| # taz.de -- Berliner Philharmoniker übers Musizieren: „Ich war nicht so der … | |
| > Dominik Wollenweber spielt seit 30 Jahren Englischhorn bei den Berliner | |
| > Philharmonikern. Ein Gespräch über traurige Melodien und glückliche | |
| > Momente. | |
| Bild: Dominik Wollenweber mit seinem Instrument, dem Englischhorn, in der Berli… | |
| Kantine [1][der Berliner Philharmonie], hinter dem Tresen geschäftiges | |
| Treiben in Erwartung hungriger Gäste. Vom Saal her weht der Schluss von | |
| Isoldes Liebestod herbei, Generalprobe für das Konzert am Abend. Wenig | |
| später öffnen sich die Türen, füllt sich der Raum mit den Philharmonikern. | |
| Aus der Menge ragt einer heraus: Dominik Wollenweber, der Englischhornist, | |
| lang und schlank wie sein Instrument, das zur Oboenfamilie gehört und immer | |
| zum Einsatz kommt, wenn’s melancholisch wird. Mit ihm wollen wir über | |
| Hausmusik sprechen und über Kinder, die ein Instrument lernen und sogar | |
| dabeibleiben. Wollenweber kennt sich damit aus: Er und seine Frau, | |
| Solo-Oboistin im Konzerthausorchester, haben sechs Kinder, alle spielen ein | |
| Instrument. Wer Wollenweber auf Instagram folgt, erlebt manchmal | |
| Mini-Hauskonzerte: der Abendsegen aus Humperdincks Oper „Hänsel und | |
| Gretel“, für Oboe, Flöte, Englischhorn, Posaune, Cello und Geigen oder die | |
| „Winnetou“-Filmmusik – auf Socken oder Schlappen zu Hause im Wohnzimmer. | |
| wochentaz: Herr Wollenweber, gerade haben wir hier Isoldes Liebestod | |
| gehört. Haben Sie da viel zu tun mit Ihrem Englischhorn? | |
| Dominik Wollenweber: Nein, nicht so wahnsinnig. In der Oper ansonsten ja, | |
| da gibt es die berühmte Hirtenmusik, da spielt man ganz alleine backstage, | |
| und der Sänger auf der Bühne tut so, als würde er das spielen. | |
| Typisch Englischhorn: immer allein, immer schön, meistens schwermütig. | |
| Ja! Melancholisch, lyrisch, traurig, das ist meine Rolle – und es nervt! | |
| Ja? | |
| Nein, eigentlich nicht. Aber ich bin so festgelegt. | |
| Man hört Englischhorn nur selten, aber wenn es kommt, schmelzen alle dahin. | |
| Berühmtestes Solo ist das aus der Neunten von Dvořák, „Aus der Neuen Welt�… | |
| Ist das schwierig? | |
| Das kann ich gar nicht so schlecht spielen, dass nicht alle Leute sagen: | |
| [2][Ach, war das schön!] Da müsste ich schon auf eine falsche Klappe | |
| drücken. | |
| Selten spielen kann aber riskant sein. | |
| [3][Bei Gustav Mahler] ist es oft so, dass ich fast nie spiele, und wenn | |
| ich spiele, spiele ich allein. In seiner Neunten ist es extrem. Da haben | |
| die Streicher 90 Seiten, ich habe vier und bin der letzte Bläser, der | |
| spielt – mit relativ heiklen Sachen. | |
| Wie ist das? | |
| Auf der einen Seite toll: Ich spiele, alle hören zu und alle finden mich | |
| ganz wunderbar. Auf der anderen Seite kann das ein ziemlicher Druck sein. | |
| Wenn ich nur genau ein Solo zu spielen habe, nur acht Töne, und von den | |
| acht Tönen funktioniert einer nicht, dann hab ich eine sehr schlechte | |
| Trefferquote im Vergleich zu einem Streicher, der von 100.000 Tönen 20 | |
| danebengesetzt hat. Der geht trotzdem glücklich nach Hause. | |
| Was kann schiefgehen beim Englischhorn? Bei den Hörnern und Trompeten gibt | |
| es diese Kiekser. | |
| Kieksen kann ich auch! Oder dass ein Ton lauter und härter ist, als man | |
| möchte. Oder plötzlich ist der Ton ganz weg. Englischhorn und Oboe sind | |
| prädestiniert dafür. | |
| Liegt das an diesen kleinen, hölzernen Mundstücken? | |
| Rohre heißen die. | |
| Bauen Sie die selbst? | |
