| # taz.de -- Tee-Verkostung: „Man muss die Bitterkeit überwinden“ | |
| > Kann man abends noch Tee trinken? Gibt es gute Beuteltees? Und was kann | |
| > eine Teebegleitung, was Wein nicht kann? Eine Tee-Sommelière berichtet. | |
| Bild: Bis zu zehn Aufgüsse kann man von guten Tees schon mal machen – und da… | |
| Der Gastraum des Oukan in Berlin wird von einem zwei Meter großen | |
| Bonsai-Ficus beherrscht. Die Wände sind aus Beton, das Interieur ist | |
| schwarz. Hier, in einem veganen Restaurant für japanische Klosterküche, | |
| arbeitet Kwok Ying von Beuningen als Tee-Sommelière. In einem durch Seile | |
| abgetrennten Separée lassen wir uns nieder. | |
| wochentaz: Frau von Beuningen, als Tee-Sommelière in einem | |
| Fine-Dining-Restaurant heben Sie den Tee auf eine höhere Bedeutungsebene. | |
| Da frage ich mich ja gleich, was man beim Teetrinken alles falsch machen | |
| kann. | |
| Kwok Ying von Beuningen: Wenig! Außer natürlich, man trinkt zu schnell. | |
| Deshalb passt es ja auch zu diesem Ort, an dem Achtsamkeit, Ruhe und | |
| Bedachtheit großgeschrieben werden. | |
| Klappt das denn so mitten im trubeligen Berlin? | |
| Diejenigen, die ihren Wein sehr schnell trinken, tun das auch mit Tee – | |
| bloß geht das hier weniger desaströs aus. Wir schenken jeweils mit Bedacht | |
| kleine Mengen ein, um bewusst zur Langsamkeit einzuladen. Aber lassen Sie | |
| uns am besten selbst probieren. | |
| Kwok Ying von Beuningen deckt den Tisch ein und gießt kochendes Wasser in | |
| ein mit Teeblättern gefülltes Tongefäß. Bereits nach einer halben Minute | |
| befüllt sie ein Trinkglas mit rotbräunlichem Tee. Nachdem wir die Farbe | |
| durch das durchsichtige Glas begutachtet haben, befüllt sie zwei | |
| Porzellanschälchen, deren Größe etwa auf halbem Weg zwischen Fingerhut und | |
| Kaffeetasse liegt. | |
| Ich kenne Wein- und Edelbrand-Sommeliers, habe kürzlich [1][eine | |
| Wasser-Sommelière] kennengelernt und auch der kaffeekundige Barista ist mir | |
| geläufig. Von einer Tee-Sommelière hatte ich hingegen noch nie gehört. | |
| Welcher Weg führte Sie dorthin? | |
| Ich bin in Hongkong und daher mit Tee aufgewachsen, und habe mich früh für | |
| ihn begeistert. Als ich 2010 nach Deutschland kam, wollte ich dann auch den | |
| beruflichen Weg in Richtung Tee einschlagen und habe Kurse zum Thema | |
| belegt. Schnell habe ich allerdings gemerkt: Ohne offiziellen Schein mit | |
| Stempel drauf geht hier wenig. Die IHK hat mir diesen dann mit ebenjenem | |
| Titel zur „Sommelière“ ausgestellt. | |
| Und damit ging es dann in die Gastronomie? | |
| Nein, zunächst bin ich in den Handel gegangen, habe also Tee ge- und | |
| verkauft. Das brachte mich nach China und Taiwan, wo ich wirklich von der | |
| Ernte auf dem Feld bis zum Verpacken eingebunden war und alle Prozesse noch | |
| einmal von der Pike auf gelernt habe. Das braucht man auch, um Tee zu | |
| verstehen. Oder, um zu verstehen, wie weit der Weg des Verstehens hier ist. | |
| Was sagen Sie zu Ihrem Tee? | |
| Ich rieche Heu und Leder, etwas Animalisches, es riecht nach … Bauernhof. | |
| Aber auf eine gute Weise, nach Ferien auf dem Land bei Regenwetter. | |
| Ich rieche Holz, sehr viel Holz, Erde, feuchten Waldboden, aber ja, da ist | |
