# taz.de -- Beyoncés neues Album: Country bleibt ihr fremd | |
> Beyoncé macht mit ihrem neuen Album „Cowboy Carter“ nun Country! Aber was | |
> sucht das berühmte Vorbild für die Welt von morgen in der Musik von | |
> gestern? | |
Bild: Beyoncé spielt zwar Countrysongs, aber dem Genre kommt sie nicht richtig… | |
Zurück aufs verlorene Echte blickte Countrymusik seit jeher – egal wie | |
progressiv ihre Botschaften auch sein mögen. [1][Das deutsche Echo jenes | |
Empfindens erklang im größten Hit der Band Truck Stop], in dem sie endlich | |
wieder „'nen richtig schönen Country Song“ hören wollten. Dabei dachten s… | |
unter anderem an den Afroamerikaner Charley Pride, der in den USA der | |
1970er Jahre dutzende Country-Hits schrieb. Ist Country also Musik des | |
Ressentiments oder doch eine Kunst, die alle Grenzen überschreitet? | |
Als Beyoncé mit den Dixie Chicks im Jahr 2016 beim 50. Jubiläum der | |
alljährlichen US-Country-Music-Awards in Nashville auftrat, war die | |
Reaktion des Publikums verhalten, sogar von rassistischen Kommentaren wurde | |
berichtet. Beyoncé verletzte dieses Erlebnis so sehr, dass sie im März | |
sagte, ihr neues Album, an dem sie seit über fünf Jahren arbeite, | |
resultiere aus einer Erfahrung, bei der sie sich nicht willkommen gefühlt | |
habe. Es bleibt aber zu bezweifeln, dass sie meint, Freundesland zu | |
betreten, wenn sie im Eröffnungsstück „American Requiem“ singt: „For th… | |
to stay the same / They have to change again / Hello, my old friend / You | |
change your name / But not the ways you play pretend / American Requiem / | |
Them big ideas are buried here.“ | |
Die großen Ideen, die Amerika zum Freund machen könnten, sind begraben, | |
solange sich Rassismus allenthalben einen neuen Namen zulegt, aber | |
keinesfalls verschwindet. Zu diesem Schluss kommt die 42-Jährige in einem | |
Country-Gospel; sein feierlicher Klang wird zerschnitten von scharfkantigen | |
Akzentuierungen, bald klingen die Stimmen verletzlich bedroht, dann | |
fordernd. „Seht hin, das ist Amerika, nicht euer Idyll“, ist die Botschaft | |
dieser kakophonischen Collage. Zugleich verarbeitet Beyoncé so ihre | |
Erfahrung, als Texanerin in den USA als provinziell gescholten zu werden, | |
um dann doch „nicht Country genug“ zu sein. Auch in den Themen der | |
folgenden 26 Songs reflektiert Beyoncé sich selbst. In „16 Carriages“ wird | |
die Geschichte einer verlassenen jungen Frau erzählt, allein und | |
unterbezahlt. Auf interessante Weise webt Beyoncé Stilistiken des Gesangs | |
aus dem R&B der 90er in das von unheilvoll donnernden Drums bewegte | |
Country-Lament. Doch wirkt es etwas seltsam, wenn sie sich in Analogie zum | |
geschilderten Drama gestresst im Tourbus imaginiert. | |
## „Ich kann es besser“ | |
Zwischen den Songs: kleine Vignetten vollgepackt mit Anspielungen, eine | |
Sendersuche im Radio landet beim Dope-preisenden Countrysänger Willie | |
Nelson. In „Oh, Louisiana“ verulkt Mickey Mouse psychedelische | |
Gitarrengespinste. Gaststars erscheinen. Linda Martell, die in den 1970ern | |
ihre Country-Karriere auch wegen des allgegenwärtigen Rassismus aufgab, | |
erklingt im zornigen Raptrack „Spaghetti“. Die Superstars Dolly Parton und | |
Miley Cyrus begleiten Beyoncé im Duett. Letztere umschwirrt sie im fast | |
schon versöhnlichen Country-Soul von „II Most Wanted“, ein Höhepunkt des | |
umfangreichen Werks. | |
Die 27 Songs von „Cowboy Carter“ lassen an das Dreifach-Album „The Weight | |
of these Wings“ von Miranda Lambert denken. Wo die große Country-Neuerin | |
Lambert nach einer zerbrochenen Beziehung auf das Leiden blickte und nach | |
dem Weiter fragte, blickt Beyoncé heute auf die aktuelle Countrymusik. Wenn | |
