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# taz.de -- Ein Berliner Kriminalfall vor 100 Jahren: Die unsterbliche Ehefrau
> Bruno Schreiber erschlug seine Frau im Streit. Dann schmückte er sie mit
> Blumen. Sein Freund, der Kriminalkommissar Trettin, musste ihn
> festnehmen.
Bild: Kriminalkommissar Trettin auf einem alten Foto, es ist der Mann links hin…
Der Jahresbericht 1915 des Berliner Lessing-Gymnasiums enthält nicht nur
die üblichen Namensverzeichnisse der Abiturienten, sondern listet auch die
Ehemaligen auf, die sich für den Kriegsdienst gemeldet haben. Darunter der
Philosophiestudent Bruno Schreiber und dessen Freund, der Theologiestudent
Otto Trettin. Sie sind Freunde, die fünf Jahre zuvor zusammen ihr Abitur
gemacht haben, aber aus unterschiedlichen Milieus stammen.
Schreiber ist 1891 in Hermsdorf als unehelicher Sohn der Minna Rosenfeld
zur Welt gekommen – seine Mutter hat den Kindsvater, den Redakteur Willy
Schreiber, erst ein Jahr später geheiratet. Trettin wiederum ist der Sohn
eines Lehrers aus Pommern. Er studiert mit Stipendium.
Während Schreiber im Ersten Weltkrieg schon bald wieder von der Front nach
Hause zurückkehren muss, weil er als Gefreiter im Luftschiffer-Bataillon
aus einem brennenden Fesselballon gesprungen und mit dem Kopf auf dem
steinigen Boden aufgeschlagen ist, verliert Trettin als Gefreiter im Gardes
du Corps-Regiment einen Arm. Beide überleben den Krieg. Danach bricht
Trettin sein Studium aus unbekannten Gründen ab und tritt in den Dienst der
Berliner Kriminalpolizei ein.
Währenddessen genießt Schreiber sein Studentenleben und ist dabei dem
Alkohol nicht ganz abgeneigt. Das flotte Leben endet, als seine Freundin
Martha, die Tochter eines Schlächtermeisters, von ihm schwanger wird. Das
Paar heiratet.
## Das Ehepaar erlebt schöne Zeiten
Während Kriminalkommissar Trettin in der Folge vor allem in der
Raubmordabteilung Karriere macht, kommt Bruno Schreiber beruflich nicht
vorwärts, trotz abgeschlossenen Studiums und Doktortitels. Seine Ehe ist
zunächst glücklich. Theaterbesuche, Reisen an die See, Besuch von
Boxkämpfen und Regatten.
Das Ehepaar erlebt schöne Zeiten. Doch der dringende Wunsch Schreibers nach
einem männlichen Erben belastet zunehmend die Beziehung, vor allem als der
1916 geborene Sohn Günther kurze Zeit später stirbt und Martha auch noch
zwei Fehlgeburten hat. Der von Bruno Schreiber ersehnte männliche Erbe
rückt in immer weitere Ferne, während seine Ehefrau gar kein Kind mehr
möchte.
Beruflich hängt Bruno Schreiber – so seine Sichtweise – beim Tegeler
Anzeiger in Hermsdorf fest, und das als Studienreferendar, was in seinen
Augen wohl eine Schmach ist. Schreiber versteht nicht, dass er immer noch
mehr hat als andere Menschen, die in diesen Zeiten verzweifelt eine Arbeit
suchen. Ständige Konflikte sind das Resultat, als Schreiber immer
erratischer wird und auch immer mehr trinkt.
Der 4. Dezember 1924 wird zum Auslöser einer Katastrophe. An diesem Tag
kündigt Schreiber seinen Redakteursjob. Einfach so, weil er Angst hat, in
der Provinz zu versauern – gefährliche Eitelkeit.