| Wer Oboe spielt, baut sich seine Rohre selbst. Aber ich habe das Glück, | |
| dass ich meiner Frau manchmal welche stibitzen kann. Weil ich mit ihren | |
| schlechten Rohren ganz gut zurechtkomme. | |
| Wie wichtig sind die Rohre? | |
| Sehr wichtig. Sie zu bauen ist eine Wissenschaft für sich. So, wie man das | |
| Instrument lernt zu spielen, so lernt man auch, die Rohre zu bauen. Das ist | |
| genauso kompliziert, genauso komplex. | |
| Was ist das Problem? | |
| Es ist Holz, und man ist von der Qualität des Holzes abhängig, von der | |
| Feuchtigkeit, vom Vollmond und von sonst was. Wenn man Rohre baut, weiß man | |
| nie, ob es was wird oder nicht. Jetzt habe ich zum Beispiel gerade ein | |
| neues Rohr. Das ist noch nicht so, wie ich es mir vorstelle, und ein | |
| älteres funktioniert auch nicht mehr so gut. Also, ich muss heute | |
| Nachmittag noch richtig arbeiten. | |
| Sie müssen da noch dran rumschnitzen oder wie geht das? | |
| Ja, irgendwie rumfummeln. Ich habe so eine Werkzeugtasche mit 1.000 Messern | |
| und allem möglichen Zeugs. | |
| Was ist das für Holz? | |
| Das ist ähm, also … | |
| Oder ist das geheim? | |
| Nein, nein, nein. Das ist so Schilfrohr, was in Südfrankreich angebaut | |
| wird, aber auch einfach so an der Straße rumsteht. | |
| Sie verwahren Ihre Rohre in so einem schönen Holzkästchen mit Ihren | |
| Initialen darauf. | |
| Das hat mir mein Vater geschenkt. Er war Oboist an der Staatsoper in | |
| München. Der hat gerne so ein bisschen vor sich hin geschnitzt und gehobelt | |
| und dann hat er mir das gemacht. | |
| Das Englischhorn sitzt im Orchester ganz am Rand der Bläser. Passt das zu | |
| Ihnen? | |
| Würde ich sagen, ja. Ich bin gerne dabei, aber nicht in der Mitte. | |
| Wie kamen Sie zum Englischhorn? | |
| Ich habe mit Querflöte angefangen, als ich neun war. Das war eigentlich | |
| therapeutisch, weil ich als Kind sehr gestottert habe und meine Eltern | |
| gedacht haben, bei der Flöte fließt es so schön, ohne Druck, das hilft | |
| bestimmt. Dann war ich 14, und meine Eltern haben, weise, wie sie waren, | |
| gedacht, dass ich, obwohl ich schon diesen Berufswunsch geäußert hatte, | |
| vielleicht doch nicht so der Flöten-Typ bin. Außerdem war die Konkurrenz | |
| bei der Flöte damals viel größer. Ich sollte also noch was anderes lernen. | |
| Für ein Streichinstrument war es zu spät mit 14, Klarinette fand ich doof, | |
| Fagott war mir zu langweilig, ich schwankte zwischen Horn und Oboe, dann | |
| wurde es die Oboe, obwohl mein Vater immer gesagt hat, seine Kinder können | |
| alles lernen, nur nicht die Oboe. Er musste dann in den sauren Apfel beißen | |
| und ertragen, dass ich auch Oboist geworden bin. Wir haben aber viel Spaß | |
| miteinander gehabt, haben oft zusammengespielt. Das war super. | |
| Und jetzt sind Sie seit 30 Jahren bei den Philharmonikern. | |
| Da hatte ich einfach Glück. Als ich am Ende des Studiums war, waren sehr | |
| viele sehr große Oboen-Stellen frei. Ich habe mich überall für Solo-Oboe | |
| vorgestellt, aber die wollten mich nicht. Dann habe ich einmal für | |
| Englischhorn vorgespielt, und die wollten mich. Seitdem bin ich hier. Dass | |
| ich nie irgendwo anders war, betrachte ich als Defizit, aber so ist es halt | |
| gekommen. | |
| Ist doch toll, wenn man direkt oben anfangen kann. | |
| Ja, na ja, aber dann ist die Gefahr schon groß, noch mehr von sich | |
| überzeugt, noch überheblicher zu sein als andere, die auch mal erlebt | |
| haben, wie es in weniger guten Orchestern zugeht. Meine Frau ist | |
