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# taz.de -- Volkskongress in China: Irgendwas mit fünf Prozent
> Premier Li Qiang legt ein ambitioniertes Wachstumsziel vor, zeigt jedoch
> kaum Reformwillen. Der Verteidigungsetat soll weiter stark steigen.
Bild: Peking am 5. März: Delegierte des chinesischen Volkskongresses bei ihrer…
Peking taz | Als die fast 3.000 Delegierten an Pekings Tiananmen-Platz aus
ihren Reisebussen stiegen, war fast alles beim Alten: Die Presse stürmte in
Scharen auf die in Volkstracht, Militäruniform und Arbeitskleidung
gehüllten Abgesandten zu, um sie vorm Betreten der Großen Halle des Volkes
für ein Kurzinterview abzufangen. Und tatsächlich: Die meisten standen
wirklich Rede und Antwort, auch wenn die Statements oft wie auswendig
gelernt wirkten. Doch zweifellos war die Regierung bemüht, sich nach vier
Jahren Corona-Restriktionen beim Volkskongress von ihrer offenen Seite zu
zeigen.
Premierminister Li Qiang gelang dies beim traditionellen Arbeitsbericht nur
bedingt. Seine Rede bildet stets Eröffnung wie Höhepunkt des Plenums des
Scheinparlaments. Mit Spannung erwartet wurde vor allem das offizielle
Wachstumsziel für dieses Kalenderjahr. „Rund fünf Prozent“, sagte der
Premier wie schon 2023.
Wie die Kennziffer einzuordnen ist, ist eine Frage der Perspektive: Fünf
Prozent ist niedrig, gemessen an dem Wachstum, das China noch in den nuller
Jahren hatte. Doch gemessen an den derzeitigen Herausforderungen ist das
Ziel ambitioniert: [1][Die Immobilienkrise wird noch auf Jahre das Wachstum
drücken], der Binnenkonsum ist weiter schwach, auch ausländische Investoren
halten sich derzeit zurück. „Es wird nicht einfach sein, die diesjährigen
Ziele zu erreichen“, sagte Li.
Doch [2][wie die Wirtschaft überhaupt expandieren soll, bleibt unklar.]
„Chinas Arbeitsbericht bestätigt dasselbe Wachstumsziel wie letztes Jahr,
legt aber keinen Plan vor. Kein Stimulus, keine Liberalisierung, nichts!“,
kommentiert die Ökonomin Alicia García-Herrero von der Nataxis-Bank auf X,
vormals Twitter.
## Es wird ein neuer Wachstumsmotor gesucht
Dabei ließ Li durchaus selbstkritische Töne anklingen. So sprach der
64-Jährige offen von strukturellen Problemen der Volkswirtschaft und der
Notwendigkeit, das eigene Entwicklungsmodell transformieren zu müssen. Doch
zugleich machte er stets deutlich, keine Wagnisse eingehen zu wollen.
Li möchte Chinas Wirtschaft auf der Wertschöpfungskette weiter nach oben
treiben. Bei E-Autos, erneuerbaren Energien und eingeschränkt auch bei
Halbleitern befindet sich das Reich der Mitte bereits auf einem
vielversprechenden Weg. Doch noch machen die sogenannten
Zukunftstechnologien zu wenig Umsätze, als dass sie den angeschlagenen
Immobiliensektor als Wachstumsmotor ersetzen könnten.
Die Märkte reagierten jedenfalls auf die Zukunftsvision der Regierung wenig
beeindruckt: In Schanghai blieben die Kurse am Dienstag weitgehend
konstant, Hongkongs Hang-Seng-Index sank gar um mehr als zweieinhalb
Prozent. Nur wenige Stunden vor Lis Rede hatte Goldman-Sachs-Starbankerin
Sharmin Mossavar-Rahmani, unverblümt in einem TV-Interview gesagt: „Unsere
Sicht ist, dass man nicht in China investieren sollte.“
Dagegen wird der ebenfalls am Dienstag ausgewiesene Militäretat schon
dekadent: Erneut wird er um 7,2 Prozent steigen und damit stärker als das
BIP. Die Diskrepanz wird noch deutlicher, wenn man weiß, dass viele
Etatposten des Militärs in den offiziellen Statistiken nicht auftauchen.
Doch schon die offiziellen Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Seit
drei Jahrzehnten ist der Anstieg des Militäretats nie unter 6,6 Prozent
gefallen.
## Mehr Druck auf Taiwan
Vor allem Taiwan wird dies mit Argusaugen verfolgen. Die Regierung der
demokratisch regierten Insel dürfte auch über Pekings Sprachwahl besorgt
sein: Taiwan wurde in Li Arbeitsbericht zwar nur in einem Absatz erwähnt,
doch brach er mit einer alten Standardformel. Sprachen Chinas Premiers
zuvor stets von einer „friedlichen Wiedervereinigung“, ließ Li diesmal das
Adjektiv kurzerhand weg. Offensichtlich will Peking den Druck erhöhen.
In der Großen Halle des Volkes war dies nur eine Randnotiz. In den Rängen
tummelten sich auch jetzt hunderte Journalistinnen und Journalisten aus dem
Globalen Süden, die Peking extra hatte einfliegen lassen. Die meisten von
ihnen bleiben dank großzügiger Stipendien gleich vier Monate im Land.
Aus Sicht der Regierung ist das eine smarte Investition, denn in weiten
Teilen Lateinamerikas wie der arabischen Welt gewinnt die Volksrepublik an
„soft power“: China steht für den Aufstieg aus der Armut, den Kampf gegen
Korruption und für eine alternative Weltmacht ohne koloniale Vergangenheit.
Dass das Land dabei immer autoritärer und unfreier geworden ist, fällt für
viele Beobachter aus dem Globalen Süden vergleichsweise wenig ins Gewicht.
5 Mar 2024
## LINKS
[1] /Immobilienkrise-in-China/!5985646
[2] /Wachstumskrise-und-Ideenlosigkeit/!5995810
## AUTOREN
Fabian Kretschmer
## TAGS
China
Nationaler Volkskongress
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