## Gelbe Strohblumen
Natürlich macht Martha ihm Vorwürfe, seine Stelle zu leichtfertig
aufgegeben zu haben. Als sie ihm dazu noch eröffnet, dass sie unter diesen
Umständen keinesfalls noch ein Kind bekommen möchte, dann sogar andeutet,
es notfalls abtreiben zu wollen, sieht Schreiber rot und greift zu einem
Hammer, der in Reichweite liegt. Rasend vor Wut schlägt er damit auf seine
Frau ein. Nicht ein Mal, nicht zwei Mal, sondern mindestens drei,
vielleicht auch vier Mal. Und da liegt Martha, mit der er auch so schöne
Zeiten erlebt hat, blutüberströmt und rührt sich nicht mehr.
Große Reue überkommt den Täter und in der Verzweiflung über seine Tat eine
merkwürdige, weil illusorische Fürsorge. Er wickelt die sterbende Frau in
Decken ein und flößt ihr Milch ein, um ihre Lebensgeister zu wecken. Danach
legt er sie ins Bett. Tagelang hält er neben ihr eine Totenwache ab, bevor
er sie auf dem Dachboden versteckt und sie dann mit gelben Strohblumen
schmückt. Ironie des Schicksals, denn diese Blumen heißen auch
„Immortellen“ – ein Wort, dessen Ursprung französisch ist und
„Unsterbliche“ bedeutet. An Heiligabend meldet Schreiber seine Frau bei der
Polizei als vermisst.
Drei Monate später fehlt von Martha immer noch jede Spur. Am 3. März 1925
steht auf einmal Bruno Schreibers Mutter vor der Tür ihres Sohnes in der
Koloniestraße. Sie will nun doch noch einmal nach Hinweisen fahnden. Die
Suche führt sie schließlich auch auf den Dachboden des Hauses, wo sie alles
gründlich durchsucht und schließlich in einer Ecke in einem Verschlag –
wohin sich an trüben Wintertagen so gut wie kein Licht verirrt – ein sehr
großes Paket findet.
Jemand hat den Inhalt mit viel Zeitungspapier, Segelleinen, Badelaken und
Tüchern eingewickelt. Es ist ein Paket des Grauens, denn darin findet die
Frau ihre Schwiegertochter Martha. Die Leiche ist zum größten Teil schon
mumifiziert. Besonders sorgsam hat jemand den Kopf mit Wolltüchern
eingepackt. Doch was ist das? Jemand hat die Tote tatsächlich mit
Strohblumen geschmückt. Marthas Lieblingsblumen! Entsetzt weicht sie zurück
und eilt davon, um die Polizei zu alarmieren.
## In Untersuchungshaft
Die rückt auch schnell an und will den einzigen Tatverdächtigen, Bruno
Schreiber, zur Rede stellen. Doch das gestaltet sich als schwierig, weil er
sich in der Zwischenzeit im Bad eingeschlossen hat und droht, sich
umzubringen. Es dauert lange, bis Kriminalkommissar Otto Trettin ihn davon
überzeugen kann, die Türe zu öffnen. Die Handschellen schließen sich um
Schreibers Handgelenke und er wird in Untersuchungshaft gebracht. Bei der
Durchsuchung der Wohnung findet die Polizei in der Küche schließlich auch
die Tatwaffe.
Es dauert nicht lange und der Mann bricht im Verhörraum des
Polizeipräsidiums am Alexanderplatz zusammen und gesteht die Tat. Die
Obduktion hat derweil ergeben, dass der Tod durch Zertrümmerung der
Schädeldecke eingetreten ist, durch drei oder vier wuchtige Schläge.
Im Verhörraum wird es still, als Trettin und seine Kollegen Schreiber immer
weiterreden lassen, der mehrmals behauptet, dass er in Notwehr gehandelt
habe, weil seine Frau während eines Streits eine Waffe auf ihn gerichtet
habe. „Gattenmord im Norden“, tönt es schon bald überall in Berlin, als
sich die Zeitungen förmlich vor Sensationsmeldungen überschlagen, obwohl zu
diesem Zeitpunkt noch nichts Weiteres über den Fall und vor allem über das
Tatmotiv und die Hintergründe bekannt ist. Ganz besonders schnell hat sich
nämlich das pikante Detail herumgesprochen, dass Kommissar Otto Trettin
seinen besten Freund Bruno Schreiber hatte verhaften müssen. Was für eine
peinliche Angelegenheit für die Berliner Kriminalpolizei.
