# taz.de -- Von Berliner Brachen und Beyoncé: Wo Gott kein Artdirector ist | |
> Der Hauptstadt der BRD fehlt es an einigem: genügend Nachtapotheken, | |
> Brachen, Gott und Beyoncé. Immerhin kommt Dua Lipa zum Sommerkonzert. | |
Bild: Das Cover von Beyoncés neuem Album „Cowboy Carter“ | |
Seit Karfreitag reden alle über [1][Beyoncé]. Dass der Megastar sein neues | |
Album ausgerechnet an Jesu Todestag veröffentlichen konnte, ist nicht dem | |
Umstand geschuldet, dass die millionenschwere Sängerin einst Galionsfigur | |
einer neuen Jesusbewegung war. In den USA ist der Good Friday schlicht kein | |
landesweiter Feiertag. Trotzdem dürfte Beyoncé darauf spekuliert haben, | |
dass „Cowboy Carter“ als österlich frohe Botschaft empfangen werden würde, | |
zumal der erste Song auf dem Album auch noch „[2][Ameriican Requiem]“ | |
(sic!) heißt. | |
Beyoncé weiß natürlich Bescheid, sie ist eine Gläubige: „Gott ist real und | |
er lebt in mir“, bekannte sie vor Jahren. Und dass hinter jeder | |
erfolgreichen Frau ein Gott stehen muss, ebenfalls: Als „art director“ | |
ihres Songs „Spirit“ aus dem Film „König der Löwen“ nannte sie den Na… | |
Gott. | |
In die Hauptstadt der BRD hat weder Jesus, geschweige denn Gott je einen | |
Fuß gesetzt, und so ist es nur konsequent, dass auch Beyoncé Berlin meidet. | |
Ihr letztes Konzert hier war 2018. | |
Was soll sie auch hier, in einer Gegend, in der die Suche nach einer | |
stinknormalen Kirche mit stinknormalem Sonntagsgottesdienst so schwierig | |
ist wie die nach einer Nachtapotheke. Endlich gefunden, hängt meist ein | |
handgeschriebener, vom Regen verwaschener Zettel an der Tür: „Geschlossen. | |
Nächste Messe/ Nachtapotheke: Halensee/ Marzahn-Hellersdorf (kein | |
S-Bahn-Anschluss). Angabe ohne Gewähr“. Während bei Medikamentenengpässen | |
geraten wird, beim Koks-Dealer im Park nachzufragen („Die haben allet“), | |
liegt das religiöse Leben in dieser Stadt brach, ganz dem Raum | |
entsprechend, der für das Nachnazi-Berlin charakteristisch war: der Brache. | |
## Was mit den Brachen verschwand | |
Sieht man vom kaputten Gesamtzustand Berlins ab, ist die Innenstadt-Brache | |
– die unbebaute Fläche, die aus zerbombten und abgerissenen Häusern | |
entstand – inzwischen fast verschwunden. Mit der Brache verschwanden aber | |
auch die klapprigen Baustellenzäune, schiefen Bretterverschläge und | |
bröckelnden Restmauern, die um die leeren Flächen herum aufgestellt und da | |
vergessen wurden. | |
Diese jahrzehntelang bestehenden Provisorien waren für Megastars wie | |
Politdemos der Werbeplatz schlechthin. Einer meiner früheren | |
Tagelöhner-Jobs bestand darin, ein paar Zentimeter von der meterdicken | |
Pappschicht abzukratzen, damit mein Kollege wieder ordentlich nachkleistern | |
konnte. Hätte Berlin noch eine Weile länger als geteilte Stadt existiert, | |
wären auch diese Plakatwände irgendwann als Unesco-Weltkulturerbe | |
aufgenommen worden, jede Wette. Heute muss man schon sehr aufmerksam durch | |
die Straßen laufen, um überhaupt noch Veranstaltungsplakate zu finden. | |
Litfaßsäulen und Bushaltestellen sind die letzten Refugien für die Plakate. | |
Beyoncé ist in Berlin deswegen so gut wie unsichtbar. Dafür aber hat ein | |
anderer Megastar über Ostern hier Poster aufhängen lassen: Dua Lipa. | |
Die Ankündigung ihres Sommerkonzerts in der Berliner Waldbühne wirkt wie | |
eine mit wenig Mitteln auskommen müssende Werbung für ein | |
Billo-Fitnessstudio – also grandios und ziemlich berlinerisch: Man sieht | |
eine Frau in silbernen Stilettos, durchsichtigen lilafarbenen Strümpfen und | |
einem engen türkisen Shirt, wie sie sich vornüberbeugt, lacht, während ihr | |
langes dichtes Haar wie eine Löwenmähne das Gesicht bedeckt. Darüber steht | |
hanuta-farben der Name der Künstlerin. | |
Wie cool, im Gegensatz zu der immer angestrengter wirkenden Zitathölle | |
Beyoncés, die auf dem Cover ihres neuen Albums vor lauter Kunstwillen vom | |
Pferd rutscht. [3][Dua Lipas] neues Album erscheint im Mai und heißt | |
„Radical Optimism“. Ein Titel, der klingt, als sei er eine Idee der | |
Werbetruppen Berlins. Denn radikalen Optimismus braucht man schon, um daran | |
zu glauben, dass es in Berlin eine Zukunft gibt, nachdem die letzte Brache | |
zugemacht hat. Gott wird hier nicht der Artdirector sein. | |
7 Apr 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.spiegel.de/kultur/musik/beyonce-neues-album-cowboy-carter-eine-… | |
[2] https://www.youtube.com/watch?v=aJMl-K7HcZk | |
[3] /Superstar-Dua-Lipa-in-Hamburg/!5850789 | |
## AUTOREN | |
Doris Akrap | |
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