| auch etwas Tierisches. Für mich ist das eine Einladung zum Waldspaziergang. | |
| Ein bisschen gelbe Frucht ist auch dabei. Das ist ziemlich typisch für | |
| diesen Tee. | |
| Stimmt, beim Trinken merke ich das Holz auch, und ganz viel Laub. Was genau | |
| trinken wir und mit welchem Gang im Menü wird der Tee kombiniert? | |
| Das ist ein Pu-Erh, mit dem ich einen Gang aus Kartoffelbrioche, Feigen und | |
| geröstetem Hojicha-Eis begleite. Hojicha wiederum ist ein gerösteter grüner | |
| Tee aus Japan. Diese leicht bittere, erdige Note von Pu-Erh passt schön zum | |
| Hojicha-Eis. Und seine leichte mineralische und waldige Seite lädt einfach | |
| zum Naturerlebnis im Herbst und Winter ein – da hatten wir den Gang auch | |
| auf der Speisekarte. | |
| Wie plant man ein solches Pairing? Woher weiß man, was passt? | |
| Ich bekomme ein Gericht von der Küche und ich denke nach, probiere aus. Es | |
| passiert auch, dass ich dann eine Begleitung vorschlage und die Küche das | |
| Gericht nachjustiert, sodass beide Komponenten perfekt miteinander | |
| kommunizieren. Manche Aromen ergänzen einander, andere stehen miteinander | |
| im Kontrast, wieder andere docken durch Ähnlichkeit aneinander an. | |
| Lässt sich das in einem Beispiel veranschaulichen? | |
| Kamairicha zum Beispiel hat wie die meisten japanischen Grüntees eine | |
| typische Umami-Note. Aber dieser besitzt noch eine zusätzliche elegante | |
| Nussigkeit. Dazu ist eine in Olivenöl – ebenfalls leicht nussig – kurz | |
| gebratene Jakobsmuschel gut vorstellbar. Und Formosa-Schwarztee wie etwa | |
| ein Ruby Black Tea – das ist ein kräftiger Tee aus Taiwan – hat eine leicht | |
| malzige, süßliche Note und orangenblütenartige Blumigkeit. Der passt zu | |
| Ente mit einer dunklen Sauce oder mit glasiertem Gemüse. | |
| Gibt es Dinge beim Tee-Pairing, mit denen der Gast sich schwer tut? Es ist | |
| ja doch noch für viele neu. | |
| Klar, viele können sich zunächst einfach nicht vorstellen, dass Tee eine | |
| solche Komplexität entwickeln kann. Da heißt es dann „So viel Tee! Dann | |
| auch noch am Abend?!“ Und dann ist am Ende noch nicht einmal Alkohol drin! | |
| Viele sind aber auch einfach überrascht und dann total begeistert. | |
| Das mit dem Abend hatte ich mich auch gefragt, in vielen Tees ist ja | |
| Koffein. | |
| Diese Bedenken gibt es. Obwohl viele ja im Restaurant nach dem Essen noch | |
| einen Espresso trinken, der viel reicher an Koffein ist. Und Alkohol hilft | |
| dem guten Schlaf nun auch nicht unbedingt. Aber sicher, darüber haben wir | |
| uns auch Gedanken gemacht, weshalb wir beispielsweise auf den Kombucha | |
| gekommen sind – für die helle Variante fermentieren wir Blätter vom | |
| Sakura-Kirschbaum. Hier, das können Sie mal probieren. | |
| Abermals deckt sie den Tisch ein, dieses Mal mit zwei verschiedenfarbig | |
| befüllten Sektgläsern, birnengelb und blutorangenfarben, an denen wir | |
| zunächst riechen. | |
| Kombucha ist fermentierter Tee? | |
| Das Koffein im Tee ist immer der Nährstoff für den Kombuchapilz. Im Fall | |
| unseres Sakura-Kombucha, das ist der hellere der beiden hier, benutzen wir | |
| dabei fermentierte Kirschbaumblätter als eine der Hauptzutaten. | |
| Die Teebegleitung im Oukan ist gerade einmal zehn Euro günstiger als die | |
