |
„Meistens können die Instrumentalist:innen nur 20 oder 30 Sekunden am | |
Stück agieren“, sagt Herbert. „Sie müssen immer wieder neu einsetzen und | |
improvisieren.“ | |
Um dieses Prozedere ein wenig zu erleichtern, hatte Herbert rund 20 | |
Klangbilder erschaffen – teils für Standardsituationen wie Einwurf, teils | |
für verschiedene Spielsequenzen. Die Basis dafür lieferten ihm Tonaufnahmen | |
aus vorhergehenden Spielen des FC St. Pauli. Bei einem hat er selbst im | |
Millerntor-Stadion gesessen. Als Zuschauer. Allerdings sei das schon | |
mindestens sechs Jahre her, schätzt er. | |
„The Game“ hatte er noch länger in der Mache. 2012 schlug ihm die Hamburger | |
Kulturbehörde vor, in das Thema Fußball einzutauchen. Er wusste sofort, | |
dass der FC St. Pauli perfekt zu seinen Plänen passen würde. Die | |
Vereinsphilosophie, das soziale Engagement – damit konnte er sich | |
identifizieren: „Ich wollte kein Team, das Millionen hat“, sagt er. | |
Allein mit seiner Zielstrebigkeit kam Herbert, der gleichermaßen Anhänger | |
des FC St. Pauli und des Londoner Fußballklubs Arsenal ist, trotzdem nicht | |
weiter. Das Fußballprojekt wurde immer wieder verschoben. Die | |
Fußball-Europameisterschaft, die am 14. Juni in Deutschland startet, hat | |
das Projekt letztlich gerettet, weil rund um die EM [4][ein Kulturprogramm | |
von der Stiftung „Fußball & Kultur Euro 2024“ aufgesetzt worden ist]. In | |
Hamburg setzte sich, auch dank der Initiative des Reeperbahn-Festivals und | |
des FC St. Pauli, Herberts Idee von der Vertonung eines Fußballspiels unter | |
dem Namen „The Game“ durch. Damit stand die Finanzierung. | |
Am liebsten wäre Herbert eine Gratis-Open-Air-Veranstaltung nahe des | |
Millerntor-Stadions gewesen. Im Hintergrund: das zu vertonende Spiel in | |
Echtzeit auf einer riesigen Leinwand. Das hätte aber das Budget gesprengt. | |
Also wurde ein Kompromiss gefunden: die Hamburger Laeiszhalle. | |
Dort traten die Band von Herbert und das Ensemble Resonanz am Sonntag | |
musikalisch gegeneinander an, zur Live-Übertragung des Spiels samt der | |
Fangesänge, denn die spielten eine nicht unwesentliche Rolle. „Wir hören | |
ihnen zu und geben ihnen Raum“, sagt Herbert zu Beginn der Probe am Freitag | |
zu den Musiker:innen. | |
Bei der Probe flimmerte das Zweitliga-Spiel SC Paderborn gegen HSV auf den | |
Bildschirmen. Als die Paderborner das einzige Tor der Partie schossen – und | |
damit alle Aufstiegschancen des HSV beendeten –, machten alle | |
Musiker:innen mit ihren Ratschen einen Riesenradau. Danach ging es | |
weiter. | |
Dirigentin Friederike Scheunchen leitet das Ensemble Resonanz an – bei der | |
Probe alias HSV. Mal hält sie vier Finger in die Höhe, mal mehr oder | |
weniger. Auf diese Weise symbolisiert sie den Musiker:innen, in welchem der | |
rund 20 Soundmodulen Herberts sie sich bewegen sollen. | |
Auf der Gegenseite geht es freigeistiger zu. Herbert ist mit seinen Loops | |
beschäftigt und lässt seine Musiker:innen herumprobieren. Ins Zentrum | |
rückt zuweilen der Jazzer Byron Wallen. Er und der Trompeterkollege, der | |
das Ensemble Resonanz verstärkt, geben die Stürmer. Sie übernehmen | |
Freistöße oder Eckbälle. | |
So tasten sich die Musiker:innen im Laufe des Spiels aneinander heran, | |
Schritt für Schritt. „Ich bin froh, dass ihr dieses Risiko mit mir | |
eingeht“, bedankt sich Herbert am Ende der Probe. „Es ist fast so, als | |
würde man eine Oper schreiben, ohne die Geschichte zu kennen. Tatsächlich | |
verändert sich die Storyline alle zehn Sekunden.“ | |
13 May 2024 | |
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## AUTOREN | |
Dagmar Leischow | |
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