# taz.de -- Entführte Journalistin in Mexiko: „Gegen den Strom eines korrupt… | |
> In Mexiko vernichteten die Entführer der Investigativjournalistin Teresa | |
> Montaño gezielt deren Rechercheergebnisse. Sie überlebte und begann von | |
> vorn. | |
Bild: Auch der britische Guardian berichtete über den Kampf der Maria Teresa M… | |
taz Panter Stiftung: Was sind die Themen Ihrer journalistischen Arbeit, | |
Frau Montaño? | |
Teresa Montaño: Ich habe mich auf Korruption und Frauenmorde im Bundesstaat | |
Mexiko spezialisiert. Die Edomex genannte Region um Mexikos Hauptstadt ist | |
das Zentrum der [1][Femizide im Land]. Auch schreibe ich über | |
Menschenrechtsthemen. In Edomex werden absichtlich „Schuldige“ fabriziert, | |
um den Anschein zu erwecken, es gebe Erfolge im Kampf gegen die | |
Unsicherheit. | |
Was war Ziel Ihrer Recherchen? | |
Wie jeder ehrliche Journalist suchte ich die Wahrheit. Als ich begann, | |
wusste ich nicht, was herauskommen würde. Es gibt Dinge, die entdeckt man | |
erst bei der Recherche, etwa weil einem etwas verdächtig erscheint. Als ich | |
die Adresse einer ersten Vertragsfirma der Regierung aufsuchte, merkte ich, | |
dass die Firma gar nicht existiert. Die Partei der Institutionellen | |
Revolution (PRI) regiert den Bundesstaat Mexiko seit Jahrzehnten und hatte | |
eigene Scheinfirmen gegründet. | |
Bei Ihrer Entführung wurden Ihre Rechercheergebnisse gestohlen. Was hatten | |
Sie herausgefunden? | |
Mir war seltsam vorgekommen, dass die Regierung des Bundesstaates Mexiko | |
Produkte und Dienstleistungen, die auch im eigenen Bundesstaat erhältlich | |
sind, weit entfernt einkaufte. Das Tal von Mexiko und Mexiko-Stadt sind ein | |
großes Wirtschaftszentrum, wo doch andere Bundesstaaten einkaufen und nicht | |
wir bei ihnen. Ende Dezember 2020 stieß ich auf die ersten Käufe: Seltsame | |
Dinge wie Make-up, Nagellack, Lippenstifte, welche die Edomex-Regierung im | |
nordmexikanischen Monterrey kaufen wollte. Einer der ersten merkwürdigen | |
Käufe, deren Verträge ich einsehen konnte, waren dubiose | |
Beratungsleistungen, die Firmen im Bundesstaat Veracruz betrafen. Zum | |
Zeitpunkt meiner Entführung war mir noch nicht klar, was Scheinfirmen sind. | |
Als ich im Januar 2022 wieder nach Mexiko zurückkehrte, prüfte ich als | |
Erstes, ob diese Firmen überhaupt existieren. Zu meiner Überraschung habe | |
ich sie unter ihrer genannten Adresse nicht gefunden. Ich fand nur | |
baufällige Gebäude. Dabei wurden dort angeblich für Milliarden Peso | |
Bleistifte, Nagellack und anderer Schnickschnack gekauft. Da wusste ich, | |
dass es Geisterfirmen waren. | |
Was passierte nach der Entführung? | |
Bei der Entführung wurde mein Recherche- und Arbeitsmaterial gestohlen. Ich | |
war sehr geschockt und konnte zunächst nur an mein Überleben denken. Ich | |
hatte zuvor schon eine Zusage von Reporter ohne Grenzen gehabt, Mexiko mit | |
einem Stipendium zu verlassen, weil ich Gewalt und Drohungen ausgesetzt | |
war. Staatliche Agenten hatten mich bespitzelt und folgten mir überall hin. | |
Als ich das merkte, bekam ich richtig Angst. Ich war gerade bei der Zeitung | |
Heraldo de México entlassen worden, weil ich immer weiter recherchierte. | |
Ich forderte Auskünfte von der Regierung. Die Regierung des Bundesstaates | |
Mexiko beschwerte sich bei meiner Zeitung und dort fragten sie mich, was | |
ich da eigentlich mache. Mir wurde verboten, weiter Nachforschungen | |
anzustellen! Doch ich fand Mittel und Wege, um weiter Fragen zu stellen. | |
Ich war der Ansicht, dass es mein Recht war. Ich wurde wegen meiner | |