| Weinbegleitung. Das ist natürlich eine Ansage was Stellenwert und Qualität | |
| betrifft. | |
| Ich würde hier Tee durchaus [2][mit Wein] oder [3][Whisky] vergleichen, da | |
| der ja auch gelagert wird und so seine Aromatik und Tiefe entwickelt. Man | |
| braucht zudem ein gewisses Know-how bei der Operation an sich, da das Aroma | |
| beim Tee noch mehrdimensionaler wird, es verändert sich bei den | |
| verschiedenen Aufgüssen. | |
| Stimmt, so etwas gibt es bei Wein oder Whisky nicht – jenseits vom | |
| Atmenlassen oder mit Wasser betröpfeln. Gibt es im Blick auf das Vokabular | |
| Parallelen? Wie kann ich mich für eine Teeverkostung begrifflich rüsten? | |
| Die Geschmacksfelder sind tatsächlich ganz ähnlich. Pu-Erh schmeckt oft | |
| holzig, erdig, nach hellen Früchten wie Mirabellen. [4][Klassischer | |
| schwarzer Tee] hingegen kommt oft mit malzigen Noten, roten Beeren, Vanille | |
| und auch exotischen Früchten wie Mango oder Litschi. Ein leicht oxidierter | |
| Oolong wiederum schmeckt blumig, cremig, reichhaltig und rund. | |
| Rote Beeren hätte ich auch bei diesem rötlichen Kombucha erwartet, aber da | |
| rieche und schmecke ich Kaffee und Kakao, sehr unerwartet! | |
| Richtig, das liegt am Koba Sannenbancha, einem japanischen Grüntee, mit dem | |
| wir hier verfeinern. Gemeinsam mit Pfifferlingen, Wacholderbeeren und Ancho | |
| Chili weckt dieser Tee im Getränk Erinnerungen an dunkle Chilischokolade | |
| und Kaffee. Der dunkle Kombucha hier ist tatsächlich aus der Teepflanze, | |
| aber auch vielen anderen Zutaten hergestellt. Das ist für ein harmonisches | |
| Pairing dankbar, weil man an vielen Stellen anknüpfen kann. Hier haben wir | |
| im Gericht fermentierte Limette und Habanero-Koji, da findet eine schwarze | |
| Kommunikation statt: Beides sind schwarze Früchte mit starken Aromen, | |
| passend zu Kaffee und Kakao. | |
| Klingt düster. Da brauche ich erst mal einen Absacker. Kann Tee das auch? | |
| Natürlich. Beim Absacker arbeitet man verdauungstechnisch ja gern mit | |
| Bitterkeit. Derer gibt es beim Tee zweierlei, eine schlechte und eine gute. | |
| Die schlechte ist die, die zu lange bleibt, die andere Aromen übertüncht | |
| und die von minderer Qualität oder falscher Zubereitung zeugt. Und dann | |
| gibt es die gute Bitterkeit: Die wollen wir, sie verschwindet irgendwann | |
| und holt dafür Süße und Blumigkeit hervor. Man muss also die Bitterkeit | |
| überwinden, um auf die süße Seite zu gelangen. | |
| Wie so oft im Leben. Trinken wir noch einen Aufguss? | |
| Gerne! Bis zu zehn Aufgüsse kann man, je nach Sorte und persönlichem | |
| Geschmack, getrost machen. [5][Gute Teehändler:innen] geben auch | |
| Aufgussempfehlungen, aber auch hier gilt, dass man selbst herausfinden | |
| muss, wie man ihn trinken möchte. | |
| Ich habe jetzt richtig Angst, wieder in meinem Teebeutel-Zuhause | |
| anzukommen. Gibt es gute Beuteltees? | |
| Die gibt es bestimmt. Sie kommen mir nur ausgesprochen selten unter. | |
| Generell geht’s dabei darum, dass der Tee zu wenig Raum hat. Der will nicht | |
| so zusammengepfercht sein und braucht es freier. | |
| 1 Jun 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Juliane Reichert | |
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