| # taz.de -- Filmklassiker: Die Brüste der Minderjährigen | |
| > Unter uns: Spielfilme waren früher besser, packender, raffinierter. Wenn | |
| > es da nicht das Problem mit dem Sexismus und der Übergriffigkeit gäbe. | |
| Bild: Szene vom Dreh des Tatorts „Reifezeugnis“ mit der 15-jährigen Nastas… | |
| Was ist Glück? Also, meine persönliche Glücksformel ist ganz einfach: In | |
| den Wintermonaten an freien Wochenenden abends Filmklassiker gucken – dazu | |
| ein guter Sherry, medium dry natürlich. Die volle Dosis mit einer leichten | |
| Neigung zu den siebziger Jahren und den USA gebe ich mir dann: „Taxi | |
| Driver“ mit Robert De Niro, Stanley Kubricks „The Shining“, „Getaway“… | |
| Original von 1973), oder, schon älter, Alfred Hitchcocks „Psycho“ oder „… | |
| Birds“; zum Heulen zwischendurch „Kramer vs. Kramer“ mit Meryl Streep und | |
| Dustin Hoffman, danach zum Runterkommen „Der weiße Hai“ von Steven | |
| Spielberg. Ich bin da ganz bei Sahra Wagenknecht, zumindest was Spielfilme | |
| angeht: Früher war alles besser. | |
| Mal unter uns: Ist der Wahnsinn, den „Fight Club“ zeigt, eigentlich noch zu | |
| toppen, [1][der großartige Schnitt in „Bullitt“ mit Steve McQueen], die | |
| Milieudichte in Martin Scorseses frühen Mafia-Filmen, das Nebeneinander von | |
| Grauen und Komik in „Fargo“ von 1996? Leider werden die Tage jetzt wieder | |
| länger – abends im Hellen den Horrorfilm „The Exorcist“ | |
| (Teufelsaustreibung!) sehen? Funktioniert nicht so gut. | |
| Und schwups, ist es März und schon wieder Oscars-Zeit, die einen in die | |
| schnöde Film-Gegenwart reißt. Ich finde es kurios, wie beflissen | |
| FilmjournalistInnen zu Festivals immer ellenlange, sehr deskriptive | |
| Rezensionen schreiben; ganz schlimm ist es jedes Jahr zur Berlinale. Keiner | |
| traut sich mal zu schreiben: Dieser Film wird in einem Jahr vergessen sein. | |
| Okay, ich gebe zu, es gibt Ausnahmen: Als ich neulich den Trailer von | |
| „Nomadland“, drei Oscars 2021, mit der großartigen Frances McDormand sah, | |
| bekam ich dann doch wieder feuchte Augen – wie damals beim Film. | |
| Wie zu erwarten gab es dann wieder das auf Filmfestivals offenbar | |
| inzwischen obligate Gaza-Statement. Jonathan Glazer, der Regisseur des | |
| prämierten Auschwitz-Films „The Zone of Interest“, meinte in seiner | |
| Dankesrede, [2][er habe den Film auch gemacht, um zum Nachdenken über das | |
| Heute anzuregen]: „Seht, was wir heute tun.“ Und meinte den 7. Oktober und | |
| den Einmarsch der Israelis in Gaza gleichermaßen. Er dachte sich wohl: | |
| Jetzt muss ich irgendwas zu Gaza sagen, von wegen die Filmbranche ist | |
| politisch und so. Der Film wurde übrigens lange vor dem 7. Oktober 2023 | |
| produziert. | |
| ## Voyeurismus der Männer | |
| Derzeit wird wieder über alte Filme diskutiert. Die Schauspielerin | |
| Nastassja Kinski fordert vom NDR eine Entschuldigung dafür, dass man sie im | |
| Tatort „Reifezeugnis“ von 1977 dazu nötigte, ihre Brüste zu zeigen; sie w… | |
| 15. Bei einem Film von Wim Wenders, wo sie sich ebenfalls obenrum ausziehen | |
| musste, war sie erst 13. Wim Wenders [3][ließ jetzt gegenüber der | |
| Süddeutschen Zeitung erklären], dass damals „so viel so komplett anders | |
| gesehen wurde“. | |
| Ja, die Zeit. Damals ging es um sexuelle Befreiung und das Ende der | |
| Prüderie. Aber warum hat dann Wenders’ Kollege Wolfgang Petersen, der | |
| Regisseur von „Reifezeugnis“, dafür nicht den – zwecks Jugendschutz | |
| meinetwegen unerigierten – Penis von Kinskis Filmpartner Christian | |
| Quadflieg gezeigt, stattdessen aber die Brüste einer Minderjährigen, die | |
| sich nicht wehren konnte? Sexuelle Befreiung im Film – das hieß sehr oft, | |
| voyeuristische Bedürfnisse von heterosexuellen Männern zu bedienen. | |
| ## Hitchcocks Blondinen | |
| Die ganz Großen der Filmgeschichte stehen auch längst in differenziertem | |
| Licht. Alfred Hitchcock suchte sich für die weibliche Hauptrolle | |
| bekanntlich immer den Typ „schöne kühle Blondine“ aus, was laut Drehbüch… | |
| eher nicht zwingend nötig war. „The Birds“-Star Tippi Hedren ließ er | |
| vertraglich dazu verpflichten, dass sie auch außerhalb der Dreharbeiten ihr | |
| blondiertes Erscheinungsbild behielt. Klar hat er als wenig ansehnlicher | |
| Mann seinen Ruhm und seine Macht dazu benutzt, um schöne junge Frauen um | |
| sich zu haben. Wäre Hitchcock bei seinem ersten Job als technischer | |
| Zeichner in London geblieben, hätte er sicherlich nicht Grace Kelly davon | |
| überzeugen können, für ihn zu arbeiten. | |
| Filme waren früher raffinierter und packender; cooler sowieso. Sie waren | |
| besser als heutige Filme – aber nur, wenn man bei Sexismus und | |
| Übergriffigkeit großzügig ein Auge zudrückt. | |
| 16 Mar 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.youtube.com/watch?v=FJZ-BHBKyos | |
| [2] /Oscarverleihung-in-Los-Angeles/!5997161 | |
| [3] https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/medien/nastassja-kinski-ndr-na… | |
| ## AUTOREN | |
| Gunnar Hinck | |
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