| Solo-Oboistin im Konzerthausorchester, das ist ja auch ein super Orchester, | |
| und trotzdem sehe ich da in puncto Verwöhntsein oder Nichtverwöhntsein | |
| einen großen Unterschied. | |
| Ihre Frau spielt Oboe, Ihr Vater war Oboist … | |
| … und unser ältester Sohn spielt Oboe und ist sogar in der | |
| Orchesterakademie hier bei uns gelandet. Aus irgendwelchen Gründen, die mir | |
| nicht so ganz klar sind, ist der sehr begabt für das Instrument und hat’s | |
| geschafft, hierhin zu kommen. | |
| Bei Instagram sieht man Ihre Familie manchmal zusammen Hausmusik machen. | |
| Und ich denke: Wie schön, das hätte ich auch gerne. Aber meine jüngere | |
| Tochter hat nach zwei Stunden den Cello-Unterricht aufgegeben und die | |
| ältere hat mit Klavier aufgehört. Was haben Sie richtig gemacht? | |
| Also, ich kann nichts anderes, ich bin Musiker, ich spiele katastrophal | |
| Fußball, ich bin kein Intellektueller. Ich würde gerne auch andere Sachen | |
| weitergeben. Aber das, was ich wirklich kann, ist die Musik. Und mein | |
| erster Vorschlag an meine Kinder war, dass ich das weitergebe, was ich | |
| kann. | |
| Muss man bei Ihnen ein Instrument spielen? | |
| Natürlich ist Musik sehr präsent bei uns. Aber wir haben immer zu den | |
| Kindern gesagt, es ist uns egal, was ihr macht, ihr sollt nur irgendwas | |
| machen. Balint, unser Jüngster, zum Beispiel, der ist zehn, spielt Cello, | |
| hat aber überhaupt keine Lust. Das ist eine Qual für ihn. Wir sagen immer: | |
| Wenn du irgendwas anderes findest, einen Fußballklub, Basketball, Schach | |
| oder keine Ahnung, mach das. Als Musiker lernt man, dass es richtig Spaß | |
| macht, wenn es aufwärtsgeht, dass es aber nicht immer aufwärtsgeht und man | |
| Täler durchschreiten muss. Deswegen hätten wir wahrscheinlich an ihrer | |
| Stelle zu der Tochter mit dem Cello gesagt, ja, okay, du hast jetzt keine | |
| Lust, aber mach mal noch ein bisschen weiter … | |
| … das habe ich auch zu meiner Tochter gesagt: „Komm, bis Ende Februar.“ | |
| Darauf sie: „Aber wenn ich jetzt schon weiß, dass ich keine Lust habe?“ Ich | |
| hab nachgegeben. | |
| Manchmal entwickelt es sich, ohne dass man viel tut. János, der Oboist, hat | |
| ganz nett Klavier gespielt, und dann sollte er hier ans musische Gymnasium, | |
| auch, weil es in der Nähe war. Er wusste, wenn er nicht in den Chor gehen | |
| will, muss er ein Orchesterinstrument lernen. Er hat das angefangen, was | |
| Mama und Papa machen. Oboe. Hat er auch ganz gut gespielt, hat sich aber | |
| nie besonders für Musik interessiert. Als das Abitur in die Nähe kam, hat | |
| er plötzlich gesagt, er will Oboist werden. Das hätte ich nie gedacht. Und | |
| dann wollte er auch noch bei mir studieren und sitzt jetzt im Orchester | |
| manchmal neben mir. | |
| Wie ist es, der Professor des eigenen Sohns zu sein? | |
| Es klappt gut. Sehr gut. Wussten wir am Anfang nicht und haben es | |
| ausprobiert. Nur muss ich mich echt zusammenreißen, kritisch zu sein. Der | |
| spielt so wie ich, nur viel besser. | |
| Gehen wir Ihr Familienorchester mal durch: Sie haben Oboe … | |
| … eine halbe Posaune, weil Laszlo, der Zweitälteste, kaum noch spielt … | |
| … auf Instagram, wo Sie „Winnetou“ spielen, macht er aber mit … | |
| … da musste er, weil uns sonst eine Bassstimme gefehlt hätte … | |
| … ah … | |
| … dann kommen die Mädchen, Katalin und Ildikó, die spielen Geige und | |
| Querflöte, die machen das sehr ernsthaft. Die Größere macht jetzt Abi und | |
| ist am Überlegen, was werden soll. | |
| Und die jüngsten Söhne? | |
| Cello, noch, und Tibor, der größere, spielt sehr gut Geige. | |
