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# taz.de -- Ermittlungen gegen mutmaßlichen Folterer: Lang gesucht, gefunden i…
> Ein Verantwortlicher der argentinischen Militärjunta lebt unbehelligt in
> Berlin. AktivistInnen protestieren jetzt in seinem beschaulichen
> Wohnviertel.
Bild: Kundgebung am Samstag in Berlin
Berlin taz | „Olé, olé – olé, olá“, tönt es am Samstagnachmittag dur…
Straßen des Berliner Bezirks Prenzlauer Berg. Auf Spanisch singen etwa 80
Demonstrant*innen: „Wohin sie auch gehen, wir werden sie suchen!“ Sie
ziehen durch die Straßen des Winsviertels. Hier wohnt seit sieben Jahren
der Deutschargentinier Luis Esteban Kyburg. In Argentinien gilt der
Ex-Militär wegen Folter und Mordes an Oppositionellen während der Diktatur
als dringend tatverdächtig. Er wird mit internationalem Haftbefehl gesucht.
Die Demonstrant*innen halten Fotos von verschwundenen Gefangenen in die
Höhe und Schilder, auf denen steht: „Dónde están?“ – „Wo sind sie?�…
kleinen Straßenperformances zeichnen sie mit Kreide die Umrisse von
Menschen auf den Asphalt; es sind Symbole für das gewaltsame
Verschwindenlassen von Menschen während der argentinischen Militärdiktatur.
„Wir klagen Luis Esteban Kyburg an. Wir wollen, dass die Nachbarn hier
erfahren, wer Kyburg ist. Er war ein ranghoher Militär der Marine, und
während seiner Zeit dort wurden sehr viele Menschen entführt“, sagt
Ezequiel Monteros, einer der Organisatoren der Demonstration. Der
argentinische Dokumentarfilmer, dessen Eltern selbst politische Gefangene
waren, engagiert sich bei H.I.J.O.S., einem vor 25 Jahren entstandenen
Zusammenschluss von Söhnen und Töchtern von Opfern der Diktatur in
Argentinien. Dieser waren zwischen 1976 und 1983 etwa 30.000 Menschen zum
Opfer gefallen.
Mit Aktionen wie der an diesem Samstag, sogenannten escraches, protestieren
sie an den Wohnorten von Diktaturverbrechern, fordern Aufklärung des
Schicksals ihrer Angehörigen und kämpfen gegen Straflosigkeit. Zur gleichen
Zeit protestieren H.I.J.O.S.-Gruppen vor deutschen Konsulaten in Paris und
Amsterdam.
Kyburg war Offizier in einer Marinebasis in Mar del Plata, südlich der
argentinischen Hauptstadt Buenos Aires. In der Zeit der Diktatur ab 1976
wurden dort Gefangenen- und Folterlager eingerichtet. 152 Oppositionelle
verschwanden. Als stellvertretender Befehlshaber einer Kampftauchereinheit
auf diesem Militärstützpunkt gilt Kyburg als dringend tatverdächtig, an
Entführungen, Folter und Mord beteiligt gewesen zu sein.
## Vor der Justiz geflohen
„Darunter waren auch zwei zu diesem Zeitpunkt schwangere Frauen“, erklärt
die argentinische Anwältin und Schriftstellerin Maria Ester Alonso. Es gehe
auch darum, deren Schicksal und das ihrer Kinder aufzuklären. In
Argentinien wurden Kinder politischer Gefangener während der Diktatur
systematisch geraubt, manche wuchsen in Familien von Militärs auf, ohne
ihre eigene Geschichte zu kennen.
„In Argentinien wäre Kyburg längst verurteilt und verhaftet“, so die
Anwältin. Aber: „Er ist vor der argentinischen Justiz geflohen, bevor er
2013 vernommen werden sollte, und lebt seitdem straflos in Berlin“. Noch im
selben Jahr wurde ein internationaler Haftbefehl über Interpol verbreitet
und Kyburg 2014 in Deutschland verortet. Argentinien stellte 2015 einen
Auslieferungsantrag, den Deutschland jedoch ablehnte. Denn Kyburg hat
deutsche Vorfahren und besitzt neben der argentinischen auch die deutsche
Staatsangehörigkeit. Deutschland liefert seine eigenen Staatsbürger
grundsätzlich nicht an Staaten außerhalb der EU aus.
Die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelt seit 2015 gegen Kyburg. Mehr Tempo
scheint seit zwei Jahren in die Sache zu kommen. 2018 nämlich entdeckte der
argentinische Journalist Toni Hervida, der seit 35 Jahren in Berlin lebt,
Kyburg nach langer Suche. Er kontaktierte das Europäische
Menschenrechtszentrum ECCHR.
## Hoffen auf Anklage
Im Jahr 2019 kam eine argentinische Hinterbliebene, Anahí Marocchi, nach
Berlin. Deren seinerzeit 19 Jahre alter Bruder Omar Marocchi ist im
September 1976 mutmaßlich in der Marinebasis von Mar del Plata
verschwunden. Anahí Marocchi sucht ihren Bruder noch immer. Zusammen mit
dem ECCHR erstattete sie Anzeige gegen Kyburg in Deutschland.
Als positiv bewertet Andreas Schüller, beim ECCHR verantwortlich für
Völkerstrafrecht, dass die Berliner Staatsanwaltschaft bereits Zeugen in
Argentinien vernommen hat. Die Ermittlungen müssten nun aber zügig
abgeschlossen werden, sagt Schüller. „Wir hoffen auf eine baldige
Anklageerhebung.“
Denn Kyburg ist kein Einzelfall. So lebte der in Chile wegen mehrfachen
Mordes rechtskräftig verurteilte [1][deutsch-chilenische Ex-Offizier
Walther Klug Rivera] vier Jahre lang unbehelligt im Rheinland. Auch
strafrechtliche Schritte zur Aufklärung von Verbrechen in der Colonia
Dignidad, der deutschen Sekte im Süden Chiles, in der Oppositionelle
gefoltert und ermordet wurden, verliefen in Deutschland stets im Sande. Die
Ermittlungen, etwa gegen den ehemaligen Sektenarzt Hartmut Hopp, der in
Deutschland lebt, wurden 2019 eingestellt. Über ein Wiederaufnahme der
Ermittlungen hat derzeit die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf zu
entscheiden.
13 Sep 2020
## LINKS
[1] /Verbrechen-unter-Pinochet-in-Chile/!5674013
## AUTOREN
Ute Löhning
## TAGS
Argentinien
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