sich bei ihr Gitarren einem Truckgespann gleich im Stil von Eric Church und | |
Luke Bryan in Bewegung setzen, zu schwerfällig und massiv, um | |
voranzukommen, scheint Beyoncé zu fragen: „Wie um alles in der Welt könnt | |
ihr das ernst meinen?“ | |
Wenn sie R&B-Stilistiken einbringt, erweckt das, wie oft bei Beyoncé, den | |
Eindruck des „Ich kann es besser“. So erhält die Musik etwas Zappaeskes. Wo | |
einst der Avantgardist Frank Zappa den Poptrends seiner Zeit spottete, so | |
erklingt auch Beyoncés Country-Album als Spiel mit dessen unzulänglich | |
scheinenden Stilformen. Seltener als bei Zappa basiert ihre Distanz auf | |
Ironie, letztlich hat sie anderes im Sinn: Anerkennung und Überzeugung. | |
## Klingt nach Unternehmensberatung | |
Anerkennung wird ihr gezollt. Die erste Singleauskopplung, der coole, | |
[2][von Rhiannon Giddens Banjo] befeuerte Line-Dance-Partystomper „Texas | |
hold 'em“ stieg in den Countrycharts von null auf Nummer eins. Das wirft | |
Fragen auf. Hat das Publikum seit 2016 dazugelernt, waren die Leute bei den | |
Awards schlicht nicht repräsentativ? Oder trifft zu, was Rhiannon Giddens | |
kürzlich im Guardian ausführte, als sie den Unterschied zwischen Genre und | |
dem Empfinden von Tradition betonte? Wirkte des Weltstars burlesker Swing | |
damals, beim Jubiläum, manchen als überhebliche Persiflage? Vor kurzem | |
sagte Beyoncé selbst: „Ich bin tiefer in die Geschichte der Countrymusik | |
eingetaucht und habe unser reichhaltiges musikalisches Archiv studiert.“ | |
Das kann man nun hören, und so wirken ihre meist von Autoren- und | |
Produzenten-Kollektiven arrangierten Songs weniger als Statements großer | |
Liebe, sondern eher nach der Expertise einer Unternehmensberatung: „Bei | |
euch läuft einiges schief.“ Recht hat sie! In der Respektlosigkeit liegt | |
die Stärke von Beyoncés Musik, doch ist sie mittels Unmengen an Zitaten | |
abgesichert. So erscheint sie als Produkt jener Professionalität, die heute | |
auch Wahlkampagnen und erfolgreiche Kunst wasserdicht gestaltet. | |
Leider ist Beyoncés Stimme mitunter so digital bearbeitet wie das | |
Coverfoto. Es greift Kehinde Wileys Reiterporträt von Michael Jackson auf, | |
der ihn so malte, wie Rubens 1628 Spaniens mächtigen König Philipp II. | |
inszenierte. Wo Putten in Wileys Bild Jackson begleiten, weht nun die | |
US-Flagge. Beyoncé sitzt zu Pferde in der kontrollierten Lässigkeit einer | |
Voltigiererin. Meist vereinen Kehinde Wileys Porträtierte Stolz und | |
Verletzung, vor idyllisierendem Blumenwerk blicken sie in misstrauischer | |
Skepsis. | |
## Es ist eine Falle | |
Frieden kann Beyoncé mit dem, was Country für sie bedeutet, nicht | |
schließen. Ihre Argumente sind klar und wahr. Aber Country schloss wohl | |
Frieden mit ihr. Was nun? Anstrengungen für ein besseres Miteinander | |
scheitern oft. Beyoncé will gewinnen. Zwischen ihrem Ich und ihrer Mission | |
gestaltet sie interessante Dissonanzen, und sie bereichert die in | |
Party-Wumms, Pathos und Musealität erstarrte Countrymusik mit neuen Ideen. | |
Doch kommt sie ihr nicht nah, sie klebt am Stereotyp. „Dies ist kein | |
Country-Album, es ist ein Beyoncé-Album“, sagt sie, als ob andere | |
Countrykünstler nur Vorgaben ihres Genres ausführten. | |
Es ist eine Falle, Verletzlichkeit stets absichern zu müssen, schmollend | |
wie Taylor Swift oder gewappnet wie Beyoncé, hält es einen gefangen. So | |
erzählt Beyoncés Gewinnen und Scheitern auf diesem Album auch von der | |
Verfasstheit unserer Zeit. | |
13 Apr 2024 | |
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## AUTOREN | |
Oliver Tepel | |
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