# taz.de -- Eltern eines YPG-Kämpfers über Klage: „Wir wollen unseren Sohn … | |
> Der Kieler Konstantin Gedig starb im Kampf gegen Islamisten durch | |
> türkische Bomben. Seine Eltern klagen beim Generalbundesanwalt gegen die | |
> Türkei. | |
Bild: Ein Polizeihubschrauber kreist über einer Demonstration gegen die türki… | |
taz: Frau Ruß, Herr Gedig, warum haben Sie Anzeige gegen die Türkei beim | |
Generalbundesanwalt erstattet? | |
Thomas Gedig: Unser Sohn Konstantin [1][ist von der Türkei ermordet | |
worden]. Das ist ein „Offizialdelikt“, da müssen die Justizbehörden | |
eigentlich von sich aus Ermittlungen aufnehmen. Wir gehen aber davon aus, | |
dass das nicht passiert ist. Deshalb haben wir uns an die | |
Bundesanwaltschaft gewandt. | |
Ute Ruß: Wir sind der Ansicht, dass das Kriegsverbrechen, durch das | |
Konstantin getötet wurde, aufgeklärt werden muss. Auch der | |
[2][wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat ja festgestellt], dass die | |
Türkei bei ihrer Militäroffensive gegen die kurdischen YPG-Milizen 2019 das | |
Völkerrecht gebrochen hat, indem sie in Nord- und Ostsyrien einmarschiert | |
ist und die kurdischen Gebiete bombardiert hat. | |
Konstantin war in Rojava, um mit den kurdischen Milizen gegen den | |
sogenannten „Islamischen Staat“ zu kämpfen. Was wissen Sie über den Tod | |
Ihres Sohnes? | |
Gedig: Das meiste wissen wir aus eigenen Recherchen. Am 16. Oktober, dem | |
Tag seines Todes, war er mit seiner Einheit [3][im nordsyrischen | |
Serêkaniyê], wo die Türkei die Bevölkerung bombardierte. Kampfbedingt | |
mussten sie sich aufteilen, Konstantin sollte mit drei Kamerad*innen | |
durch einen Tunnel hinter die feindlichen Linien gehen. Er wurde am Kopf | |
und am Bein verletzt, wahrscheinlich durch einen Splitter. Er verarztete | |
sich selbst und wollte weiter, aber seine Kamerad*innen zogen ihn raus | |
und brachten ihn zu einem Sammelpunkt für Verletzte. Dieser Sammelpunkt | |
wurde dann bombardiert. Dabei starben Konstantin und mehrere andere. | |
Woher haben Sie diese Informationen? | |
Ruß: Im vergangenen Jahr sind wir selbst nach Syrien gereist. Wir wollten | |
die Menschen treffen, die Konstantin kennengelernt haben und so viel wie | |
möglich über seine Zeit in Rojava und die Umstände seines Todes erfahren. | |
Wir konnten mit vielen seiner Mitstreiter*innen und einigen | |
hochrangigen Kommandant*innen der YPG und SDF (Syrisch-demokratische | |
Kräfte, A. d. Red.) sprechen. Das hat uns sehr geholfen. | |
Eigentlich ist das Auswärtige Amt zuständig, wenn Deutsche im Ausland | |
sterben. | |
Gedig: Wir haben uns schon oft an die Behörde gewandt. Im vergangenen Jahr | |
hatten wir auch ein gutes Gespräch mit Staatsministerin Katja Keul, aber | |
leider folgte daraus nichts. | |
Was hätte folgen sollen? | |
Ruß: Wir möchten Konstantin endlich beerdigen. Aber die Türkei rückt seinen | |
Leichnam nicht heraus. Allerdings wissen wir nicht, ob die deutschen | |
Behörden die türkischen überhaupt danach gefragt haben. Das Auswärtige Amt | |
kommuniziert sehr intransparent mit uns, wir haben mittlerweile einen | |
ganzen Aktenordner an Kommunikation mit der Behörde. Aber der Tenor ist | |
immer: Man weiß nichts. | |
Glauben Sie das? | |
Gedig: Nein. Der nordsyrische Luftraum war zu der Zeit, als Konstantin | |
getötet wurde, der am besten überwachte der Welt. Natürlich könnte man | |
herausfinden, welcher Pilot die Bombe auf Konstantin abgefeuert hat. Aber | |
