| # taz.de -- Rechtsextremer Buchversand vor Gericht: „Mein Kampf“ lief am be… | |
| > Der rechtsextreme „Schelm“-Versand verschickt antisemitische oder | |
| > holocaustleugnende Bücher. Der Prozess begann ohne den Hauptbetreiber. | |
| Bild: Mein Kampf von Adolf Hitler, hier eine antiquarische Version | |
| Dresden taz | Das Angebot steht bis heute online. Werke wie „Das Ehrenbuch | |
| des Führers“, vertreibt der [1][„Schelm“-Versand] auf seiner Webseite. O… | |
| „Die jüdische Mafia, eine internationale Raubtierhorde“, ein | |
| „Whitepower“-Buch mit Hakenkreuz-Titel oder auch Hitlers „Mein Kampf“. … | |
| Versand dauere etwas länger, weil man eine „umwegige Lieferkette“ nehmen | |
| müsse, heißt es. Nach drei bis acht Wochen sollte die Lieferung aber da | |
| sein, anonym versendet, „ohne Zollschnüffelei“. | |
| Es sind einschlägige, vielfach indizierte Werke, die hier vertrieben werden | |
| – nur teils kaschiert als „historische Dokumentation“. Aber der Versand | |
| läuft schon seit fast zehn Jahren. Seitdem avancierte der „Schelm“ zu einem | |
| der zentralen Buchversände der rechtsextremen Szene. Am Donnerstag sitzen | |
| deshalb vor dem Oberlandesgericht Dresden drei Angeklagte, die dafür | |
| verantwortlich sein sollen – Matthias B., Enrico B. und seine frühere | |
| Lebensgefährtin Annemarie K., einst allesamt für die NPD aktiv. | |
| Im Dezember 2020 hatte die Polizei ein Lager des Versands in Bad Lausick | |
| bei Leipzig durchsucht und 53.617 Bücher beschlagnahmt, die allermeisten | |
| mit volksverhetzenden Inhalten und mit einem Verkaufswert von 913.222 Euro. | |
| Im Sommer 2022 folgte dann die Festnahme von Enrico B. und Matthias B., da | |
| ermittelte inzwischen die Bundesanwaltschaft. Der Vorwurf: Bildung einer | |
| kriminellen Vereinigung und Volksverhetzung. | |
| 809.749 Euro soll der Verlag mit dem Verkauf von 46.576 rechtsextremen | |
| Büchern allein von 2018 bis 2020 verdient haben. Doch auch seit den | |
| Festnahmen geht der Versand munter weiter. Weil ein Mann seit Jahren | |
| flüchtig ist: der bayrische Rechtsextremist Adrian Preißinger, der zuletzt | |
| viele Jahre in Leipzig lebte. Vor dem Oberlandesgericht geht es nun um | |
| seine früheren Mitstreiter. | |
| ## „Bücher wurden immer krasser“ | |
| Oberstaatsanwalt Adrian Jung von der Bundesanwaltschaft verliest eine nicht | |
| enden wollende Liste der antisemitischen, holocaustleugnenden oder | |
| rassistischen Bücher, die im „Schelm“-Lager gefunden wurden. Kopf sei der | |
| flüchtige Preißinger, sagt auch er. Aber auch Matthias B. habe Bestellungen | |
| entgegengenommen, die Bücher setzen lassen oder die IT betreut. Enrico B. | |
| und Annemarie K. hätten die Lagerung und den Versand übernommen. Damit habe | |
| das Trio „Hass gegen Teile der Bevölkerung“ verbreitet. | |
| Alle drei Angeklagten sagten schon vor Ermittlern aus, sie wollen es auch | |
| im Prozess tun. Den Auftakt macht Matthias B. – der publik macht, dass er | |
| sich seit Mitte 2022 im Aussteigerprogramm von Exit befindet. Über die NPD | |
| und seine Ausbildung beim verbandelten Deutsche Verlag Stimme habe er | |
| Preißinger kennengelernt. Erst habe er einen eigenen Verlag gegründet, | |
| Libergraphix. Später dann mit Preißinger den „Schelm“. Dieser sei ein | |
| „ordentlicher Antisemit“ gewesen und skrupellos. Als klar war, dass | |
| Ermittlungen liefen, habe er gesagt, „jetzt erst recht“. | |
| Über die Jahre seien die Bücher „immer krasser“ geworden, vor allem | |
| [2][„Mein Kampf“] sei sehr gut gelaufen, erklärt Matthias B. Mehrmals sei | |
| es ihm eigentlich „zu heiß“ geworden. Aber erst nach der Razzia 2020 habe | |
| er sich vom „Schelm“ verabschiedet. Nach seiner Festnahme 2022 sei er dann | |
| zu Exit gegangen und habe bei Ermittlern ausgepackt, auch über die | |
| Mitangeklagten. | |
