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# taz.de -- Größtes Sadismusinstitut Berlins: Die Masseuse mit der Hundepeits…
> Vor 115 Jahren wurde in der Friedrichstraße Auguste von Strachwitz
> ermordet. Sie dichtete nicht nur. Stadtbekannt war sie vor allem als
> Dreschgräfin.
Bild: Ein Mord aus Leidenschaft? Gräfin Auguste von Strachwitz, geb. Lokoszus …
Berlin taz | In der Nacht vom 7. zum 8. Oktober 1909 hören die Gäste der
Schankwirtschaft im Erdgeschoss der Friedrichstraße 30 Schreie und Schüsse.
Sie eilen sofort herbei, um Hilfe zu leisten, und finden auf dem
Treppenabsatz eine schwer verletzte Frau. Gräfin Auguste von Strachwitz ist
nur mit Hemd und Strümpfen bekleidet und blutüberströmt, sie röchelt noch
schwach. Sofort wird die Polizei alarmiert, die auch zügig anrückt.
Als plötzlich hinter der verschlossenen Wohnungstür ein Schuss ertönt,
brechen die Beamten die Tür auf und finden einen jungen Mann, der sich mit
seiner Waffe in den Mund geschossen hat. Auch er gibt noch schwache
Lebenszeichen von sich. Es ist der Geliebte der Gräfin, der 23-jährige
Kaufmann Alfred Friedländer, der eigentlich noch bei den Eltern wohnt. Nur
kurze Zeit später verstirbt die Gräfin im Krankenhaus am Urban, Stunden
später ist auch Friedländer tot.
In der Wohnung findet die Kriminalpolizei unter anderem einen Liebesbrief
an die Gräfin, der nicht von Friedländer geschrieben wurde. Demnach hatte
von Strachwitz vorgehabt, mit einem anderen Mann zu verreisen. Ein klarer
Fall also, ein Liebesdrama: Eifersüchtiger Mann erschießt Geliebte.
Doch hinter diesem Mord aus Leidenschaft steckte wesentlich mehr. Er
enttarnte die Doppelmoral der kaiserlichen Untertanen, kratzte an der
Fassade der vermeintlich heilen Welt der Kaiserzeit im Berlin der hell
angestrichenen klassizistischen Straßenzüge. Vor allem aber sorgte er
dafür, dass [1][das Geschäft vieler „Masseusen“] in Berlin bloßgelegt
wurde. Wobei die Gräfin von Strachwitz, die sich im Berliner Adressbuch mal
„Schriftstellerin“, mal „Schauspielerin“ nannte, in dieser Hinsicht sch…
vor ihrem Tod stadtbekannt war.
## „Kopfmassage gegen Ergrauen von Haaren“
Rückblende: Gegen Ende des 19. Jahrhunderts schossen in Berliner
Tageszeitungen Annoncen wie Pilze aus dem Boden, in denen „Masseusen“ ihre
Dienste anboten. Viele der knetenden Frauen waren freilich alles andere als
auf das gesundheitliche Wohlergehen ihrer Kunden bedacht. Geradezu harmlos
war da noch das eher unrealistische Versprechen „Kopfmassage gegen das
Ergrauen von Haaren“. Der Kunde wurde zwar geschröpft, kam aber nicht groß
zu Schaden.
Zunehmend erschienen dann aber Anzeigen, in denen mit Schlüsselwörtern ein
ganz spezielles Klientel angesprochen werden sollte – Masochisten.
„Masseuse, jung, streng, Schlegelstraße 25, Fräulein Irene“, las man zum
Beispiel 1898 im Berliner Tageblatt. Oder: „Masseuse, Manicure,
Spezialistin, Madame Léontine mit Assistentin, Jägerstr. 11“.
Das strenge „Fräulein Irene“ und die „Madame“ gehörten zu der Kategor…
„unseriös“. Das Geschäft dieser Frauen bestand nicht zuletzt aus der
Kuppelei, der „vorsätzlichen Vermittlung und Beförderung der Unzucht“, wie
es im Reichsstrafgesetzbuch im „Kuppelparagrafen“ hieß, was wiederum auch
einen Mädchenhandel zur Folge hatte, wenn Personal für die Massagedienste
„rekrutiert“ werden sollte.
Das im Grunde undurchsichtige Geschäft war nur möglich, weil es noch keine
einheitliche und landesweit geregelte Ausbildung gab. Massage-Lehranstalten
waren in der Regel privat und vor allem rar. Um 1891 betrieb der „Verein
für Wasserfreunde“ in Berlin eine Wasserheilanstalt, die auch ein Institut
für Massage umfasste. 1894 leitete Isidor Zabludowski ein Institut für
schwedische Heilgymnastik und Massage. Geworben wurde in den Zeitungen
jedoch regelmäßig mit spektakulären Referenzen, etwa einer „Ausbildung in
New York“.
## Gerichtsverhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit
Die Massage – eine der ältesten Heilmethoden der Welt, die eigentlich zum
Bereich der Krankenpflege gehört und heute in Kombination mit dem
Medizinischen Bademeister als Gesundheitsfachberuf gilt – war zwar um 1900
in Berlin des Öfteren auch tatsächlich im Bereich der Badeanstalten und der
Badekuren verortet. Aber selbst dort soll es „Badefrauen“ gegeben haben,
denen es nicht um vornehmlich medizinische Aspekte ging.
