# taz.de -- Politologe über Javier Milei: „Er nutzt den Vorteil der Illusion… | |
> Lucas Romero bilanziert die ersten Monate des argentinischen Präsidenten. | |
> Die Unterstützung für Milei ist ungebrochen, stellt er fest. | |
Bild: Der argentinische Präsident Javier Milei singt die Nationalhymne währen… | |
taz: Herr Romero, spätestens in ein paar Monaten ist er weg. So lautete | |
eine verbreitete Meinung, als der Libertäre Javier Milei im Dezember das | |
Amt des Präsidenten übernahm. Heute scheint er aber fester im Sattel zu | |
sitzen als damals. Wie schafft er das? | |
Lucas Romero: Milei nutzt den Vorteil der Illusion und das Fehlen einer | |
Alternative. Diese beiden Komponenten erklären am besten seine | |
Unterstützung. Die Mehrheit der Gesellschaft hat ein enormes Bedürfnis zu | |
glauben, dass Mileis Politik funktioniert. Und dieser Wunsch zu glauben, | |
macht die Menschen trotz der rigorosen Anpassungs- und Sparpolitik | |
geduldig. Die Frage ist tatsächlich, wie lange und wie viel Leid sie | |
ertragen werden, bevor sie sich durch Ergebnisse belohnt fühlen oder ihr | |
Geduldsfaden reißt. | |
Und die fehlende Alternative? | |
Mileis Sicherheitsministerin und sein Verteidigungsminister waren das | |
konkurrierende konservative Kandidat*innenduo bei den Wahlen. Die | |
Einbindung der konservativen Opposition in die Regierung war ein | |
geschickter Schachzug. [1][Damit hat sich Milei zur einzigen Alternative | |
zum abgewählten Peronismus gemacht, dessen Rückkehr ein großer Teil der | |
Bevölkerung absolut nicht will]. | |
Wie hat sich die Unterstützung für den Präsidenten entwickelt? | |
Die Unterstützung ist ungebrochen. Von 100 Befragten, die bei der Stichwahl | |
im November für Milei gestimmt haben, sind bisher 97 bei ihrer | |
Wahlentscheidung geblieben, was angesichts der wirtschaftlichen und | |
sozialen Lage sehr bemerkenswert ist. Auch eine weitere Zahl belegt seine | |
enorme Unterstützung. In der Stichwahl hat er 43 Prozent der Stimmen aller | |
Wahlberechtigten erhalten. Wenn man die aktuellen Umfragewerte in Stimmen | |
umrechnet, hätte Milei heute noch mehr Stimmen als damals. | |
Ist die argentinische Gesellschaft definitiv nach rechts gerückt? | |
Wenn eine Regierung scheitert, bewertet die Gesellschaft die Alternativen | |
neu. Im Falle Argentiniens ist eine Regierung gescheitert, die für | |
Umverteilung und eine zentrale Rolle des Staates eintrat. Vielleicht, weil | |
der Staat bei diesem wirtschaftlichen Niedergang eine führende Rolle | |
einnahm, während gleichzeitig sein Personal und seine Ausgaben erheblich | |
gestiegen sind, haben die Menschen heute eine negative Sicht auf den Staat. | |
Milei ist in erster Linie eine Reaktion auf dieses Scheitern oder den | |
Untergang einer gemäßigt-linken Hegemonie und eine Neubewertung rechter und | |
gemäßigt rechter Ideen. Was die politische Polarisierung angeht, so hat | |
Milei ein Gleichgewicht geschaffen. Der linke Pol ist immer noch | |
Ex-Präsidentin Cristina Kirchner und der rechte ist jetzt der Populismus, | |
den Milei vertritt. Als Anarchokapitalist hat er jedoch keine | |
nationalistische Komponente, da er den Staat und die Nation verachtet. | |
Dennoch sehen viele Milei als politisch schwach an. | |
Milei ist zweifelsohne der politisch schwächste Präsident seit der Rückkehr | |
zur Demokratie im Jahr 1983. Sein größtes Manko ist seine fehlende | |
Autonomie Entscheidungen zu treffen. Im Senat verfügt er nur über ein | |
Zehntel der Mandate und im Abgeordnetenhaus ist es ein Fünfzehntel. Um | |
Gesetze durchzubringen, braucht er Vereinbarungen mit vielen Akteuren. | |
In welchen sozialen Schichten hat die Milei die größte Unterstützung? | |
In sozioökonomischer Hinsicht bei den oberen und unteren | |
Einkommensschichten. Die Tatsache, dass Milei bei den Armen gut ankommt, | |
bedeutet jedoch nicht, dass die Mehrheit der Armen nicht mehr den | |
Peronismus wählt. Dieser hat seine Basis weiter in den unteren | |
Einkommensschichten. Wenn die makroökonomischen Korrekturen durch die | |
Politik des Präsidenten die soziale und wirtschaftlichen Bedingungen weiter | |
verschlechtern, sprich noch mehr Inflation, noch weniger Kaufkraft und | |
Konsum, möglicherweise weniger Arbeit und mehr Armut, trifft dies vor allem | |
mehrheitlich nicht seine Wähler- oder Anhängerschaft. [2][Die Proteste] | |
werden zunehmen. | |
Wie schätzen Sie den Präsidenten nach knapp vier Monaten im Amt ein? | |
Milei beschreibt sich selbst als Anarchokapitalist, nach dessen Theorie der | |
Staat eine kriminelle Vereinigung ist und glaubt, dass es Argentinien mit | |
einer Dollarisierung und der Schließung der Zentralbank besser gehen würde. | |
In der Praxis verhält sich Milei jedoch wie jemand, der den Staat auf einen | |
Minimum reduzieren will. Aufgrund seiner politischen Schwäche versucht er, | |
ein Programm umzusetzen, das eher liberal als libertär ist. Aber wenn der | |
Staat verschwindet und die Probleme der Bevölkerung trotzdem nicht gelöst | |
werden, könnten wir eine Rolle rückwärts erleben und der Staat wird als | |
Lösung der sozialen Probleme wiederkehren. | |
6 Apr 2024 | |
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## AUTOREN | |
Jürgen Vogt | |
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