Recherchen entführt. Nach dem Diebstahl meiner Ermittlungen verging | |
zunächst viel Zeit. Ich war lange in Spanien und nahm langsam den Faden | |
wieder auf. Mit den wenigen Informationen, an die ich mich erinnern konnte, | |
fing ich von vorn an. Ich hatte fast nichts mitnehmen können. Meine | |
Ausrüstung, Notizbücher und Dokumente waren ja gestohlen worden. Ich habe | |
ein schlechtes Gedächtnis und musste immer alles aufschreiben. | |
Wohin soll man gehen, wenn das eigene Land einen zum Schweigen bringen | |
will? | |
Man kann nirgendwo hingehen, ich ziehe ständig von Ort zu Ort. Meine | |
Entführung wurde nie aufgeklärt, es wurde nie jemand festgenommen. Die | |
Entführer haben mir selbst gesagt, dass sie mit der Staatsanwaltschaft | |
zusammenarbeiten. Ich glaube das, denn es gab kein Interesse, den Fall | |
aufzuklären. Die Entführer bedrohten mich mit dem Tod, ich sollte absolut | |
sicher sein, dass sie mich holen würden. Deshalb ziehe ich ständig um. Man | |
kann leider nirgendwo hingehen. | |
Wie ist es Ihnen gelungen, aus dieser Gewalt herauszukommen? | |
Nach meiner Entführung dauerte es etwa zwei Wochen, bis ich wieder Kontakt | |
mit [2][Reporter ohne Grenzen] aufnehmen konnte. Denn mit meinem Telefon | |
waren ja auch meine Kontaktnummern gestohlen worden! Das mir von Reporter | |
ohne Grenzen angebotene Stipendium ist eine Art Asyl, um sicher und | |
vorübergehend auszureisen. Praktisch alle Journalisten, denen Reporter ohne | |
Grenzen hilft, sind quasi Asylbewerber. Ich war drei Monate weg, und jetzt | |
bin ich mithilfe von [3][Protect Defenders] zurück. Reporter ohne Grenzen | |
hat mir gut geholfen. Sie haben mir eine Therapie angeboten. Ich war in | |
Spanien noch unter Schock stehend angekommen. Es war sehr schwer für mich, | |
zu funktionieren. Ich hatte Mexiko fluchtartig verlassen und meine zwei | |
Kinder zurücklassen müssen. Es war sehr schmerzhaft. Ich habe ständig | |
geweint, nichts verstanden und war auch noch arbeitslos. Da unterstützte | |
mich die Zeitschrift [4][Proceso]. Sie haben Artikel von mir veröffentlicht | |
und waren sehr nett. Ich hatte großes Glück, die Entführung zu überleben, | |
aber die Auswirkungen auf mein Leben waren schrecklich. Ich musste Mexiko | |
verlassen, obwohl ich nichts Falsches getan hatte. Ich weiß nicht, was aus | |
mir ohne diese Unterstützung geworden wäre. Die Drohung dieser Typen, mich | |
zu töten, wäre wohl schneller wahr geworden, als ich denken konnte. | |
Sie wurden mit internationalen Preisen ausgezeichnet. Was bedeuten diese | |
für Sie und Ihre journalistische Arbeit? | |
Ich habe im November 2023 den [5][Preis der Pressefreiheit vom Komitee zum | |
Schutz von Journalisten] (CPJ) bekommen. Zuvor wurde mir der [6][Preis für | |
Courage im Journalismus] verliehen. Beides hat große Bedeutung für mich, | |
weil ich in Mexiko immer gegen die Unsichtbarmachung meiner Arbeit gekämpft | |
habe. Es war für mich ein Kampf gegen das System. Die Auszeichnungen | |
rechtfertigen meine journalistische Arbeit und meinen jahrelangen Kampf. | |
Nach und nach wurde ich hier im Bundesstaat Mexiko zu einer seltenen | |
Erscheinung, zu einer der wenigen Journalisten, die versuchten, Korruption | |
sichtbar zu machen. Die Auszeichnungen sind für mich wie die Erfüllung | |
eines Traums, dass jemand meine Arbeit wertschätzt. Es bestätigt meine | |
Arbeit und die anderer Frauen in Mexiko, die investigative Projekte | |
vorantreiben, wie den von mir geleiteten The [7][Observer]. Es ist das | |
einzige lokale Medium, in dem wir in der Lage sind, unabhängig Fakten zu | |
überprüfen und investigativ zu arbeiten. Ich habe um internationale | |