Es war Kriminalkommissar Hans von Tresckow, der maßgeblich an der
„Aufdeckung“ des durchaus lukrativen „Geschäftszweigs“ beteiligt war. …
war es auch zu verdanken, dass der sogenannte Masseusenprozess des Jahres
1903 viel Staub aufwirbelte. Und das war starker Tobak, als die Zeitungen
von dem „Gewerbe der Masseusen und Manicuren“ in Berlin schrieben, die das
„vielfach nur als Deckmantel für unzüchtige Zwecke“ benutzten. Man las von
„schmutzigen Bildern“, von „Marterwerkzeugen“ und „masochistisch
veranlagten Personen“. Die Zustände waren so haarsträubend, dass die
stundenlange Gerichtsverhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit
stattfinden musste.
Es ging ein kollektiver Aufschrei der Empörung der braven Bürger durch die
Straßen von Berlin. Am Ende wollte es aber mal wieder niemand gewesen sein,
der seine Wege in die einschlägig bekannten Etablissements gelenkt hatte.
Einige wenige Angeklagte wurden freigesprochen, die anderen zu
Gefängnisstrafen zwischen drei und sechs Wochen verurteilt, was kaum eine
abschreckende Wirkung haben konnte.
Besonders eine Frau fiel letztlich unter den Verurteilten des Jahres 1903
auf: die stattliche Gräfin Auguste von Strachwitz mit den wallenden roten
Haaren. Sie hatte bereits ein bewegtes Leben hinter sich. Eigentlich war
sie eine ostpreußische Bauerntochter, die als Auguste Lokoszus am 27.
September 1872 in Wittgirren im Kreis Tilsit geboren wurde und die bereits
eine gescheiterte Ehe mit einem Hamburger Schneidermeister hinter sich
hatte, aus der eine Tochter hervorgegangen war. Nach Hamburg hatte sie es
eigentlich als Dienstmädchen verschlagen. Bald wurde sie wegen Kuppelei
angeklagt – und freigesprochen.
## Zu sechs Wochen Gefängnis verurteilt
Als sie schließlich ihr eigenes Kind entführte, weil es sich über die
schlechte Behandlung seitens des Vaters beschwert hatte, wurde sie zu sechs
Wochen Gefängnis verurteilt. Das Kind brachte sie schließlich in Frankfurt
am Main in einem Schwesternheim unter, während sie selbst nach Berlin zog,
um „Masseuse“ zu werden.
Ihren Gräfinnentitel hatte sie dabei durch die Heirat mit einem verarmten
Grafen erworben, den sie nur kurze Zeit nach der standesamtlichen Trauung
in Berlin in die Wüste geschickt hatte, um danach erst einmal dem süßen
Leben zu frönen. Reisen in mondäne Badeorte, möglichst an die Riviera, dazu
das Glücksspiel. Doch irgendwann versiegten die Geldquellen. Also wieder
zurück in die Reichshauptstadt, wo alles möglich war.
Schon bald pfiffen es die Spatzen von den Dächern, dass die Gräfin von
Strachwitz [2][das größte „Sadismusinstitut“ der Stadt] in der
Friedrichstraße betrieb. Hundepeitschen, Stachelhalsbänder, Stiefel, Sporen
und andere dubiose Gegenstände waren die bevorzugten Utensilien in ihrem
„Institut“, in dem sie auch selbst die Peitsche schwang, weil dort einem
„triebhaften Schmerz- und Unterwerfungsverlangen“ gefrönt wurde, eben dem
Masochismus.
Es war Richard von Krafft-Ebing, der diesen Begriff 1886 in seiner Schrift
„Psychopathia sexualis“ zum ersten Mal eingeführt hatte. Letztlich ging er
auf den Schriftsteller Leopold von Sacher-Masoch zurück, der seine eigene
Unterwerfung vor allem in seinem Werk „Venus im Pelz“ literarisch
festgehalten hatte.
## Ohne Skrupel, ohne Reue
Der Gräfin von Strachwitz verpasste man in Berlin schon bald den Spitznamen
„Dreschgräfin“. Ihre „Kunden“ erstreckten sich „auf die Träger best…
und die hohen und höchsten Gesellschaftskreise“. Es hätte für sie immer so
weiter gehen können. Ein munteres Peitschenschwingen ihrer zahlenden und
sich freiwillig unterwerfenden Klientel, ohne Skrupel, ohne Reue, während
sie in stillen Stunden der Dichtkunst frönte und zwei Gedichtbände
veröffentlichte: „Träumereien“ (1905) und „Gedanken in Gedichtform“ (…
Darin reimte sie, was das Zeug hielt, und ließ dabei kein Klischee aus. Da
tauchte der in dieser Zeit übliche „Pierrot“ auf, der natürlich
überglücklich war, gern ließ sie die Blätter welken, reimte melodramatisch
über die „schöne Königsfrau“ und ersparte den Lesern auch nicht ihr
„Boudoire“. Peitschen schwingende „Masseuse“ und Dichterin – was für…
seltsame Kombination. Dann kam die Nacht vom 7. auf den 8. Oktober 1909, in
der die Karriere der Gräfin ein jähes und für sie tragisches Ende fand.
„Und zum Schluss? Ein bisschen Staub, eines Lüftchens leichter Raub,
nimmermehr zu finden“, hieß es in einem ihrer Gedichte, nicht ahnend, dass
ihr eigenes Ende sie vorzeitig ereilen und sie – umtost vom dröhnenden
Schuss aus einer Pistole – ihr Leben aushauchen würde.
Anm. der Redaktion: In einer früheren Fassung des Beitrags wurde der
Todestag von Strachwitz' 1909 auf „vor 125 Jahren“ datiert. Korrekt ist
natürlich „vor 115 Jahren“.
8 Oct 2024
## LINKS
[1] /Prostituiertenschutzgesetz-in-Sachsen/!5480610
[2] /200-Todestag-des-Marquis-de-Sade/!5027287
## AUTOREN
Bettina Müller
## TAGS
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