# taz.de -- Campact-Chef Christoph Bautz: „Festivalcharakter verleihen“ | |
> Das Kampagnennetzwerk Campact will den Protesten gegen rechts neuen | |
> Schwung verleihen. Geschäftsführer Christoph Bautz darüber, wie das | |
> gelingen soll. | |
Bild: Protest gegen den Landesparteitag der AfD in Niedersachsen am 20.04.2024 | |
taz: Herr Bautz, was hilft gegen rechts? | |
Christoph Bautz: Auf die Straße zu gehen hilft, das haben wir Anfang des | |
Jahres sehr deutlich gesehen. Hunderttausende haben nach [1][der | |
Correctiv-Recherche] klargemacht, dass sie nicht wollen, dass die AfD immer | |
mächtiger wird. Sie wollen unsere Demokratie verteidigen – und das hat sich | |
gelohnt. Die AfD ist in den Umfragen ganz schön eingebrochen. | |
Mittlerweile sind die Demos gegen die AfD von der Bildfläche verschwunden. | |
Was ist aus ihnen geworden? | |
Das war [2][eine riesige Protestwelle], die von unten entstanden ist und | |
sich in der Fläche ausgebreitet hat, ein richtiges Bewegungs-Momentum. In | |
der Spitze hatten wir einen Rekord von 317 Demos gegen Rechtsextremismus an | |
einem Wochenende. Diese Welle ist im Moment abgeebbt. | |
Warum ist keine nachhaltige Bewegung daraus gewachsen? | |
Es ist klar, dass man nicht über einen langen Zeitraum jeden Tag | |
demonstrieren kann. Aber ich denke schon, dass bei vielen was in Bewegung | |
gekommen ist und wir nachhaltige Erfolge erzielt haben. Zum Beispiel, dass | |
die Desiderius-Erasmus-Stiftung der AfD keine Finanzmittel der öffentlichen | |
Hand bekommt. [3][Oder dass das rechte Compact-Magazin bei sämtlichen | |
Bahnhofskiosken ausgelistet wurde]. | |
Gibt es, abgesehen von diesen punktuellen Erfolgen, einen | |
Stimmungsumschwung gegen die AfD? | |
Ich glaube ja. Ich war am vergangenen Wochenende in dem kleinen | |
niedersächsischen Dorf Unterlüß, [4][beim Protest gegen den Landesparteitag | |
der AfD.] Da waren 3.000 Menschen auf der Straße! Da hatte ich schon das | |
Gefühl, die Welle geht weiter. Zentral dafür ist, dass wir uns als geeinte | |
Demokrat*innen den Rechtsextremen entgegenstellen und die Proteste | |
nicht mit anderen Themen überladen, damit sie in der Breite der Bevölkerung | |
anschlussfähig bleiben. | |
Allerdings wird der Protest auf diese Art inhaltlich unscharf. Ein | |
strategischer Fehler? | |
Wir müssen klar formulieren, was wir von der Regierung wollen. Es muss | |
geprüft werden, ob die AfD verboten werden soll, zumindest in den | |
Bundesländern, wo sie vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft | |
wird. Natürlich appellieren wir auch an die Ampel, keine Politik zu | |
betreiben, die den sozialen Zusammenhalt im Land kaputt spart. Wir müssen | |
in die öffentliche Infrastruktur und die Daseinsvorsorge investieren. Dann | |
finden die Leute auch Halt in der Politik und haben das Gefühl, der Staat | |
tut was für sie. | |
Haben die Demos die Ampel denn klar genug adressiert? | |
Der Rückgang der Zustimmung zur AfD zeigt, dass die Strategie richtig war. | |
Aber natürlich müssen wir uns auf eine jahrelange Auseinandersetzung | |
einstellen. Und wir müssen uns kritisch fragen: Was haben wir als | |
progressive Linke falsch gemacht? | |
Was würden Sie antworten? | |
Vielleicht haben wir zu wenig Verständnis aufgebracht für das, was die | |
Leute im Alltag beschäftigt. Wir reden oft sehr abstrakt über die | |
sozialökologische Transformation. Im entscheidenden Moment, etwa als das | |
Heizungsgesetz kam, hatten wir nicht die richtigen Botschaften parat. Man | |
hätte vermitteln müssen: „Niemand kommt in eure Keller und reißt die Gas- | |
und Ölheizung raus – wenn eine Heizung kaputtgeht und kein Geld da ist, | |
gibt es 70 Prozent Förderung für die Wärmepumpe! Niemand lässt euch im | |
Regen stehen.“ | |
Soll es jetzt die Aufgabe der linken Bewegung sein, die Regierungspolitik | |