Am 19. Oktober 1925 beginnt die Verhandlung vor dem Schwurgericht des
Berliner Landgerichts II. Die Anklage lautet auf Totschlag, und das
vorsätzlich, aber ohne Überlegung. Schreiber bleibt auch vor Gericht bei
seiner Aussage, dass er in Notwehr gehandelt habe.
Der Mann sah auf den ersten Blick gar nicht aus wie ein eiskalter Mörder,
berichtete der Berliner Gerichtsreporter „Sling“ (Paul Schlesinger) damals:
Demnach saß da nur „ein kleiner, zierlicher Mann mit klugen Augen“ auf der
Anklagebank. Der zudem wie ein „soignierter Intellektueller“ wirkte. Doch
dieser „soignierte“ (gepflegt, seriös – Anm. d. Red.) Mann hatte seine
Ehefrau brutal erschlagen, die laut Schreiber ein reizbares und
zanksüchtiges „Mannweib“ gewesen war. Und zwar mit mehreren Hammerschläge…
Dabei hätte ein einziger dieser kraftvollen Schläge gereicht, um ihren Tod
herbeizuführen. Fassungslos werden die Zuschauer im Gerichtssaal der
Geschichte dieses Ehedramas gelauscht haben.
## Eine Episode aus Schreibers Vergangenheit
Es war eine komplizierte Gemengelage, dieser merkwürdige Fall des Dr. Bruno
Schreiber. Während des Prozesses kommt schließlich eine Episode aus
Schreibers Vergangenheit zur Sprache, die beweist, dass der Mann schon vor
dem Ersten Weltkrieg große Probleme damit hatte, seine Wut im Zaum zu
halten, und sich in der Folge völlig unverhältnismäßig verhielt. Schreiber
hatte nämlich in der Nacht zum 27. Dezember 1910 in einem Abteil des
Vorortzuges der Bahnstrecke Oranienburg–Berlin aus unbekannten Gründen mit
einem anderen Fahrgast Streit bekommen.
Jemand hatte schließlich die Notbremse gezogen und am nächsten Bahnhof
hatte man die Personalien der Streithähne feststellen wollen. Doch
Schreiber hatte sich massiv gewehrt und sich aufgeführt wie ein Berserker
und sich geweigert, das Abteil zu verlassen, die Beamten beschimpft und
einem der Männer unvermittelt ein Bein gestellt, sodass er gestürzt war.
Wegen dieses Vergehens war der Student Schreiber schließlich von einem
Berliner Schöffengericht wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt und
öffentlicher Beleidigung zu einer dreitägigen Karzerhaft verurteilt worden.
Diese Episode aus Schreibers Leben deutete eher auf einen Affekttäter hin,
der den Mord an seiner Ehefrau keinesfalls geplant hatte. In Kombination
mit der kriegsbedingten hirnorganischen Verletzung war das nicht ganz
ungefährlich. Das Schwurgericht verurteilte Bruno Schreiber schließlich
wegen Totschlags an seiner Frau zu dreieinhalb Jahren Gefängnis unter
Zubilligung mildernder Umstände.
Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis zog er nach Düsseldorf, wo er eine
Stelle als Redakteur fand. Er heiratete erneut und am 4. September 1936
erfüllte sich sein sehnlichster Wunsch: Sein Sohn Peter wurde geboren.
Zu einem unbekannten Zeitpunkt ist die Familie Schreiber nach Gommern im
heutigen Sachsen-Anhalt gezogen. Dort ist der Mann, der seine tote Ehefrau
mit Blumen schmückte, am 3. Januar 1971 gestorben.
4 Dec 2024
## AUTOREN
Bettina Müller
## TAGS
Geschichte Berlins
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Kurt Tucholsky
Schwerpunkt Stadtland
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