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# taz.de -- Aktivist über israelische Siedler: „Der Staat finanziert und bew…
> Im Westjordanland könnten sich Siedler heute frei austoben, warnt
> Aktivist Guy Butavia. Sanktionen gegen einzelne von ihnen dürften nur ein
> Anfang sein.
Bild: Nach einem Siedler-Angriff im Dorf al-Lubban im Westjordanland, Juni 2023…
taz: Im Westjordanland hat die Gewalt israelischer Siedler*innen gegen
Palästinenser*innen zugenommen. Als Aktivist sind Sie fast täglich in
palästinensischen Dörfern unterwegs. Was machen Sie dort?
Guy Butavia: Die Leute bitten uns, einfach anwesend zu sein. Wir bekommen
unzählige Anfragen: „Kommt, seid bei uns, schlaft bei uns, wir haben
Angst.“ Das schützt sie weitgehend vor Gewalt. Deswegen gehen wir zum
Beispiel auch mit Hirten zum Weiden raus. Aktuell ist das besonders
wichtig, sonst kommen sie gar nicht mehr auf ihr Land. Wir helfen auch mit
Lebensmitteln oder Medikamenten, aber vor allem sammeln wir Information,
organisieren Besuche von Journalist*innen, Politiker*innen oder
Diplomat*innen, um über die Lage zu informieren und Druck zu machen.
[1][Vor dem 7. Oktober war die Siedlergewalt schon gravierend eskaliert],
mehrere Hirtengemeinschaften wurden vertrieben. Wie kam es dazu?
[2][Unter US-Präsident Trump hatte das Siedlungsprojekt einen
Blankoscheck]. Es kam so in Schwung, dass es unter Biden kaum noch zu
bremsen war. Die israelische Regierung zwischen 2021 bis 2022, die nicht
von Netanjahu geführt wurde, beschleunigte es dann noch mehr. Mit
Netanjahus neuer Regierung sitzen die Siedler*innen jetzt im Kabinett
und können sich uneingeschränkt austoben. Ihre neue Trumpfkarte ist es,
kleine Farmen zu gründen, die riesige Landstriche als Landwirtschaftsfläche
beanspruchen. So werden ganze Communitys vertrieben, die palästinensische
Wirtschaft wird zerstört.
Wie hat sich die Lage seit dem 7. Oktober verändert?
Die Siedler*innen sahen, dass sich ein Gelegenheitsfenster öffnete, in
dem sie neue Fakten schaffen konnten. Dabei bekamen sie Rückendeckung von
der Regierung. Tausende Siedler wurden formell zu Reservisten erklärt
und sie bekamen Uniformen und Waffen. Mittlerweile kann man gar nicht mehr
unterscheiden zwischen Siedlern und offiziellen Soldaten. Ohne dass die
Armee für Ordnung sorgt, schweifen die Siedler frei aus. Sie schießen,
verletzen und verursachen enorme Sachschäden. Etwa 20 Ortschaften haben sie
gänzlich vertrieben, hunderte von Menschen aus mehreren Quadratkilometern.
Die EU-Außenminister haben am Montag [3][Sanktionen gegen einige Siedler
im Westjordanland] auf den Weg gebracht. Bringt das etwas?
Sanktionen gegen gewalttätige Siedler sind wichtig, aber es darf nicht
dabei bleiben, dass man 4, 10 oder 28 Siedler sanktioniert. Es geht um
das System. Der Staat schickt sie dorthin, finanziert sie und bewaffnet
sie. Die politischen Maßnahmen und die Entscheidungsträger*innen
müssen das Ziel sein. Nur so kann das Phänomen gestoppt werden.
Die USA und Großbritannien haben bereits Sanktionen erlassen. Was haben die
bewirkt?
Die internationale Kritik, insbesondere die Sanktionen, haben dazu geführt,
dass die Siedlergewalt etwas nachgelassen hat. Aber es gibt weiter Razzien
von Siedlern, Soldat*innen oder Siedler-Soldaten. Ganze Communitys sind
so terrorisiert, dass niemand mehr schlafen kann. Seit Oktober befinden
sich außerdem praktisch alle Palästinenser*innen im Westjordanland
unter Ausgangssperre. Sie dürfen ihre Dörfer und Städte nicht verlassen, 95
Prozent der israelischen Tore an den Eingängen bleiben zu. Manche finden
Umwege, etwa indem sie auf Eseln über die Felder reiten. Aber der Verkehr
ist stark zurückgegangen. Und die Wirtschaft steht komplett still. Ein
Großteil der Einnahmen im Westjordanland kam aus Tageslohnarbeit im
israelischen Kerngebiet. Jetzt wird niemand mehr reingelassen. Auch in den
palästinensischen Städten fließt nicht genug Geld.