| ## Hauptbetreiber lebt in Russland | |
| Einer, Enrico B., sagt später auch noch aus. Der Leipziger Rechtsextremist, | |
| früher auch in der Hooliganszene aktiv, versucht seine Rolle kleinzureden. | |
| Wegen seines eigenen Onlineversands für germanische Artikel, „Lokis Truhe“, | |
| sei Preißinger 2018 auf ihn zugekommen. Zusammen habe man dann das Lager in | |
| Bad Lausick angemietet und er habe die Bücher verschickt, sagt Enrico B. | |
| Sonst aber habe er mit dem „Schelm“ nichts zu tun gehabt, auch keine | |
| Zugriffe auf Datenbanken, beteuert der 41-Jährige. Nach der Razzia Ende | |
| 2020 sei dann jeglicher Kontakt zu Preißinger abgerissen. Dass er etwas | |
| Strafbares tue, habe er nicht gedacht, behauptet Enrico B. Die Bücher | |
| hätten anfangs ja auch über Amazon oder Thalia bestellt werden können. | |
| Richter Hans Schlüter-Staats geht dazwischen: Bei Büchern wie „Mein Kampf“ | |
| sei das nicht glaubwürdig. Er ermahnt ihn, die ganze Wahrheit zu sagen. | |
| Matthias B. erklärt dagegen auch, wo sich Preißinger befindet: in Russland. | |
| Anfangs sei der 60-Jährige noch gependelt, auch nach Asien. Seit 2015 oder | |
| 2016 lebe er dort dauerhaft, habe eine Russin geheiratet. Kontakt hätten | |
| beide über den Skype-Messenger gehalten. | |
| Nach eigener Auskunft hat Matthias B. dem LKA Sachsen sogar die genaue | |
| Adresse von Preißinger mitgeteilt und den Ermittlern auch Verlagsdaten und | |
| tausende Mails von Preißinger übergeben. Auch drei bis heute noch für den | |
| „Schelm“ aktive Mitarbeitende habe er benannt. Aber Preißinger genieße bis | |
| heute „Narrenfreiheit“, klagt Matthias B. Zu Festnahmen und einem | |
| Vertriebsende führte das bisher tatsächlich nicht. | |
| Die Bundesanwaltschaft hatte zuletzt erklärt, die kriminelle Vereinigung | |
| gelte „als zerschlagen“, man führe deshalb gegen sie keine weiteren | |
| Ermittlungen. Zur Fahndung gegen Preißinger wollte sie sich nicht äußern. | |
| Das LKA Sachsen beteuert, dass durchaus weiter ermittelt werde. Bisher sei | |
| eine Festnahme von [3][Preißinger] aber nicht möglich gewesen, so eine | |
| Sprecherin. Gleiches gelte für wiederholte Versuche, die Webseite offline | |
| zu nehmen, da die Server im Ausland stünden. | |
| ## Website kann nicht abgeschaltet werden | |
| Nach taz-Informationen soll sich Preißinger in einem Vorort von Moskau | |
| befinden. Der „Schelm“-Versand gibt auf seiner Webseite aktuell eine | |
| Adresse in Thailand an und behauptet, die Bücher würden aus dem „EU-Raum“ | |
| verschickt. Laut Matthias B. wurden die Bücher in den vergangenen Jahren in | |
| Ungarn gedruckt. Die Bezahlung sei zuletzt über Scheinfirmen und Konten in | |
| Spanien abgewickelt worden. | |
| Auf der „Schelm“-Webseite werden die Ermittler verhöhnt: Trotz Verfolgung | |
| durch die „wildgewordene BRDDR-Meute“ sei man „nicht kaputtzukriegen“, | |
| heißt es da. Man befinde sich „im Kriegszustand gegen ein | |
| heuchlerisch-verlogenes System“. Jede Woche gebe es Störangriffe auf das | |
| EDV-System, die aber abgewehrt würden, weil der Systemadministrator ein | |
| „ausgepuffter IT-Krimineller der Russen-Mafia“ sei. | |
| Die Linken-Abgeordnete Martina Renner fordert ein Ende des Spuks. Es sei | |
| „unverständlich“, dass die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen nicht mehr | |
| weiterführe, insbesondere wenn sich Preißinger im Ausland aufhalte, sagte | |
| sie der taz. Und „vollkommen abwegig“ sei es, dass die Vereinigung | |
| zerschlagen sei, wenn der Versand munter weiter NS-Literatur verkaufe. | |
| Anmerkung der Redaktion: Wir haben den Artikel am 15.3.24 aktualisiert und | |
| um die Inhalte der Zeugenaussage von Enrico B. ergänzt. | |
| 14 Mar 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Konrad Litschko | |
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