# taz.de -- MaerzMusik-Festival in Berlin: Ein kosmisches Piepsen | |
> Vom theatralisch aufgemotzten Stockhausen bis zur Dudelsackmusik mit | |
> Donnergrollen: Bei der MaerzMusik gab es wieder allerlei Seltsames zu | |
> hören. | |
Bild: Musik im Bauch – Les Percussions de Strasbourg | |
Obere Reihe, von links der Fünfte: Das ist Karlheinz Stockhausen auf dem | |
Prominentencover des „Sgt. Pepper“-Albums. So hat man schon mal den | |
Beatles-Eintrag. Der Avantgardekomponist und Pionier der elektronischen | |
Musik Stockhausen (1927–2007) [1][hat aber noch mehr Spuren in der Popmusik | |
hinterlassen]. Seine Schüler Irmin Schmidt und Holger Czukay prägten mit | |
Can den Krautrock. Unbedingt zitieren in diesem Zusammenhang muss man auch | |
die schöne Zeile „Who is Mr. Herr Stockhausen?/ Introduce me/ I’m Damo | |
Suzuki“ von The Fall aus dem Song „I am Damo Suzuki“, eine Würdigung des | |
einstigen Can-Sängers Damo Suzuki. | |
Aber wer dieser Mr. Herr Stockhausen ist, sollte man doch besser noch in | |
dessen eigener Musik hören. Vergangene Woche konnte man das im Haus der | |
Berliner Festspiele mit „Musik im Bauch“, einer Komposition Stockhausens | |
aus dem Jahr 1975, der man bei der Festivalregie allerdings wohl ein wenig | |
misstraut hat. | |
Denn gegeben wurde das Stück in einer recht aufgemotzten Inszenierung des | |
Komponisten Simon Steen-Andersen, die auch wirklich toll zu begucken war | |
auf der nebelverhangenen Bühne, auf der die Musikerinnen von Les | |
Percussions de Strasbourg herumrollend im fahlen Licht die Musik | |
verrichteten. Eine traumhafte, durchaus gespenstisch wirkende Szenerie. | |
Klamm anrührend. Und unbefriedigend. Weil halt auch diese sehr ansehnliche | |
Verpackung dem Pochen und Sirren samt dem, nun ja, kosmischen Piepsen der | |
immer nur andeutungshaft verbleibenden Musik Stockhausen letztlich nicht | |
wirklich auf die Sprünge helfen konnte. | |
Diese „Musik im Bauch“ war Teil des gerade zu Ende gegangenen Festivals | |
MaerzMusik. Und Festivals sind ja eine prima Einrichtung zum Ausgehen und | |
Rumsitzen. Wo man reinschmecken kann in einen größeren Zusammenhang, hier | |
die Neue Musik. Und Sachen ausprobieren, sie in ein Verhältnis setzten. Das | |
mag jetzt mal die Kategorie „deutsche Komponisten“ sein. | |
## Dudelsack als musikalische Seltsamkeit | |
Zwei Tage nach der „Musik im Bauch“ war so bei der MaerzMusik von Helmut | |
Lachenmann (Jahrgang 1935) wieder im diesmal lange nicht so gut wie bei | |
Stockhausen gefüllten Haus der Berliner Festspiele das Stück „Mouvement (– | |
vor der Erstarrung)“ zu hören, gespielt vom Ensemblekollektiv Berlin. | |
Von einer Wechselwirkung von Lachenmann und Pop kann eigentlich nicht groß | |
die Rede sein, seine aus den Anfangachtzigern stammende musikalische | |
„Bewegung“ war ein schwer atmendes, lungenrasselndes, unterdrückt | |
schreiendes, kreischendes und wieder verröchelndes, aufseufzendes, lustvoll | |
zuckendes, zwischendurch verblüffend melodiöses und überhaupt sehr | |
lebendiges Stück Musik. Unbedingt ein Golden Oldie der Neuen Musik. Gäbe es | |
für diese manchmal doch seltsam schmeckende Musik eine Hitparade, sollte | |
sie weit oben stehen. | |
Eine musikalische Seltsamkeit ist auch der Dudelsack. Ganz bestimmt kein | |
Leitinstrument der Neuen Musik, wie er überhaupt seit dem Mittelalter ein | |
wenig außer Mode gekommen ist und eigentlich nur mehr in einigen Folkloren, | |
bei den Schotten, in Irland, seine Liedchen pfeift. | |
Aber irgendwas geht ja immer, und so hat auch dieses sackartige Instrument | |
hier und da sein Plätzchen in der Neuen Musik gefunden mit seinem Balg. | |
[2][Zum Beispiel bei Heiner Goebbels] (Jahrgang 1952), der früher mal | |
selbst Pop gemacht hat oder zumindest so was Ähnliches mit einem | |
Eisler-geschulten Freejazz, spontibeseelter Blasmusik mit dem Sogenannten | |
Linksradikalen Blasorchester oder heftigen Kunstrock mit der Band Cassiber, | |
bis er sich doch immer mehr in der sogenannten Hochkultur beheimatete. | |
Sein Dudelsack-Stück „N°20/58“ konfrontierte den Dudelsackspieler Erwan | |
Keravec beim Konzert im Radialsystem mit einer Tonspur aus den | |
Lautsprechern. Heftiges Gewitter war zu hören, prasselnder Regen, Donner, | |
ein Naturspektakel. Wind und Wetter, und mittendrin der Dudelsack mit | |
seinem singenden Klageton. Später wechselte die Natur mit Pochen und | |
Hämmern in eine Industriehallenatmo, immer passierte was in der | |
Soundcollage, schon auch wieder mal ein recht unterhaltsames Stück Neue | |
Musik. | |
25 Mar 2024 | |
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## AUTOREN | |
Thomas Mauch | |
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