# taz.de -- Weltkriegsgedenken in der Ukraine: Stilles Erinnern an die Toten | |
> Zum Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges am 8. Mai trauern die | |
> Ukrainer*innen vor allem um die Opfer von Russlands Angriffskrieg. | |
Bild: Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkriegs am 8. Mai in Tscherkassy | |
ODESSA/LWIW taz | Russlands Angriffskrieg überschattet in der Ukraine auch | |
das Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkriegs. In den Nächten zum 8. und | |
9. Mai überzog Russland das Nachbarland mit einer Serie von Raketen- und | |
Drohnenangriffen. | |
Eine solche Gegenwart beeinflusst auch den Blick auf die Vergangenheit. In | |
Odessa erinnert sich der 1990 geborene Oleksandr an seine Kindheit. „Wir | |
haben im Chor vor den Veteranen gesungen. Die alten Männer hatten Tränen in | |
den Augen.“ | |
Später hätten seine Großeltern auch von anderen Teilen der Geschichte | |
berichtet – den stalinistischen Repressionen und [1][dem Holodomor, der | |
menschengemachten Hungersnot in der Ukraine]. „Wir erinnern uns heute mehr | |
an die Opfer, statt einen Sieg zu feiern.“ Paraden wie in Moskau gab es in | |
der Ukraine auch in Friedenszeiten nicht. „Eine Nation, die nur stolz auf | |
die Vergangenheit ist, hat keine Zukunft“, meint er. | |
Anders als Russland gedenkt die Ukraine dem Ende des Zweiten Weltkriegs am | |
8. Mai. Am Morgen legen in Odessa Vertreter von Rathaus, Kirchen und | |
Militär Kränze am Denkmal des unbekannten Matrosen nieder. Dort brennt am | |
Fuße eines Obelisken am Hang über der Bucht eine ewige Flamme. | |
## Eine Handvoll Menschen | |
Am frühen Nachmittag sind kaum Blumen dazugekommen. An dem Gedenkort im | |
Schewtschenko-Park sind nur eine Handvoll Menschen unterwegs – allerdings | |
ist auch gerade Luftalarm. Eine Lautsprecherdurchsage weist den Weg zum | |
nächsten Schutzraum. | |
Größere Veranstaltungen finden nicht statt. Und arbeitsfreie Feiertage gibt | |
es unter Kriegsrecht nicht. Die Menschen gehen arbeiten, einkaufen, einige | |
sitzen am späteren Nachmittag vor einem Café in der Innenstadt. Auf den | |
Fernsehbildschirmen läuft die Wiederholung des Champions League Spiels vom | |
Vorabend. In der oberen rechten Bildecke sind eine Kerze und eine Kornblume | |
als Symbole des Gedenkens eingeblendet. | |
Unruhig wird es nur, als ein Kampfjet geräuschvoll über die Stadt fliegt. | |
Ein Gast eilt ins Innere des Gebäudes, ein anderer rennt auf die Straße und | |
blickt dem Flugzeug nach: „Unserer!“, er schaut erleichtert. | |
Katja muss erst nachdenken, bevor sie antwortet. Die Nacht war kurz. Es gab | |
mehrmals Alarm. Der Tag stimme sie traurig. „Ich habe den Eindruck, dass | |
die Menschheit aus all den Gräueltaten vor 80 Jahren keine Lehren gezogen | |
hat“, sagt sie. „Wenn ich dieses ‚Nie wieder‘ höre, kommt es mir vor w… | |
eine Verspottung der Menschen, die damals gestorben sind und die heute | |
sterben.“ | |
## Brote für zwölf Stunden Fahrt | |
Im Zug aus Odessa nach Lwiw macht es sich Andrii gemütlich. Er hat Brote | |
mitgebracht für die zwölfstündige Reise durch die Nacht. Der Schaffner | |
bringt schwarzen Tee. Der Tag sei ein wichtiges historisches Datum, sagt | |
er. Aber persönlich habe er wenig Bezug dazu. Sein Großvater habe im | |
Zweiten Weltkrieg gekämpft, aber den habe er nie kennengelernt. „Wir | |
trauern jeden Tag. Um ehrlich zu sein, das beschäftigt mich im Moment viel | |
mehr.“ | |
Ganz ohne offizielle Bedeutung ist der 9. Mai in der Ukraine jedoch auch | |
nicht. Nun heißt er Europatag. Vor dem Rathaus von Lwiw weht außer der | |
ukrainischen auch die EU-Fahne. Neben dem Eingang steht eine Infotafel, die | |
über den jüngsten Gefallenen aus der Stadt berichtet. „Er starb am 1. Mai.�… | |
Unter der Tafel brennt ein Grablicht. | |
In seiner abendlichen Videoansprache zieht Präsident Wolodymyr Selenskyj | |
historische Parallelen. Er fordert eine Anti-Putin-Koalition. „Die ganze | |
Welt muss klar verstehen, wer wer ist. Die ganze Welt hat kein Recht, dem | |
Nazismus eine weitere Chance zu geben.“ Gemeinsam müsse man die neuen Nazis | |
aus Moskau aufhalten. „Nicht mit Worten, sondern mit Taten.“ | |
In der Nacht zum 8. Mai hatte Russland erneut die Energieinfrastruktur in | |
mehreren ukrainischen Regionen attackiert. Wie Luftwaffenchef Mikola | |
Oleschtschuk auf Telegram mitteilte, seien 55 Raketen sowie 21 Drohnen | |
eingesetzt worden. Davon konnten 39 Raketen und 20 Drohnen abgefangen | |
werden. Es wurden Einschränkungen bei der Stromversorgung angekündigt. In | |
der folgenden Nacht [2][war die Region Odessa das Ziel eines | |
Drohnenangriffs]. 17 von 20 seien zerstört worden. | |
9 May 2024 | |
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## AUTOREN | |
Marco Zschieck | |
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