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# taz.de -- US-Folksängerin Rhiannon Giddens: Beschwerliche Straße zur Freihe…
> Rhiannon Giddens beweist auf ihrem tollen neuen Album „Freedom Highway“
> Gespür für Geschichte und eigenwillige Hooklines.
Bild: Kennt sich mit Slave Narratives bestens aus: Rhiannon Giddens
Sklaverei, Segregation, die Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre,
Polizeigewalt gegen Schwarze und die jüngsten Unruhen in Baltimore und
Ferguson – ihr zweites Soloalbum „Freedom Highway“ widmet die US-Blues- u…
Folkmusikerin Rhiannon Giddens der qualvollen afroamerikanischen
Vergangenheit. „You can take my body, you can take my bones / You can take
my blood but not my soul“. Getragen vom unnachgiebigen, trockenen Beat
eines Worksongs, schlüpft Giddens im Auftaktsong „At the Purchaser’s
Option“ in die prekäre Rolle einer Sklavin, die den Besitzansprüchen ihres
Halters eine Absage erteilt: Auch wenn mein Körper in deiner Gewalt ist,
meine Gedanken sind frei.
Giddens versinnbildlicht dieses Paradox mit ihrem federleichten
Banjo-Spiel, gedehnte Cello-Akkorde und Glockenspiel setzen seelenvolle
Akzente. Dazu lässt die 39-Jährige, die am renommierten Konservatorium von
Oberlin Oper studierte, in einer Celtic Music Band traditionellen Folk
spielte und seit 2006 mit den Carolina Chocolate Drops die Tradition der
schwarzen Old Time Stringbands wiederbelebt, ihre volle und facettenreiche
Stimme renitent und verletzlich zugleich klingen.
Das Bewusstsein für ein historisches Kontinuum sei ihr wichtig, und
„Verbindungen, historische Muster und Gemeinsamkeiten zwischen gestern und
heute zu erkennen“, sagt Rhiannon Giddens in einem Interview. In diesem
Sinne ist der Song auch als Statement zur heutigen Arbeitswelt zu
verstehen.
## Song and Dance
Geboren wurde Giddens in Greensboro, North Carolina, tanzte Square Dance
und Contra Dance zu Bluegrass, Country und Folkmusik, hörte aber auch
klassische Musik, Jazz, Soul und Gospel-Songs. Diese musikalische Vielfalt
spiegelte sich schon auf ihrem Debütalbum „Tomorrow is my Turn“ (2015), f�…
das sie fast ausschließlich Songs von so unterschiedlichen Interpretinnen
wie Dolly Parton oder Nina Simone coverte – und mit einer atemberaubenden
Version des Folktraditionals „Waterboy“, den die „Stimme der
Bürgerrechtsbewegung“, Odetta, in den späten 1950er Jahren berühmt machte,
bei einem größeren Publikum bleibenden Eindruck hinterließ.
Bei der Interpretation alter Blues- und Gospelsongs ist es ihr wichtig,
nicht so zu tun, als lebe sie in früheren Zeiten. „Ich lebe in der
Gegenwart. Ich versuche, den emotionalen Kern dieser Songs zu finden und
mit meinem Leben in Beziehung zu setzen“, sagt sie. Aber manchmal holt die
Geschichte einen Song eben doch wieder ein. Der Titelsong „Freedom Highway“
von den Staple Singers ist an Aktualität kaum zu toppen. Sein Komponist
Pops Staples fragte sich 1965, warum manche Leute glauben, die von ihnen
geforderte Freiheit gelte nicht für alle, sondern nur für Weiße. Und dann:
„The whole wide world is wonderin’ / Whats wrong with the United States“.
Bezugnehmend auf den Bürgerrechtsbewegungssong „Freedom Highway“ rief
Giddens am Tag nach der US-Wahl im letzten November zur Einigkeit auf: „Wir
haben weit mehr gemeinsam als das, was uns teilt … Wir dürfen nicht
zulassen, dass der Hass uns spaltet … They can’t take the U.S. from us– es
sei denn, wir lassen es zu.“ Unter ihrer Stimme wabert eine Hammondorgel,
punktuierte Bläser und eine Schlinger-Gitarre vervollständigen das als
klassischen Soulsong instrumentierte Duett mit dem in St. Louis, Missouri
geborenen Bhi Bhimann. Bhimanns Eltern stammen aus Sri Lanka, eine
Tatsache, die den Singer-Songwriter nach Lesart der neuen US-Regierung zu
einer fragwürdigen Person macht.
## Holzvertäfelter Aufnahmeraum
Aufgenommen hat Giddens ihr Album im Studio des Produzenten und
Multi-Instrumentalisten Dirk Powell – er spielt auch Gitarre, Fiddle, Bass
und Klavier – in Beaux Bridge in Louisiana. Viele der Songs wurden in einem
holzvertäfelten Raum eingespielt, der noch vor dem US-Bürgerkrieg (1861 bis
1865) erbaut wurde. Die trockene Akustik des Raums verleiht den Folksongs
eine spröde Note, blumige Assoziationsketten stellen sich nicht ein.
In der Produktion haben Giddens und Powell auch auf jedes pompöse Beiwerk
verzichtet, entsprechend der Folktradition stehen Song und Text im
Vordergrund – etwas, das Giddens bei modernen Folkaufnahmen oft vermisst.
Sie wollten die Atmosphäre des Raums hörbar machen, „Geschichten aus seinen
Wänden freisetzen“. Nur manchmal lässt die perfekte Produktion den Dreck
unter den Fingernägeln vermissen.
Für den Text von „Julie“ hat sich Giddens von einer Erzählung einer Sklav…
aus dem 19. Jahrhundert inspirieren lassen. Im Call and Response, den
Giddens mit dezenter Stimmmodulation eindrucksvoll solo vollführt, lässt
sie sich nur von einem Banjo, einer schwingenden Fiddle und einem
sporadisch Akzente setzenden Bass begleiten.
Thema des Songs ist die perverse Vermischung von Ausbeutung und
Familienanschluss, denen insbesondere weibliche Haussklavinnen in den USA
noch im 19. Jahrhundert ausgeliefert waren. Nicht selten wurden sie von
ihren Besitzern geschwängert. Julies Kinder wurden von der „Mistress“
verkauft. Doch als die Soldaten kommen, um die Sklavin zu befreien, hat die
„Mistress“ die Stirn, ihre Sklavin zu bitten, sich um der Familie willen,
zu der Julie ja doch auch irgendwie gehöre, schützend vor sie zu stellen.
Mit dem Song stellt Giddens eine Verbindung zu Slave Narratives wie
„Incidents in the Life of a Slave Girl“ her, die Harriet Jacobs 1861
geschrieben hat. Jacobs hatte sich, um der Trennung von ihren Kindern
vorzubeugen, sieben Jahre lang in einem Verschlag unter dem Dach
verschanzt. Sie konnte so ihre Kinder wenigstens sehen und gelegentlich
auch nachts treffen und erlangte ausgerechnet eingeschlossen in ihrem
Versteck eine Art Freiheit. Die Straße der Freiheit muss jeder auf seine
Weise beschreiten.
5 Mar 2017
## AUTOREN
Sylvia Prahl
## TAGS
Folk
Großbritannien
Country
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