# taz.de -- „Buddenbrooks“ als Oper in Kiel: Mit der Kartoffelpresse pürie… | |
> Der Veroperung von Thomas Manns erstem Roman sind Ironie und Feinsinn | |
> fremd. Ludger Vollmers rasante Musik kann das plumpe Libretto nicht | |
> überspielen. | |
Bild: Bedrohlich blickt der Patriarch aufs Bühnentreiben: Szene aus der Oper �… | |
Es beginnt mit einem rauschenden Fest. Gefeiert wird die Einweihung eines | |
ehrenwerten Hauses: Familie Buddenbrook bezieht ihr neues Domizil, und alle | |
sind gekommen, Freunde, Nutznießer und Konkurrenten. | |
Das weitläufige Bühnenbild (Lars Peter), der Salon der Buddenbrooks in der | |
Lübecker Mengstraße, wird im Kieler Opernhaus bestimmt vom übergroßen | |
Bildnis des Familien- und Geschäftsgründers. Ernst, fast bedrohlich blickt | |
der Patriarch herab auf das Handeln und Straucheln und Scheitern seiner | |
Nachfahren. Sein Credo steht über allem: „Mein Sohn, sei mit Lust bei den | |
Geschäften am Tage, aber mache nur solche, dass wir bei Nacht ruhig | |
schlafen können!“ | |
Die Idee, den Roman „Buddenbrooks“ als [1][Oper] auf die Bühne zu bringen, | |
stammt vom Kieler Generalintendanten Daniel Karasek, der auch selbst Regie | |
geführt hat. Die erste Thomas-Mann-Oper war Benjamin Brittens „Death in | |
Venice“, 1973 in Berlin uraufgeführt. In den 1980ern hatte dann Giacomo | |
Manzoni den Musik-Roman „Doktor Faustus“ vertont, der sich trotz | |
Weltpremiere an der Mailänder Scala nicht auf den Spielplänen hat | |
durchsetzen können. Zuletzt hatten Librettist Händl Klaus und Vito Žurajs | |
die Erzählung „Die Betrogene“ in eine Kammeroper mit dem Titel „Blühen�… | |
verwandelt, die vergangenes Jahr in Frankfurt gezeigt wurde. | |
Nun also die [2][„Buddenbrooks“], und das ausgerechnet in Kiel. Komponist | |
Ludger Vollmer hatte mit den Opern „Gegen die Wand“ nach dem Film von Fatih | |
Akin oder „Tschick!“ nach Wolfgang Herrndorfs Roman schon mehrere | |
Opern-Erfolge vorzuweisen. | |
Doch bei den „Buddenbrooks“ hat der Gattungswechsel vom Roman zur Oper | |
seinen Preis. Er habe „den mäandernden Roman mit breitem Pinsel | |
gezeichnet“, sagt Vollmer, den Text „mit der Kartoffelpresse | |
zusammengedrückt“. Das trifft es. Aber es passt schlecht zu dem | |
außerordentlichen Roman-Erstling, der die 1901 erschienenen „Buddenbrooks“ | |
nun einmal sind: Mit der Geschichte einer Lübecker Kaufmannsfamilie war der | |
20-jährige Autor auf einen Schlag weltberühmt geworden. Sie trug ihm 1929 | |
den Literaturnobelpreis ein. | |
Der Roman umspannt vier Generationen und die Jahre 1835 bis 1877. Die | |
Kieler Librettisten Feridun Zaimoğlu und Günter Senkel konzentrieren die | |
Handlung auf zwei. Ins Zentrum stellen sie die gegensätzlichen Brüder | |
Thomas und Christian Buddenbrook – den strengen Kopf des | |
Familienunternehmens, und den glücklos dilettierenden Buchhändler: Die | |
Spannung zwischen beiden ist groß. „Ich bin geworden wie ich bin, weil ich | |
nicht werden wollte wie Du!“, schleudert Thomas dem jüngeren entgegen, der | |
sich dem „abendländischen Aktivitätskommando“ widersetzt – und dadurch … | |
Selbstverständnis gefährdet. | |
Die [3][Brüchigkeit des Bürgerlichen] bestimmt den Roman, das Libretto ist | |
von solchen Feinheiten himmelweit entfernt: Hier wird alles eindeutig. In | |
der Oper handeln die Buddenbrooks nicht mit Getreide wie im Roman, sondern | |
mit Waffen. Wo Mann im Verfall der Familie ein Meisterstück des | |
[4][globalen Wirtschaftssystems] erkennen lässt, sind in Kiel laut Vollmer | |
„der Krieg und der Turbokapitalismus“ das Thema. Wie aber klingt das? | |