Ein anderer Grundpfeiler der Wirtschaft ist die Landwirtschaft. Wie ist es
um sie bestellt?
Ebenso schlecht. Die Landwirt*innen dürfen nicht auf ihr Land und können
ihre Produkte ohnehin nicht auf den Markt bringen. Die Hirten sind
mehrfach betroffen, da viele vertrieben worden sind und in die Städte
fliehen mussten. Sie mussten zeitgleich ihre Herden verkaufen, so dass der
Wert ihres Viehbestands schlagartig gesunken ist. Menschen sind in bislang
ungekannter Not, [4][bis hin zu Hunger].
Gibt es auch Gewalt gegen Siedler*innen?
Bisher bleibt die Gewalt größtenteils einseitig. Ich vermute, dass das auch
an der Ausgangssperre liegt. Aber es wird einen Backlash geben, sobald sie
gelockert wird. Es wird furchtbar sein. (Die israelischen
Kabinettsmitglieder) Ben-Gvir und Smotrich scheinen das aber zu wollen. Sie
schikanieren palästinensische Gefangene und setzten sich dafür ein, dass
ihre Rechte eingeschränkt werden [5][und sich die Bedingungen in den
Gefängnissen verschlechtern]. Sie haben vor Ramadan sogar gedroht,
niemanden aus dem Westjordanland nach Jerusalem zu lassen. Sie wollen den
Brand offenbar beschleunigen und somit das Gelegenheitsfenster weiter
öffnen. Ich gehe davon aus, dass es ihnen gelingt: Wir stehen vor einer
Spirale furchtbarer Gewalt.
Braucht es auch Druck aus Deutschland?
Durchaus. Ihr müsst Gleichheit fordern für die Gewaltopfer in Palästina.
Auch die Rechte der Palästinenser*innen müssen respektiert werden,
auch sie müssen als Menschen angesehen werden. Das heißt: Israel muss sich
ans Völkerrecht halten. Die Katastrophe im Westjordanland – gar nicht erst
zu sprechen von der im Gazastreifen – darf man nicht zulassen.
Viele Deutsche sehen sich gerade auch jetzt während des [6][Gazakriegs] in
erster Linie dem jüdischen Volk verpflichtet. Haben Sie dafür Verständnis?
Als ein Vertreter der dritten Generation der Holocaustopfer betone ich
immer: „Nie wieder“ muss heißen: „Nie wieder für alle“. Auch die Shoah
wurde nicht nur an Jüdinnen und Juden begangen. Die Lehre muss sein,
Rassismus und als Teil dessen auch Antisemitismus zu bekämpfen. Wenn
deutsche Schuldgefühle dazu führen, dass Prinzipien auf andere Menschen
nicht angewandt werden, ist das für mich eine Verzerrung. Grundrechte darf
man Menschen nicht wegnehmen.
Korrektur: In einer früheren Version dieses Interviews hieß es, dass mehr
als 20 Ortschaften gänzlich vertrieben wurden und dass hunderte Menschen
auf tausenden Quadratkilometern betroffen waren. Wir haben die
entsprechende Stelle nach Rücksprache mit dem Interviewpartner präzisiert
und die Flächenangabe, die auf einem Rechenfehler basierte, korrigiert.
19 Mar 2024
## LINKS
[1] /Neue-Gewalt-im-Westjordanland/!5915765
[2] /USA-zu-Israels-Siedlungspolitik/!5638866
[3] /-Nachrichten-im-Nahost-Krieg-/!5998800
[4] https://www.wfp.org/videos/gaza-violence-fueling-hunger-west-bank-forthemed…
[5] /Palaestinenser-in-Israels-Gefaengnissen/!5991925
[6] /Schwerpunkt-Nahost-Konflikt/!t5007999
## AUTOREN
Michael Sappir
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