# taz.de -- Jahrestag des Militärputsches: Proteste gegen Milei in Argentinien | |
> Tausende Menschen erinnern in Argentinien an Militärputsch und Diktatur. | |
> Sie protestieren auch gegen die ultralibertäre Regierung Milei. | |
Bild: Protest auf der Plaza de Mayo am Sonntag in Buenos Aires | |
BUENOS AIRES taz | Argentiniens Regierung hat die Zahl von 30.000 | |
Verschwundenen während der letzten Militärdiktatur (1976–1983) bestritten. | |
Während am Sonntag landesweit Hunderttausende auf die Straße gingen, um an | |
den Jahrestag des blutigen Militärputsches von 1976 zu erinnern, | |
[1][verbreitete die Regierung ein Video, in dem behauptet wird, die Zahl | |
sei erfunden]. „Für ein vollständiges Gedenken, damit es Wahrheit und | |
Gerechtigkeit geben kann“, schrieb dazu Präsident Javier Milei auf X. | |
Am 24. März 1976 hatte sich das Militär die Macht geputscht. Es folgte eine | |
als „Prozess der nationalen Reorganisation“ bezeichnete Herrschaft, unter | |
der politische Gegner*innen gnadenlos verfolgt wurden und eine radikal | |
neoliberale Wirtschaftspolitik eingeführt wurde. Menschenrechtsgruppen | |
schätzen, dass bis zum Ende der Diktatur im Jahr 1983 rund 30.000 Menschen | |
ermordet wurden oder bis heute verschwunden sind. | |
Die größte Versammlung fand auf der Plaza de Mayo in Buenos Aires statt. | |
Die Proteste richteten sich zugleich gegen die rigorose Sparpolitik von | |
Präsident Javier Milei. Unter dem Motto „30.000 Gründe, das Vaterland zu | |
verteidigen. Kein geplantes Elend mehr“ waren zahlreiche Menschen auf den | |
Platz vor dem Präsidentenpalast im Zentrum der Hauptstadt gezogen. | |
Die veranstaltenden Organisationen sprachen von der größten | |
Teilnehmendenzahl seit 2006 – seit der 24. März als Tag der Erinnerung, | |
Wahrheit und Gerechtigkeit ein Feiertag ist. Die befürchteten | |
Auseinandersetzungen mit der Polizei blieben aus, der Gedenktag verlief | |
friedlich. | |
## Milei bezeichnete Diktatur als „Exzess“ | |
Der libertäre Präsident hatte zuvor mehrfach [2][die Zahl von 30.000 | |
Verschwundenen infrage gestellt] und die während der Diktatur begangenen | |
Menschenrechtsverbrechen als „Exzesse“ bezeichnet. Vizepräsidentin Victoria | |
Villarruel ist jedoch die treibende Kraft hinter der Revision der | |
Diktaturzeit durch die Regierung. | |
Die Tochter eines Militärs im Ruhestand gründete 2006 das [3][Zentrum für | |
juristische Studien über den Terrorismus und seine Opfer]. Seither leitet | |
sie die Organisation, die nach eigenen Angaben Gewalttaten und Todesfälle | |
durch revolutionäre Bewegungen vor dem Putsch von 1976 untersucht. Gemeint | |
sind die Opfer der Aktionen der Guerillaorganisationen, wie etwa der | |
Montoneros. Es gehe um eine „vollständige Erinnerung“, so die 48-Jährige. | |
In dem [4][knapp 13-minütigen Video] mit dem Titel „24. März – Tag der | |
vollständigen Erinnerung, Wahrheit und Gerechtigkeit“ kommen der | |
Schriftsteller und ehemalige Leiter des Inlandsgeheimdienstes Juan Yofre, | |
die Tochter des 1974 von einem Guerillakommando getöteten Hauptmanns | |
Humberto Viola, María Viola, sowie das frühere Mitglied der Stadtguerilla | |
Montoneros Luis Labraña zu Wort. | |
Während Juan Yofre den Menschenrechtsorganisationen in erster Linie | |
finanzielle Motive für das Beharren auf der Zahl 30.000 vorwirft, | |
kritisiert María Viola als Opfer des Terrorismus vor der Diktatur die | |
Einseitigkeit der Erinnerung und der Gerechtigkeit. Ähnlich wie Yofre | |
äußert sich auch Luis Labraña. „Die Verschwundenen waren ein | |
Riesengeschäft“, sagt der frühere Guerillero. | |
## Relativierung in Regierungsmitteilung | |
Und dann: „Nein, meine Herren, 30.000 war eine Fälschung, ich habe die Zahl | |
30.000 aufgeschrieben“, so Labraña. Er hatte die Zahl 30.000 erfunden, als | |
es darum ging, finanzielle Unterstützung für die Madres de Plaza de Mayo zu | |
bekommen. Damals war das richtig, aber inzwischen ist die Zahl zu einem | |
falschen Symbol geworden, erklärt der 78-Jährige. Zwar sind die Äußerungen | |
Labrañas schon seit einiger Zeit bekannt, aber es ist das erste Mal, dass | |
sie in einer offiziellen Regierungsmitteilung veröffentlicht wurden. | |
Die von Präsident Raúl Alfonsín (1983–1989) kurz nach dem Ende der Diktatur | |
eingesetzte Kommission für das Verschwindenlassen von Personen (Conadep) | |
hatte 7.954 Fälle bestätigt. Nach Graciela Fernández Meijide, Mitglied der | |
Kommission, liege der Zahl 30.000 eine juristische Erklärung zugrunde. | |
„In den 1970er Jahren hat es den Begriff des gewaltsamen | |
Verschwindenlassens noch nicht gegeben“, sagte die heute 93-jährige Meijide | |
vor kurzem in einem Interview. Um die Verbrechen überhaupt juristisch | |
anzuprangern zu können, sei diese Zahl gewählt worden, um sich auf den | |
Straftatbestand des Völkermords stützen zu können. | |
Anders argumentieren die Mütter der Verschwundenen. „Seit Jahrzehnten | |
fordern wir, dass die Archive geöffnet werden. Wir wissen nicht einmal, wo | |
sie sind. Das Militär hält sie gut versteckt und bewacht“, sagt Taty | |
Almeida von den Madres de Plaza de Mayo. Mangels Informationen mussten sich | |
die Menschenrechtsorganisationen auf Schätzungen beschränken und kamen zu | |
dem Schluss, dass es sich bei den Verhafteten und Verschwundenen um etwa | |
30.000 Personen handelt. | |
„Die Zahl 30.000 umfasst nicht nur die Verschwundenen, sondern auch die | |
Gefolterten und die Verbannten“, sagte Friedensnobelpreisträger Adolfo | |
Pérez Esquivel erst vor wenigen Tagen. „Wenn es zu Massenverbrechen kommt, | |
sind die Opferzahlen immer eine Schätzung“, erklärte er. Die Zahl 30.000 | |
sei zum Symbol für den Kampf um Erinnerung, Wahrheit und Gerechtigkeit | |
geworden, so der Friedensnobelpreisträger von 1980. | |
25 Mar 2024 | |
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## AUTOREN | |
Jürgen Vogt | |
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