Kammersänger Jörg Sabrowski ist ein stimmlich starker, klar artikulierender | |
Thomas. Er spürt die Last der Tradition – und ahnt die Vergeblichkeit | |
seines Tuns: Die skrupellosen Hagenström-Brüder werden ihn geschäftlich | |
ruinieren. Er ist ihnen nicht gewachsen, ohne dass die Oper die Gründe | |
dafür zeigen kann. | |
Als empfindsame Gerda Buddenbrook, Thomas’ Ehefrau und Mutter des einzigen | |
Sohnes Hanno, überzeugt die Altstimme Tatia Jibladzes, gezeichnet von der | |
Wehmut, in die falsche Familie eingeheiratet zu haben. Tony Buddenbrook, | |
die Schwester von Thomas und Christian, gibt die Sopranistin Xenia Cumento | |
begeisternd in waghalsigen, ja krassen Koloraturen: „Was füg’ ich mich?“ | |
Ihre Wut-Arie am Ende des ersten Aktes gipfelt in die | |
klagend-herausfordernde Frage: „Ist Männermacht ein ewiges Gesetz?“ Hanno | |
interessiert sich null fürs Geschäft. Er ist hier eine queere Person, | |
rezitiert Rilke-Gedichte und spielt die Theorbe. Countertenor Elmar Heuser | |
betört das Publikum mit seiner melancholischen Darbietung. | |
Mit Hanno kommt das Künstlerische in den Kaufmanns-Clan, und Vater Thomas | |
betrachtet ihn ungläubig – das wird keine Zukunft geben, mit dem Geschäft | |
erstirbt auch die Familie. Doch was auf dem gesellschaftlichen | |
Entwicklungsweg vom Handels- zum Industrie- und schließlich zum | |
Turbo-Kapitalismus verloren geht, kann diese Oper nicht verdeutlichen. | |
## Nachvollziehbare Buhs | |
Ludger Vollmer hat keine Fülle des Wohllauts, sondern ein ebenso rasantes | |
wie eklektisches Werk reich an Anspielungen komponiert. Er zitiert Edward | |
Griegs „Morgenstimmung“ und Richard Wagners berühmten „Tristan“-Akkord, | |
baut aber auch Tangoklänge ein: Auch musikalisch hat nichts Bestand, keine | |
Melodie prägt sich ein. | |
Generalmusikdirektor Benjamin Reiners und das Orchester stellen sich mit | |
Bravour den schnell-wechselnden Einfällen der Partitur, und das Publikum | |
zeigte sich bei der Uraufführung begeistert von ihrer Leistung. | |
Nachvollziehbare Buhs galten dem Libretto-Duo Zaimoğlu/Senkel: Ihr Zugriff | |
auf die Buddenbrooks ist beherzt, aber plump, was pseudo-aktualisierende | |
Seitenhiebe ohne Esprit noch unterstreichen: Kalauer, nach denen es „von | |
Grün zu Olivgrün nur ein kleiner Sprung“ sei wenden das ironische, | |
gleichsam schwebend-demaskierende Erzählen [5][Thomas Manns] ins Grobe, ja | |
Grobschlächtige. Wie schade. | |
7 May 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Oper/!t5007509 | |
[2] https://www.dhm.de/lemo/bestand/objekt/r96-1306 | |
[3] /Buddenbrook-Museum-in-Luebeck/!5895165 | |
[4] /Neues-Buch-ueber-Gegenwartskapitalismus/!5918463 | |
[5] /Thomas-Mann/!t5021757 | |
## AUTOREN | |
Frauke Hamann | |
## TAGS | |
Oper | |
Kiel | |
Thomas Mann | |
Roman | |
Musiktheater | |
Lübeck | |
Tagebuch | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
100 Jahre „Der Zauberberg“: Die große Gereiztheit | |
Thomas Manns Roman „Der Zauberberg“ steht 2024 im Zentrum der Aktivitäten | |
von Lübecks Thomas-Mann-Gesellschaft. Aktuelle Bezüge gibt es reichlich. | |
Tagebuch schreiben: Chatroom mit mir selbst | |
In seinen „Täglichen Notizen“ hielt Thomas Mann fest, was ihm durch den | |
Kopf ging. Dank ihm schreibt unsere Autorin wieder Tagebuch. Mit mehr Spaß | |
denn je. | |
Buddenbrook-Museum in Lübeck: Lübecker Gewölbeschaden | |
1901 veröffentlicht ein 26-Jähriger namens Thomas Mann die „Buddenbrooks“. | |
Von einem Gebäude, hinter dessen Fassade es gerade wieder brodelt. |