zu erklären? | |
Es geht darum, empathisch zu sein und zu kommunizieren, dass wir angesichts | |
der Klimakrise die ganze Gesellschaft umbauen müssen, aber dabei niemanden | |
zurücklassen. Vielleicht braucht es auch wieder eine linke | |
Identitätserzählung. Was ist das für ein „Wir“, das uns als progressive | |
Linke ausmacht? Ich glaube, da waren wir zu schlecht. Klimapolitisch sind | |
wir total in die Defensive geraten. Joe Biden hat es viel besser gemacht. | |
Mit dem [5][Inflation Reduction Act] gibt es in den USA viel Unterstützung | |
für das riesige Klimaschutz-Investitionsprogramm. | |
Zur Europawahl und den Kommunalwahlen im Juni wollen Sie den Schwung der | |
Bewegung gegen rechts wieder entfachen. Wie? | |
Es braucht einen neuen Anlass, und den gibt es mit den Wahlen. Für die AfD | |
ist diese Europawahl enorm wichtig. Sie will das europäische | |
Einigungsprojekt zerstören und damit die historische Antwort auf den | |
Faschismus und auf viele Jahrhunderte der Kriege. Die AfD möchte ein Europa | |
der nationalen Egoismen errichten. Da müssen wir gegenhalten. Wir wollen, | |
dass jeder Demokrat und jede Demokratin auf die Straßen geht, seine | |
Mitbürger*innen aufrüttelt, und dann an die Wahlurnen geht. | |
Meinen Sie nicht, dass die Menschen, die auf eine Demo gehen, ohnehin | |
wählen gehen? | |
Ja, klar. Die Menschen, die auf die Demos kommen, sollen als | |
Multiplikator*innen in ihren Bekanntenkreis hinein wirken. Wir haben | |
drei Wähler*innengruppen identifiziert, an die wir uns besonders | |
richten. Die einen sind die „Stay at home-Democrats“, also Menschen, die | |
überlegen, den 9. Juni lieber am Baggersee zu verbringen. Die denken, so | |
wichtig sei das doch nicht, und nehmen sich vor, bei der Bundestagswahl | |
wieder hinzugehen. Denen wollen wir klarmachen: Nein, diese Wahl ist total | |
wichtig! | |
Wer sind die anderen Gruppen? | |
Die zweiten sind die „Switcher“, also Leute, die das letzte Mal noch | |
demokratisch gewählt haben und diesmal überlegen, AfD zu wählen. Denen ist | |
nicht klar, wie rechtsradikal die gesamte Partei mittlerweile ist. Die | |
dritte Gruppe sind die Erstwähler*innen, von denen es ja dieses Mal | |
besonders viele gibt, weil das Mindestalter auf 16 herabgesetzt wurde. Das | |
sind sieben Jahrgänge, die sich kaum noch bei klassischen Medien | |
informieren, sondern nur noch auf TikTok, Instagram und Youtube. | |
Wie wollen Sie die erreichen? | |
Wir wollen den Demos Festivalcharakter verleihen, indem sich nicht | |
Redebeitrag an Redebeitrag reiht, sondern viele Künstler*innen auf den | |
Bühnen stehen. Die richten sich dann ja auch an ihre Social Media-Follower | |
und die wiederum verbreiten die Botschaft weiter. | |
Sie haben TikTok-Stars für die Demos engagiert? | |
Wir sind gerade in den Absprachen, es melden sich auch viele | |
Künstler*innen von sich aus und fragen, was sie tun können. Wir alle | |
haben TikTok viel zu lange der AfD überlassen. Die gesamte progressive | |
Linke hat TikTok verschlafen. Jetzt müssen wir vor der Europawahl, und auch | |
mit Perspektive auf die Bundestagswahl, TikTok zurückerobern. Das ist nicht | |
einfach, weil der Algorithmus dort Alarmismus und Lügen belohnt, wir aber | |
bei den Fakten bleiben wollen. Aber wir müssen zusehen, dass wir dort | |
Widerspruch organisieren und den Rechtsextremen eigene Inhalte | |
entgegensetzen. | |
24 Apr 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://correctiv.org/aktuelles/neue-rechte/2024/01/10/geheimplan-remigrati… | |
[2] /Demos-gegen-rechts/!5994464 | |
[3] /Ludwig-und-Press--Book-kicken-Compact/!5987446 | |
[4] /AfD-Landesparteitag-in-Niedersachsen/!6003142 | |
[5] /EU-Antwort-auf-US-Foerderprogramm/!5950345 | |
## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
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