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# taz.de -- Ermittlung wegen argentinischer Diktatur: Angeklagt, aber tot
> Zehn Jahre lebte der Ex-Offizier Luis Kyburg in Berlin. Wegen Mordes
> während der Diktatur in Argentinien wurde er nun angeklagt. Doch er ist
> gestorben.
Bild: Den Verschwundenen am Memorial Park Buenos Aires, Archivaufnahme
Berlin taz | Jahrelang hat die Justiz gegen einen in Berlin lebenden
Argentinier ermittelt, dem mehrfacher Mord während der Zeit der
Militärdiktatur in dem südamerikanischen Land vorgeworfen wird. Zu einem
Prozess wird es jedoch nicht mehr kommen. Denn der Beschuldigte ist
mittlerweile tot.
Wie [1][die Berliner Generalsstaatsanwaltschaft am Donnerstag mitteilte],
hat sie zwar im November „einen in Berlin lebenden ehemaligen Angehörigen
des argentinischen Militärs wegen Mordes in 23 Fällen zu einer
Schwurgerichtskammer des Landgerichts Berlin erhoben.“ Allerdings sei nun
bekannt geworden, dass der Angeschuldigte bereits am 11. Oktober 2023 in
Berlin eines natürlichen Todes verstorben sei. Anhalte für eine
lebensbedrohliche Erkrankung des Angeschuldigten seien den
Ermittlungsbehörden zuvor nicht bekannt geworden.
Wie [2][die taz vor ziemlich genau einem Jahr im November 2022 berichtet
hatte], soll der 75-jährige einstige Marineoffizier Luis Kyburg während der
argentinischen Militärdiktatur an Folter und Morden beteiligt gewesen sein.
Seit 2013 lebte er unbehelligt in Berlin. Der große, oft elegant gekleidete
Mann wohnte im Stadtteil Prenzlauer Berg, besuchte Deutschkurse der
Volkshochschule, ging Tango und Salsa tanzen. Weil er neben der
argentinischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft hatte, wurde er nicht
an Argentinien ausgeliefert, obwohl seit 2013 ein internationaler
Haftbefehl gegen ihn vorlag.
Während der Militärdiktatur in Argentinien von 1976 bis 1982 gab es ein
geheimes Gefangenenlager im Marinestützpunkt Mar del Plata. Dort wurden
Oppositionelle inhaftiert und gefoltert, nach Schätzungen verschwanden etwa
300 Menschen spurlos, die genaue Zahl ist nicht bekannt. Insgesamt sollen
während der Diktatur [3][rund 30.000 Menschen verschwunden] sein. Viele
einstige Militärs waren deswegen in den letzten Jahren [4][in Argentinien
verurteilt worden].
Luis Kyburg war Offizier des Marinestützpunkts und laut einem Organigramm
zwischen Februar 1976 und Januar 1977 im Zeitraum der größten Gewalt
stellvertretender Kommandant einer Kampfschwimmereinheit. Alle Mitglieder
dieser Task Force wurden vor Gericht gestellt, weil sie Entführungen,
Folterungen und Morde angeordnet oder sogar persönlich ausgeführt haben
sollen. Im Juni 2013 war Kyburg von der argentinischen Staatsanwaltschaft
vorgeladen. Er erschien aber nicht.
## Rechtshilfe aus Argentinien
Laut Berliner Generalstaatsanwaltschaft hat es „umfangreiche und
langwierige Ermittlungen“ zu dem Fall gegeben. Diese hätten auch die
Auswertung von zahlreichen Unterlagen, die seitens der argentinischen
Strafverfolgungsbehörden im Rahmen der Rechtshilfe zur Verfügung gestellt
worden waren, umfasst.
Am 31. Januar 2023 sei bei einer Durchsuchung der Wohnanschrift des
Angeschuldigten weiteres umfangreiches Beweismaterial, insbesondere
digitale Datenträger, sichergestellt worden. Nach Abschluss der
Ermittlungen ist im November 2023 die gut 220 Seiten umfassende Anklage
gegen den Ex-Offizier erhoben worden.
Bei den 23 Opfern handelt es sich laut Generalstaatsanwaltschaft um junge
Frauen und Männer, die sich linksgerichteten Gruppierungen angeschlossen
hatten oder mit diesen in Kontakt standen. Sie sollen mit Wissen und Wollen
des Angeschuldigten zunächst schwer misshandelt und gefoltert worden sein.
Später war geplant, sie im Rahmen von Scheinfreilassungen und fingierten
Auseinandersetzungen hinterrücks zu erschießen oder sie wurden bei
[5][sogenannten Todesflügen] umgebracht. Die Opfer blieben für immer
verschwunden. Der Angeschuldigte soll in diese Abläufe persönlich
involviert gewesen sein.
Margarete Koppers, Generalstaatsanwältin in Berlin, sprach den Angehörigen
der Opfer ihr Mitgefühl aus. „Der Tod des Angeschuldigten setzt den
jahrzehntelangen Bemühungen der Angehörigen wie Ermittlungsbehörden in
Argentinien und Deutschland ein jähes Ende, die Gräueltaten am
Marinestützpunkt Mar del Plata/Argentinien auch in diesem Verfahren
aufzuklären. Das ist für die Angehörigen der Opfer schwer zu ertragen und
sehr schmerzhaft.“
## Dank an Menschenrechtsanwalt
Koppers dankte nicht nur den Kolleg:innen der Generalstaatsanwaltschaft
Berlin, sondern ausdrücklich auch dem Menschenrechtsanwalt Wolfgang Kaleck.
Kaleck ist unter anderem Generalsekretär des European Center for
Constitutional and Human Rights (ECCHR). Mit dessen Unterstützung hatte die
Schwester eines Getöteten bereits 2018 Anzeige gegen Kyburg bei der
Berliner Generalstaatsanwaltschaft eingereicht. Öffentlich bekannt geworden
war der Fall [6][im Jahr 2020 durch Proteste von Aktivist:innen].
„Dass die Einheit des ehemaligen Militärs Kyburg an Verbrechen gegen die
Menschlichkeit beteiligt war, ist erwiesen“, sagte Kaleck laut [7][einer
Mitteilung des ECCHR] nach Bekanntwerden von Kyburgs Tod. Daher sei es umso
bedauerlicher, dass den Opfern sowie ihren Familienangehörigen keine
Gerechtigkeit widerfuhr.
17 Nov 2023
## LINKS
[1] https://www.berlin.de/generalstaatsanwaltschaft/presse/pressemitteilungen/2…
[2] /Argentinische-Militaerdiktatur/!5895061
[3] /Aufarbeitung-der-Diktatur-in-Argentinien/!5866230
[4] /ESMA-Prozess-in-Argentinien/!5466828
[5] /Prozess-um-Todesfluege-in-Argentinien/!5078361
[6] /Ermittlungen-gegen-mutmasslichen-Folterer/!5709539
[7] https://www.ecchr.eu/pressemitteilung/argentinische-militaerdiktatur-angekl…
## AUTOREN
Gereon Asmuth
## TAGS
Argentinien
Mord
Militärdiktatur
Folter
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