| Und dann machen alle Hausmusik und spielen „Hänsel und Gretel“. | |
| Wir haben das zusammen in der Deutschen Oper gesehen. Als wir nach Hause | |
| kamen, dachte ich, ich schreib das jetzt mal für uns um, die Partitur hatte | |
| ich da. Den „Abendsegen“ zusammen zu spielen – total schön. | |
| Sie sagen: So, Kinder, heute mal wieder Hausmusik, und alle machen mit? | |
| So ungefähr. Manchmal klappt’s, und alle haben Lust. Die Probe, die dafür | |
| stattfindet, ist Comedy pur, total nervig! Wir sind zum Beispiel zu sechst, | |
| und der Kleine versteht nicht unbedingt sofort, wann er spielen muss und | |
| welche Vorzeichen da sind. Dann bin ich mal eine Minute mit dem zugange, | |
| währenddessen spielt Katalin ihr Tschaikowsky-Konzert, das sie gerade | |
| probt, und Laszlo an der Posaune sagt: „Och, Papa, wie lang dauert’s noch, | |
| ich muss weg.“ János sagt: „Ich muss Rohre bauen.“ Es ist grauenhaft, ga… | |
| schlimm. Man muss es mit Humor nehmen, eine andere Chance hat man bei sechs | |
| Kindern eh nicht. Und dann macht’s einfach auch sehr viel Spaß. | |
| Wie oft machen Sie das? | |
| Ab und zu. Im Sommer hatten wir ein Hausfest, da haben wir gespielt, wobei | |
| der Posaunist einen Angel-Wettbewerb hatte, und der kleine Geiger hatte | |
| auch irgendwas, da mussten wir mit zwei Aushilfen arbeiten. Die Nachbarin, | |
| die seit Jahrzehnten schon nicht mehr Cello gespielt hat, musste ran. War | |
| lustig. | |
| Wie ist es Ihnen und Ihrer Frau gelungen, dass Sie so ein richtiges | |
| Ensemble haben? | |
| Wir haben niemandem vorgeschrieben, welches Instrument er oder sie lernen | |
| soll. Aber ein bisschen drauf geschaut, dass es passt, haben wir schon. | |
| Sagen Sie Ihren Kindern: „Du musst mal wieder üben“? | |
| Jaaaa, natürlich! Die ganze Zeit, ständig. Aber es sollte schon irgendwann | |
| zu einem Punkt kommen, wo die Kinder das von alleine machen. | |
| Wie kommt man da hin? Drohungen, Belohnungen? | |
| Die Wenn-Sätze helfen sehr: Wenn du das jetzt nicht machst, dann passiert | |
| irgendwas Unangenehmes, oder: Wenn du das machst, dann darfst du danach | |
| das und das. | |
| Ans Handy oder an die Playstation. | |
| Genau so. | |
| Wann haben Ihre Kinder angefangen mit Musikinstrumenten? | |
| Die beiden Geigen mit vier oder fünf. Die anderen mit sechs oder sieben. | |
| Ich kann mich nicht erinnern, dass meine Freunde mit vier, fünf Jahren | |
| außer Klanghölzer aneinanderschlagen schon richtige Instrumente gespielt | |
| haben. Sind wir heutigen Eltern vielleicht etwas überambitioniert, was | |
| unsere Kinder angeht? | |
| Da ist bestimmt was dran. Aber manchmal hilft es auch: Bei Geige, sagt man, | |
| sollte man die Grundlagen gelernt haben, bevor man anfängt nachzudenken. | |
| Geige ist einfach eine totale Quälerei, und deswegen ist es gut, wenn | |
| Kinder das in einem Alter anfangen, in dem sie trottelig machen, was die | |
| Eltern sagen. | |
| Empfehlen Sie irgendein Instrument zum Einstieg? Früher hieß es immer, man | |
| solle erst mal Blockflöte lernen. Abtörnend eigentlich, oder? | |
| Blödflocke sagt man ja auch. Blockflöte, Blödflocke. | |
| Klavier als Einstieg? | |
| Habe ich selbst nicht gelernt. Meine Frau ist Ungarin, und in Ungarn war | |
| zumindest damals noch ein ganz strenger Wind. Da musste jedes Kind, das was | |
| spielen wollte, Klavier lernen und Harmonielehre. Das haben die alle | |
| gehasst, aber sie hatten eine super Ausbildung in den ganz normalen | |
| Musikschulen. | |
| Gibt’s hier nicht. | |
| Das deutsche Modell ist ja so: völlig ohne Druck und … | |