Unterstützung geworben und das Medium hat mit harter Arbeit und mit viel | |
Leidenschaft überlebt. | |
Wie ist es, unter ständiger Bedrohung zu arbeiten? | |
Das bedeutet, in Angst zu leben. In Mexiko werden Opfer, die überlebt | |
haben, wie auch die Getöteten, stigmatisiert und verleumdet. Und als | |
Journalistin, die eine so schreckliche Gewalttat wie eine Entführung erlebt | |
hat, kann man sich dem nicht entziehen. Viele Kollegen reden nicht mehr mit | |
mir. Das ist ein weiterer Punkt, der dich belastet und dich einsam macht. | |
In Mexiko werden die Opfer erneut zu Opfern, „weil sie es verdient haben“, | |
„weil sie nicht vorbereitet waren“, „weil sie Teil des organisierten | |
Verbrechens sind“ … So werden Opfer beschuldigt und stigmatisiert. Das habe | |
ich auch erlebt. Damit zu leben ist schwer. Sie isolieren dich, sie schauen | |
auf dich herab. Deshalb waren die beiden Auszeichnungen als eine Art Kampf | |
gegen diese Stigmata wichtig, als andere mit der Korruption der Medien | |
mitmachten und ich immer gegen diesen Strom geschwommen bin. Das war das | |
Schwierigste, gegen ein korruptes System anzuschwimmen, das darauf zielt, | |
Journalisten zu korrumpieren. | |
Sie haben in einem Interview gesagt, Sie seien „der einzige lebende | |
Journalist“. Wie fühlt sich das an? | |
[8][Fast alle Journalisten, die in Mexiko Gewalt erlitten haben, überleben | |
nicht.] Ich hatte großes Glück. Als ich entführt wurde, wusste ich, dass | |
man mich jeden Moment verschwinden lassen könnte, aber die Entführer taten | |
es nicht. Die Entführung hatte schon Stunden gedauert. Der Chef der | |
Entführer war müde und es war schon spät in der Nacht. Wäre es nicht so | |
gewesen, weiß ich nicht, was mit mir passiert wäre. Ich glaube, man hätte | |
mich verschwinden lassen … | |
Wie ist Ihre jetzige Situation? | |
Ich bin immer noch bedroht. Die einzige Unterstützung, die ich noch habe, | |
ist der Föderale Unterstützungsmechanismus für Journalisten. Ich lebe fast | |
die ganze Zeit unter Schutz. Wenn ich ausgehen muss, habe ich Begleiter, | |
die der Mechanismus zur Verfügung stellt. Ich gebe Bescheid und sie | |
begleiten mich. | |
Wie leben Sie als Frau und Journalistin diese beiden Rollen in einem Land, | |
das Frauen und Journalisten gegenüber so feindlich ist? | |
Ich lebe mit Angst, aber auch mit Würde. Ich lebe in einem Land, in dem | |
Journalisten bedroht und korrumpiert werden. Das ist die Wahrheit. Ich habe | |
Mitleid mit ihnen. Einmal versuchte eine Abgeordnete der regierenden Partei | |
Morena, mich zu bestechen. Ich habe ihr gesagt, sie denke wohl, alle | |
Journalisten hätten einen Preis, aber sie irre sich. | |
Die Interviewerin ist eine mexikanische Autorin und lebt seit 2014 in | |
Berlin | |
Mexiko: Rangliste der Pressefreiheit: Platz 121 | |
Dieser Artikel ist am 3. Mai 2024 als Teil einer gemeinsamen Sonderbeilage | |
der taz Panter Stiftung und Reporter ohne Grenzen zum Tag der | |
Pressefreiheit erschienen. Weitere Infos [9][hier]. | |
4 May 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Buch-ueber-Femizide-in-Mexiko/!5940591 | |
[2] https://www.reporter-ohne-grenzen.de/ | |
[3] https://protectdefenders.eu/ | |
[4] https://www.proceso.com.mx | |
[5] https://cpj.org/awards/maria-teresa-montano-mexico/ | |
[6] https://www.iwmf.org/community/maria-teresa-montano-delgado/ | |
[7] https://www.theobserver.mx/ | |
[8] /Nach-Wahlkampfberichterstattung/!6007191 | |
[9] /Krieg-gegen-die-Medienfreiheit/!vn6008357/ | |
## AUTOREN | |
Sandra Rosas | |
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