| # taz.de -- Krieg in der Ukraine: An der Front statt auf dem Acker | |
| > Die Ukraine braucht Soldaten – deswegen fehlen ihr Arbeitskräfte. Auch | |
| > Anwerbung im Ausland soll Abhilfe schaffen. | |
| Bild: Auch im Landwirtschaftssektor fehlen Arbeitskräfte | |
| Luzk taz | Die Stadt Luzk im Westen der Ukraine morgens um sechs, am | |
| Werkstor der Fabrik für Pkw-Kabelbäume. Einige Soldaten in | |
| Polizeibegleitung kontrollieren die Ausweisdokumente der Männer, die aus | |
| der Nachtschicht zur Frühstückspause gehen. Einige lassen sie weiter, | |
| anderen stellen sie eine Vorladung auf das Einberufungsamt aus. Mitarbeiter | |
| dieser Fabrik, wie auch vieler anderer Betriebe, sind bereits im | |
| russisch-ukrainischen Krieg gefallen. [1][Aber die Mobilmachung geht | |
| weiter]. Und damit auch der Verlust von Arbeitskräften für die Fabrik. | |
| Im Agrarbetrieb von Serhij Kotschubej im westukrainischen Wolyn arbeiten | |
| außer ihm noch fünf weitere Männer. Erst vor Kurzem wurden zwei von ihnen | |
| eingezogen. Jetzt sind insgesamt schon vier seiner Arbeiter an der Front. | |
| Der 24-jährige Bohdan Hlum arbeitet als Traktorist in dem Betrieb. Früher | |
| fuhr der junge Mann zum Arbeiten nach Polen, aber als er Arbeit in der | |
| Ukraine fand, kam er zurück in seine Heimat. Er sei noch nicht einberufen | |
| worden, erzählt er, deshalb werde er weiter auf dem Feld arbeiten. | |
| Um den Agrarsektor zu unterstützen, verlängerte die Regierung die | |
| Mobilmachungsfrist für Arbeiter in der Landwirtschaft, jedoch für nicht | |
| mehr als die Hälfte der Männer in einem bestimmten Betrieb. | |
| Das benachbarte Gebiet Lwiw ist nur einen Schritt vom Verkehrskollaps | |
| entfernt. Aktuell fehlen 90 Straßenbahn- und 120 Busfahrer. Die Stadt | |
| bietet jetzt kostenlose Schulungen für Frauen an, die in diesen Berufen | |
| arbeiten wollen. | |
| ## Programm für Frauen | |
| Der Mangel an Lkw-Fahrern bringt auch den internationalen Güterverkehr in | |
| Schwierigkeiten. „Wir haben 46 Fahrzeuge“, erzählt der Inhaber der | |
| Spedition Inter Trans Logistik, Viktor Berestenko. „Davon sind nur 20 bis | |
| 30 im Einsatz, weil wir zu wenige haben, die hinter dem Lenkrad sitzen | |
| können. Einige unserer Fahrer sind von Fahrten ins Ausland nicht | |
| zurückgekommen, sie haben unsere Lkw dort stehen lassen und möchten nicht | |
| zurückkommen. Einige sind nach der Verabschiedung des Mobilmachungsgesetzes | |
| in Panik geraten und haben gekündigt. Die Arbeit unseres Unternehmens ist | |
| lahmgelegt.“ | |
| Als Folge der Mobilmachung werde die Ukraine jetzt [2][ein staatliches | |
| Programm zur Ausbildung von Frauen zu Lkw-Fahrer*innen starten], sagte | |
| der stellvertretende Verkehrsminister Serhiy Derkatsch. | |
| „Während des Krieges ist der Personalmangel fast das größte Problem der | |
| Firma Interpipe geworden“, steht auf der Firmenwebsite. Das Unternehmen | |
| stellt nahtlose Rohre und Eisenbahnräder her. „Aktuell haben wir einen | |
| Personalmangel von 12, in einigen Abteilungen sogar von 25 Prozent.“ | |
| Der Arbeitskräftemangel ist auch auf Baustellen zu spüren. Nach Angaben des | |
| Arbeitgeberverbands der Ukraine ist in den zwei Jahren seit Kriegsbeginn | |
| die Zahl der offiziell registrierten Bauarbeiter um 25,4 Prozent | |
| zurückgegangen. Inhaber von Baufirmen wollen jetzt gezielt Migranten | |
| anwerben. | |
| ## Langfristiger planen | |
| Ein Bauunternehmer in Iwano-Frankiwsk hatte unlängst eine positive | |
| Nachricht zu vermelden: die Ankunft von etwa 50 Arbeitskräften aus dem | |
| Ausland. Aktuell betreut die Firma 35 Projekte. Dafür benötigen sie Maurer, | |
| Betonbauer und Hilfskräfte. | |
| Bauunternehmen suchen Arbeitskräfte in der Republik Moldau, in Usbekistan | |
| und Aserbaidschan. Ausländer sind nicht von der Mobilmachung betroffen und | |
| so können die Unternehmen langfristiger planen. | |
| Laut einer Arbeitsmarktstudie der European Business Association sind fast | |
| drei Viertel aller Firmen in der Ukraine mit einem Mangel an Arbeitskräften | |
| konfrontiert. Im Herbst 2023 waren es rund 50 Prozent. Der Arbeitsmarkt | |
| gleiche in letzter Zeit einer menschenleeren Wüste: Von Tag zu Tag gebe es | |
| weniger Arbeitssuchende, der Wettbewerb um offene Stellen nehme stetig ab. | |
| So lautet der Befund von Analysten eines Jobportals zur aktuellen Lage auf | |
| dem ukrainischen Arbeitsmarkt. Ein Grund für diese Situation ist auch der | |
| Umstand, dass seit Kriegsbeginn etwa 5 bis 7 Millionen Menschen ins Ausland | |
| gegangen sind. | |
| Mittlerweile wurden drei Gesetzesentwürfe zur „Rückstellung von der | |
| Mobilmachung aus wirtschaftlichen Gründen“ vorgelegt. Einer sieht die | |
| Rückstellung eines Arbeitnehmers unter der Bedingung vor, dass der | |
| Arbeitgeber monatlich 20.400 Hrywnja (500 Euro) „Kriegsabgabe“ zahlt. | |
| Zurückgestellt werden können auch diejenigen, deren Nettogehalt mindestens | |
| 36.000 Hrywnja (knapp 800 Euro) beträgt. Der dritte Gesetzentwurf | |
| kombiniert Gehaltskriterien mit der Zahlung einer Abgabe von mehr als | |
| 20.000 Hrywnja (440 Euro). | |
| Aus dem Ukrainischen von Gaby Coldewey | |
| 30 Jul 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Juri Konkewitsch | |
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