| … spielerisch … | |
| … genau. Nur nach dem Lustprinzip, so ungefähr. In Ungarn oder auch in | |
| Frankreich an der Musikschule muss man Leistung bringen. Einmal im Jahr | |
| gibt es dort eine Prüfung, die musst du bestehen. Du kannst auch | |
| rausfliegen, wenn du nicht genug übst. Ich weiß nicht, was besser ist. Ich | |
| fände eigentlich so ein Mittelding gut. In Deutschland ist es schon sehr | |
| dünne, was den Musikunterricht angeht, auch in den Schulen, in den Kitas. | |
| Das ist total deprimierend. | |
| Wie ist es an den Hochschulen? | |
| Ich bin Gastprofessor an der „Hanns Eisler“. Ich habe jetzt János, meinen | |
| Sohn, aber ansonsten Deutsche? Nicht in Sicht. Die sind nicht gut genug. | |
| Wirklich? | |
| Wenn die gut spielen: gerne. Aber die Deutschen haben inzwischen den | |
| Exotenbonus bei der Aufnahmeprüfung. Kein Witz. Letztens waren wir in | |
| Korea mit dem Orchester auf Tournee, da habe ich so eine Masterclass | |
| gegeben. Das war eine Gruppe von 12- bis 17-Jährigen, fast nur Mädchen. | |
| Das war auf einem Niveau, Wahnsinn! Da ist mir die Kinnlade einen Meter | |
| weit nach unten geklappt. Da war zum Beispiel eine, die hat das | |
| Oboenkonzert von Richard Strauss so gespielt, wie das bei uns die | |
| Master-Absolventen können, wenn man Glück hat. Blitzsauber, auswendig, | |
| einfach so durchgespielt. Danach hat sie mir glaubhaft versichert, dass sie | |
| 14 ist. | |
| Hatten Sie das Gefühl, dass die alle getriezt waren? | |
| Total! Da herrscht ein ziemlicher Druck in der Ausbildung. Wenn hier ein | |
| Oboenlehrer so anfangen würde, würden alle sagen, der tickt ja wohl nicht | |
| richtig. Ich weiß nicht, ob ich das gut finde. Die spielen mit 14 alle so | |
| toll, und mit 19, wenn niemand mehr Druck macht, hören sie auf. Weil sie es | |
| wahrscheinlich gar nicht wollten. | |
| Und die, die übrig bleiben, landen hier an der Hochschule. | |
| Ich habe auch koreanische Studentinnen, natürlich. Heute Abend zum | |
| Beispiel. Die, die die zweite Oboe spielt, ist eingesprungen, weil ein | |
| Kollege krank geworden ist. Die spielt super, die ist total nett. Die sagt | |
| selber, das Modell ist bescheuert, als Kind so einen unglaublichen Druck zu | |
| haben. | |
| Üben Sie selbst viel? | |
| Jetzt kommen die ganz intimen Fragen! | |
| Sie üben gar nicht? | |
| Doch, ich übe schon. | |
| Sie müssen doch einen Ansatz haben. | |
| Da ist wieder das Englischhorn so schön, weil die wenigen Soli, die ich | |
| habe, die kann ich auch ohne Ansatz spielen. Wenn ich müde werde, dann ist | |
| das Solo schon vorbei. Ich bin ein bisschen wie ein Quartalssäufer. Für | |
| Anlässe übe ich sehr viel. Aber dieses Dauerüben, jeden Tag mindestens zwei | |
| Stunden Tonleitern, das mache ich überhaupt nicht. | |
| Wären Sie enttäuscht gewesen, wenn keins Ihrer Kinder irgendwas mit Musik | |
| gemacht hätte? | |
| Das kann ich nicht beurteilen, denn es ist ja nicht so. Ich möchte, dass | |
| die was machen, was ihnen Spaß macht und wofür sie, wenn möglich, noch ein | |
| bisschen bezahlt werden. Aber es soll ihnen Spaß machen. | |
| Sind Sie ein glücklicher Mensch, wenn Sie da so strumpfsockig stehen und | |
| mit Ihrer Familie die Winnetou-Musik spielen? | |
| Jaaa! Wenn es klappt nach diesen desaströsen Proben, ist es super. Und es | |
| macht allen total Freude, auch den Kindern. Das geben sie dann sogar | |
| vielleicht mal zu. | |
| 16 Apr 2024 | |
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| Felix Zimmermann | |
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