# taz.de -- Pressefreiheit in Schweden: Spionagegesetz und Selbstzensur | |
> Schweden ist für seine traditionell große Meinungsfreiheit bekannt. | |
> Trotzdem taumelt es auf der Rangliste der Pressefreiheit. Warum? | |
Bild: Demonstration gegen das neue Gesetz zur Auslandsspionage in Stockholm | |
KALMAR taz | Auf der jährlichen Weltkarte der Pressefreiheit von Reporter | |
ohne Grenzen (RSF) 2024 ist Schweden wieder eines der (wenigen) grünen | |
Länder. Aber seit 2022 schwankt das skandinavische Land zwischen den | |
Plätzen 4, 5 und 3. Warum? | |
Die radikal veränderte Sicherheitslage im Norden Europas hat das historisch | |
neutrale Schweden zur Aufgabe seiner militärischen Bündnisfreiheit | |
gezwungen. Im Jahr 2023 wurde Schweden 32. Mitglied der Nato. Aber schon | |
seit geraumer Zeit drohen weltpolitische Abwägungen, die Pressefreiheit in | |
Schweden einzuschränken. | |
Dazu kommen Selbstzensur aufgrund von Drohungen und Angriffen gegen | |
Journalist:innen, innenpolitische Veränderungen und eine Sicherheitslage, | |
die das Land zum Ziel von Desinformationskampagnen gemacht hat. Im | |
[1][Liberties Media Freedom Report 2024] der Civil Liberties Union for | |
Europe wird die prekäre Situation der Medienfreiheit in Europa auch im Fall | |
Schwedens deutlich hervorgehoben. | |
Die Vorsitzende der Journalistengewerkschaft Journalistförbundet, Ulrika | |
Hyllert, sagt, dass „eine Reihe neuer Gesetze und Verordnungen die | |
Offenheit einschränken und die Arbeit der Journalist:innen erschweren. | |
Hier ist das neue Gesetz zur Auslandsspionage das bemerkenswerteste.“ Im | |
Jahr 2022 änderte das Parlament das Grundrecht auf Pressefreiheit und freie | |
Meinungsäußerung. | |
Mit Zweidrittelmehrheit wurde beschlossen, dass die Verbreitung von | |
Information, die Schwedens Sicherheit und die seiner Alliierten gefährdet, | |
bestraft werden kann. Offiziell wollte man sich so gegen schädliche | |
Verbreitung sensibler Information etwa durch terroristische Organisationen | |
oder Gegner wie Russland absichern. Aber Journalist:innen fürchten, | |
dass die Gesetzesänderungen die Bereitschaft, (anonym) Hinweise zu geben | |
und darüber zu berichten, stark senken werden. Im Jahr 2023 wurde denn auch | |
eine Sendung über die Pentagon-Leaks im öffentlich-rechtlichen | |
Fernsehsender SVT gestoppt. | |
## Drohnungen und Angriffe auf die Presse nehmen zu | |
Die RSF-Statistik verrät auch eine dunklere Seite des schwedischen Taumelns | |
an der Spitze der Rangliste. „Während der letzten Jahre konnten wir | |
beobachten, wie Drohungen und Angriffe auf Journalist:innenen | |
zugenommen haben“, sagt Annika Hamrud, die am [2][Fojo-Medieninstitut] in | |
Kalmar zu Bedrohungen von Journalist:innen forscht. Die Gründe dafür | |
lägen „teils darin, dass diese Angriffe in sozialen Medien erfolgen, teils | |
an Themen, die stark emotionalisieren – wie Klima, Gender oder rechte | |
Politik“. Verbale wie körperliche Angriffe kommen aus verschiedenen Lagern, | |
von Bandenkriminellen bis hin zur Polizei, wenn sie Anzeigen von | |
Journalist:innen ignoriert oder sie auf Klimademos festnimmt. | |
Während der Covidpandemie wurde der internationale Verschwörungsmythos von | |
den lügenden „Mainstream-Medien“ auch in Schweden stark verbreitet. Quer | |
durch das politische Spektrum wurde Journalist:innen vorgeworfen, | |
Schwedens umstrittene Coronastrategie unkritisch zu verteidigen und die | |
„Wahrheit“ zu unterdrücken. Dies führte auch nach der Pandemie zu Kampagn… | |
und Demonstrationen. | |
Die neue konservative Regierung, die von den rechtspopulistischen | |
Schwedendemokraten unterstützt wird, hat eine ambivalente Haltung zu den | |
öffentlich-rechtlichen Medien. Schwedens traditionell starke Lokalpresse | |
ist auf dem Rückzug, beschleunigt durch den Einbruch im Anzeigenmarkt, | |
sinkende Abozahlen und die Einführung generativer künstlicher Intelligenz | |
in den Medien. Nicht zuletzt befindet sich Schweden in einer neuen | |
Sicherheitslage, in der heikle Themen schnell und viral ein globales | |
Publikum finden können. | |
## Desinformation als hybride Bedrohung | |
Im Kampf um strategische narrative Dominanz entpuppt sich Desinformation | |
als hybride Bedrohung. So wurde seit 2021 in Schweden mehrmals öffentlich | |
der Koran verbrannt. Und Sozialdienste wurden beschuldigt, Kinder aus | |
muslimischen Familien zu entführen und zu verkaufen. | |
Die Koranverbrennungen machten in der islamischen Welt Schlagzeilen, | |
mobilisierten Hass in sozialen Medien und führten zu Angriffen auf | |
schwedische diplomatische Vertretungen. Die Kampagne gegen Sozialdienste | |
wurde auch von Medien wie Al Jazeera unterstützt. Arabische Medien in | |
Schweden wie [3][Alkompis], die mit Fakten konterten, oder die | |
preisgekrönte Journalistin Inas Hamdan, die internationale Verflechtungen | |
der Kampagne aufdeckte, wurden aggressiv infrage gestellt. „Offenheit und | |
Medienfreiheit sind immer noch gut, aber die Entwicklung geht in die | |
falsche Richtung“, sagt Gewerkschafterin Hyllert. | |
Der Autor leitet das Factchecking-Projekt am Fojo-Medieninstitut der | |
Linné-Universität im südschwedischen Kalmar | |
Schweden: Rangliste der Pressefreiheit: Platz 3 | |
Dieser Artikel ist am 3. Mai 2024 als Teil einer gemeinsamen Sonderbeilage | |
der taz Panter Stiftung und Reporter ohne Grenzen zum Tag der | |
Pressefreiheit erschienen. Weitere Infos [4][hier]. | |
5 May 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://dq4n3btxmr8c9.cloudfront.net/files/flccsm/Media_freedom_Report2024.… | |
[2] https://fojo.se/ | |
[3] https://alkompis.se/ | |
[4] /Krieg-gegen-die-Medienfreiheit/!vn6008357/ | |
## AUTOREN | |
Andreas Jahrehorn Önnerfors | |
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