# taz.de -- Buch über Ukrainekrieg von Nora Krug: Gegen den Sinnverlust kämpf… | |
> Für ihr Buch „Im Krieg“ verknüpft Nora Krug zwei Perspektiven aus Kiew | |
> und St. Petersburg auf den Ukrainekrieg. Sie kombiniert Texte und | |
> Zeichnungen. | |
Bild: Nora Krug zeigt in ihrem Buch „Im Krieg“ oft Hände | |
Eine ukrainische Journalistin und ein russischer Künstler stehen sich | |
gegenüber. Ob sich ihre Augen treffen, wissen wir nicht. Auf dem Umschlag | |
ihres neuen Buches hat Nora Krug über deren Augen ein rotes Banner gezogen | |
mit der Aufschrift „Im Krieg“. | |
Krug hat bei Beginn des [1][russischen Angriffskrieges auf die Ukraine] den | |
Kontakt zu einer Kiewer Journalistin und einem Petersburger Künstler | |
gesucht. Ein Jahr lang hat sie mit beiden, die sich nicht kennen, einmal in | |
der Woche kommuniziert. Im Wochenrhythmus stellt sie nun auf je einer | |
Doppelseite beide Tagebücher einander gegenüber. Krug gibt den Texten, die | |
komplett für sich stehen, Raum. Ihre Zeichnungen nehmen höchstens ein | |
Drittel der Seite ein. Sie konzentrieren sich darauf, die Essenz aus dem | |
Geschriebenen zu filtern. | |
Auffallend ist, dass die preisgekrönte Illustratorin immer wieder Hände | |
situativ darstellt: Hände, die handeln, und Hände, diesich in einer | |
sinnlichen Verbindung zum anderen vereinen. Die 47-jährige | |
Wahl-New-Yorkerin lässt in beiden Fällen eine subjektive Erzählung zu. Man | |
liest und ist ganz nah dran an den beiden Protagonist:innen, weil die Texte | |
extrem aufrichtig sind. JedeIllustration ist eine Vertiefung. | |
Es sind gleichzeitig sehr detaillierte Zeichnungen, die zur genauen | |
Erkundung einladen und zu denen oft zusätzliche Bilder im Kopf entstehen. | |
Der ständige Perspektivenwechsel fordert extrem. Der Brückenschlag zwischen | |
beiden Tagebüchern sind die klugen visuellen Kommentare, deren spröde | |
Empathie einen in den Bann zieht. | |
Es gibt Parallelen im Leben der beiden Menschen in Kiew und Petersburg nach | |
dem 24. Februar 2022: Beide, die Familie und je zwei kleine Kinder haben, | |
werden aus ihrem bisherigen Leben geschleudert. „K“, so nennt Krug die | |
ukrainische Journalistin, evakuiert ihre Kinder nach Dänemark und pendelt | |
als Kriegsberichterstatterin zwischen der Front, ihrer „alten“ Wohnung in | |
Kiew, einem „sicheren“ Häuschen an der ukrainisch-ungarischen Grenze und | |
Kopenhagen. | |
## Nachdenken über Emigration | |
„D“, wie Krug den russischen Künstler nennt, lehnt den Angriffskrieg von | |
Anfang an ab, er denkt über Emigration nach und lebt getrennt von seiner | |
Familie einige Monate im lettischen Riga. Visatechnische Hürden und die | |
zähe russische Bürokratie verhindern einen raschen Nachzug der Familie. | |
„D“ hat Angst, die Bindung zu seinen Kindern zu verlieren. Krug zeichnet | |
dazu zwei Hände, die die eigenen Beine berühren, denn andere sind nicht da. | |
Auf „Ks“ Seite berühren sich zwei Hände, die von „K“ und ihrem Mann. … | |
gehen das erste Mal wieder in eine Comedy-Show. Es ist die 52. Kriegswoche | |
und es ist der letzte Eintrag der beiden. | |
„K“ hofft, dass ihre emotionale Taubheit vorübergeht. Sie konstatiert: | |
„Inmitten all dieses Grauens fällt es mir schwer, im Leben einen Sinn zu | |
finden.“ „D“ stellt fest: „Ich lebe nur noch im Hier und Jetzt. Über d… | |
Zukunft nachzudenken macht mir Angst, weil ich das Gefühl habe, keinerlei | |
Kontrolle mehr darüber zu haben.“ | |
## Parallelen zwischen NS-Diktatur und dem heutigen Russland | |
In der 15. Kriegswoche fragt Krug beide nach ihrer Identität. Beide sind in | |
Russland aufgewachsen, „K“ zog mit 13 Jahren mit ihrer Mutter auf die | |
[2][Krim. Für sie ist das die seit 2014 verlorene Heimat]. Auch ihre Mutter | |
betrachtet sich längst als Ukrainerin, obwohl sie jüdisch-russische Wurzeln | |
hat. Für „D“ ist Petersburg Bezugspunkt und Heimat. Auch er hat jüdische | |
Wurzeln. Mit der propagandistisch aufgeladenen „russischen kulturellen | |
Identität“ kann er wenig anfangen. Er zieht Parallelen zwischen der | |
NS-Diktatur und dem heutigen Russland. | |
Beide, die ukrainische Journalistin und der russische Künstler, sind wie in | |
Geiselhaft genommen von dem Putin’schen Terrorregime. Beide strampeln sich | |
unendlich ab, um dagegenzuhalten. Beide Perspektiven in der Echtzeit | |
zuzulassen, sie nebeneinanderzustellen, sie zu verknüpfen und sinnlich | |
erfahrbar zu machen, das zeichnet dieses Buch aus und macht es so unendlich | |
wertvoll. | |
6 Apr 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Sprachverbote-in-Russland/!5989370 | |
[2] /Teenager-in-der-Ukraine/!5992985 | |
## AUTOREN | |
Katja Kollmann | |
## TAGS | |
Zeichner | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Kyjiw | |
St. Petersburg | |
Tagebuch | |
GNS | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Haus der Kulturen der Welt | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Machtwechsel in der Ukraine 1944: Wo Geschichte zur Waffe wird | |
Vor 80 Jahren eroberte die Rote Armee Lwiw von der Wehrmacht. Nicht alle | |
empfanden das als Befreiung. Ein Diskussionsabend in Berlin. | |
Diskussion im Haus der Kulturen der Welt: Die Diversität des Ostens | |
Max Czollek und Sasha Marianna Salzmann luden ein, um über die „Utopie | |
Osteuropa“ zu reden. Es ging um die Ukraine und um Ostdeutschland. | |
Vortrag über ukrainische Kultur: Nationaldichter mit großem MG | |
Im Angriffskrieg steht es prekär um die ukrainische Kultur. Der Künstler | |
Yuriy Gurzhy spricht am Mittwoch bei einer Vortragsreihe an der HU Berlin. | |
Reportage aus der Ukraine: Freiheit des Wortes | |
Unsere Autorin reiste auf Einladung des PEN Ukraine in das vom Krieg | |
beherrschte Land. PEN-Mitglieder dort bringen sich durch ihre Arbeit in | |
Gefahr. |