für den Staat ist Konstantin nur ein Einzelfall, ein junger Mann, der | |
freiwillig im Krieg war. Dafür legt man sich nicht mit dem Nato-Partner an. | |
Für uns ist das unerträglich. | |
Warum war Konstantin so entschlossen? | |
Gedig: Die Medienberichte über die Gräueltaten des „Islamischen Staats“ u… | |
was diese Verbrecher mit der jesidischen Bevölkerung machten, gingen ihm | |
sehr nahe. Als er zum ersten Mal in den Nordirak ging, erfuhren wir davon | |
erst, als er schon vor Ort war. Er schrieb uns: „Ich versuche jenen zu | |
helfen, die nicht fliehen können, [4][weil sie an der türkischen Grenze | |
erschossen werden.] Und denen, die beschlossen haben zu bleiben.“ | |
Einmal kam Konstantin wieder. | |
Ruß: 2017 kam er, um eine Verletzung zu heilen, die vor Ort nicht operiert | |
werden konnte. Er war bei der Befreiung von Rakka angeschossen worden. Er | |
machte uns klar, dass er wieder losziehen würde, wenn die Wunde verheilt | |
wäre. Das war sehr hart für uns. | |
Gedig: Man versucht das dann nicht dauernd zu thematisieren, sondern jede | |
Stunde zu genießen, die man zusammen hat. | |
Ruß: Ich habe es schon thematisiert. Ich konnte nicht anders. Aber wer | |
Konstantin kannte, kannte auch seine Entschlossenheit. Er sagte „Daesh | |
(abwertende arabische Bezeichnung für den „Islamischen Staat“, A. d. Red.) | |
ist noch nicht besiegt. Ich muss wieder hin.“ Am 4. März 2019 haben wir uns | |
am Kieler Hauptbahnhof von ihm verabschiedet. Das letzte Mal, dass wir ihn | |
sahen. | |
Was erhoffen Sie sich von der Anzeige? | |
Ruß: Wir erwarten, dass deutsche Behörden die Täter ermitteln und zur | |
Verantwortung ziehen. Und zwar auf militärischer und politischer Ebene. Da | |
es sich um ein Kriegsverbrechen handelt, ist im nächsten Schritt der | |
Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zuständig. Bevor man den anruft, | |
muss man den nationalen Weg ausschöpfen. Der Generalbundesanwalt sollte | |
aber seine Arbeit tun! | |
Für wie realistisch halten Sie es, dass die Behörden aktiv werden und | |
türkische Generäle vor Gericht bringen – und letztlich Präsident Recep | |
Tayyip Erdoğan? | |
Gedig: Wir sind ja nicht allein mit der Ansicht, dass es sich hier um ein | |
Kriegsverbrechen handelt. Und derzeit laufen ja in Deutschland zum Beispiel | |
auch Prozesse gegen mutmaßliche syrische Folterknechte. Gegen die | |
türkischen Mörder von Konstantin kann das auch passieren. Wir sehen nicht, | |
warum da zweierlei Maß gelten sollte. | |
Ruß: Wir erwarten von den deutschen Behörden ernsthafte Unterstützung, | |
damit wir Konstantin beerdigen können. | |
Was wissen Sie über den Verbleib des Leichnams Ihres Sohnes? | |
Ruß: Als Konstantin getötet wurde, war es seinen Mitstreiter*innen | |
nicht möglich, seinen Leichnam zu bergen – sie wurden ja bombardiert. Wir | |
haben auf türkischen Internetportalen Hinweise gefunden, dass die | |
offiziellen türkischen Stellen meldeten, den deutschen Terroristen „Andok | |
Cotgar“, sein kurdischer Kampfname, identifiziert und seinen Leichnam | |
zusammengesetzt zu haben. Leider zeigt die Türkei im Umgang mit Toten und | |
ihren Angehörigen keinerlei Menschenwürde. | |
Gedig: Deshalb erwarten wir, dass der deutsche Staat Druck auf Erdoğan | |
ausübt. Sei es mit Sanktionen, oder wie auch immer. | |
24 Mar 2024 | |
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## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
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