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# taz.de -- Weibliche Arbeitswelt in der Ukraine: Frauen auf den Traktor
> Tausende Ukrainer sind an der Front und fehlen im zivilen Leben. Darum
> arbeiten jetzt verstärkt Frauen in einstigen „Männerberufen“.
Bild: Junge Frauen im westukrainischen Kolki werden zu Traktoristinnen ausgebil…
Luzk taz | Die Geschichte wiederholt sich: Wie schon in der Zeit nach dem
Zweiten Weltkrieg erlernen Frauen in der Ukraine Berufe, die gemeinhin als
„männlich“ galten – sie werden Bauarbeiterin, Energieingenieurin oder
Busfahrerin. Männer, die vor Beginn von Russlands Angriffskrieg auf die
Ukraine 2022 auf den Feldern arbeiteten, übernehmen in den ukrainischen
Streitkräften meist Jobs als Fahrer oder Mechaniker von Panzern und
Infanterie-Kampffahrzeugen. Sie sind dort mittlerweile Gold wert. Während
die Mobilisierung weitergeht, müssen sich Frauen daher ans Steuer von
Traktoren und Mähdreschern setzen.
In der westukrainischen Stadt Kolki (Region Wolhynien) werden gerade 50
Mädchen und Frauen im Umgang mit Traktoren geschult, weil ihre Ehemänner
oder Väter zum Militärdienst eingezogen wurden, sie aber zu Hause
Ausrüstung und Land haben, das bewirtschaftet werden muss. Im örtlichen
Berufsbildungszentrum ist auch Julia Nevidjuk anzutreffen. Sie ist 16 Jahre
alt und lernt bereits im zweiten Jahr, einen Traktor zu fahren. Sie sagt,
das sei ein Kindheitstraum.
„Jetzt in Kriegszeiten werden die Jungs mobilisiert. [1][Da gibt es im
Frühjahr niemanden für die Aussaat, und die Ernte wird im Herbst
eingebracht]. Wir jungen Frauen werden die Männer ersetzen, egal wie man
das findet“, sagt Julia.
## Wer, wenn nicht sie?
Darya, Auszubildende im zweiten Lehrjahr, wollte Schneiderin werden. Doch
mit dem Beginn des Krieges hat sie sich umentschieden. „Manchmal werde ich
gefragt: Warum hast du dir das ausgesucht? Vielleicht hättest du lieber
Köchin werden sollen. Das passt besser zu einer jungen Frau als der Beruf
Traktoristin. Aber wer, wenn nicht wir Frauen, muss jetzt anpacken? Meine
Verwandten haben mich sehr unterstützt. Ich werde hier sein, um unser Land
zu bearbeiten und Getreide für Brot anzubauen“, sagt Darya.
Manchmal kommen auch [2][die Töchter von Wehrpflichtigen], um Traktor
fahren zu lernen – sie ersetzen ihre Väter.
„Mädchen lernen leichter“, ist Juri Matwitschuk, rechte Hand des Meister,
überzeugt. Er erinnert sich, dass es Frauen zu Sowjetzeiten aufgrund
schädlicher Arbeitsbedingungen verboten war, eine Ausbildung zur
Traktoristin zu absolvieren. Starke Vibrationen würden sich schädlich auf
den weiblichen Körper auswirken, hieß es. Doch die Technik und die
Anforderungen hätten sich seitdem verändert.
## Berufsausbildung für alle Altersgruppen
Das Berufsbildungszentrum in Kolki verfügt über 36 Traktoren und ein
Übungsgelände. Hier findet der praktische Unterricht statt. Jedes Jahr
bilden ähnliche Einrichtungen in der Region bis zu 800 Fachkräfte aus. Doch
der Bedarf an Menschen in diesem Beruf wächst ständig, da Wolhynien eine
landwirtschaftlich geprägte Region ist.
Die Direktorin des Zentrums, Ljudmila Panasjuk, ist ebenfalls ausgebildete
Traktoristin. Sie sagt, dass nicht nur Mädchen nach der Schule kämen, um
Männerberufe zu erlernen, sondern auch ältere Frauen, deren Männer jetzt im
Krieg seien.
„Viele Landwirte aus meiner Region sind bereits im Krieg: 300 Menschen aus
13 Dörfern. „Das sind Besitzer landwirtschaftlicher Betriebe und ihre
Arbeiter“, sagt Ruslan Chomytsch, Vorsitzender des Bauernverbandes der
Region Wolhynien.
Er erinnert an den sogenannten Witwenpflug – eine alte Tradition in der
Ukraine, bei der im Frühjahr die Menschen im Dorf denjenigen Frauen bei der
Bestellung ihrer Felder halfen, die auf ihre Ehemänner aus der Armee
warteten. Oder Witwen, die im Krieg ihre Männer verloren hatten.
## Männermangel in Landwirtschaft, Baugewerbe und Industrie
Aufgrund der Mobilisierung von Männern gebe es nicht nur im Agrarsektor,
sondern auch im Baugewerbe und in der Industrie Personalmangel, sagt
Ewgenia Kuzenkowa, Herausgeberin des Jobportals Work.ua, in einem Interview
mit Liga. In diesem staatlichen Infoportal sind statistische Daten zu
verschiedenen Bereichen zu finden.
Für einen Geschäftsmann ist es sehr schwierig, Elektro- und Gasschweißer,
Mechaniker, Elektriker oder Fahrer zu finden. Daher beschäftigen
Arbeitgeber Frauen zunehmend in Positionen, die für sie bisher untypisch
waren – auch unter Tage oder als Elektrikerin. Um den Fachkräftemangel zu
überwinden, investieren Unternehmen in die Umschulung von Frauen, aber auch
der Staat ist an der Finanzierung von Ausbildungen beteiligt.
Früher gab es in der Ukraine etwa 450 Berufe, in denen Frauen aufgrund
schwieriger und schädlicher Arbeitsbedingungen nicht tätig sein durften,
insbesondere in der Metallverarbeitung, im Baugewerbe und im
Eisenbahnverkehr. Seit 2017 ist in der Ukraine die Geschlechtertrennung für
Berufe abgeschafft, Klischees über rein „weibliche“ und „männliche“ B…
bestehen jedoch weiter.
Der Krieg räumt mit diesen Stereotypen nach und nach auf. Die
Wirtschaftsministerin, Julia Sviridenko, sagte, dass seit 2023 immer mehr
Frauen in der Industrie, im Baugewerbe und im Bergbau arbeiteten. Sie
prognostiziert, dass die meisten Frauen in der Ukraine nach dem Krieg
[3][im Energiesektor], im Transportwesen und in der Waffenproduktion tätig
sein werden.
Aus dem Russischen Barbara Oertel
2 May 2024
## LINKS
[1] /Weizenkrise-durch-Ukraine-Krieg/!5861198
[2] /Wehrpflicht-in-der-Ukraine/!5999204
[3] /Energieversorgung-in-der-Ukraine/!5961270
## AUTOREN
Juri Konkewitsch
## TAGS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Landwirtschaft
Ausbildung
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Arbeitsmarkt
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