# taz.de -- Ausstellung in Halle über Magie: Den Teufel an die Wand malen | |
> Das Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle an der Saale zeigt eine | |
> Ausstellung zu den Geheimnissen der Magie. Warum sich ein Besuch lohnt. | |
Bild: Immer aktuell: Der Glaube an das Übernatürliche | |
HALLE AN DER SAALE taz |„Prüft das Geschick dich, weiß es wohl warum: Es | |
wünschte dich enthaltsam! Folge stumm.“ Aber leider: Genau, das, was Goethe | |
hier in Versen sagt, schaffen wir halt nicht. Wir wollen – und müssen | |
evolutionsbiologisch vielleicht auch – immer wieder den Versuch wagen, | |
Einfluss zu nehmen auf unser Schicksal, wenn’s sein muss auf Teufel komm | |
raus. Und damit sind wir bei der Magie und bei einer ihr gewidmeten, gerade | |
groß genug angelegten Ausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte in | |
Halle an der Saale, die den Besuch unbedingt lohnt – und Halle ist ja | |
ohnehin die schönste Großstadt in Deutschland. | |
Magie machen immer die anderen, man selbst ist religiös oder spirituell, | |
oder so aufgeklärt, dass der Blick ins Horoskop nur ganz selten gegönnt und | |
das Hals-und-Beinbruch-Wünschen nicht mehr als Zauberspruch wahrgenommen | |
wird. | |
Wenn im 16. Jahrhundert im katholischen Deutschland aufwendig gefasste | |
Madonnentaler als Amulett insbesondere von Schwangeren getragen werden, | |
dann ist die Kirche damit okay; dass solche in der Ausstellung gezeigten | |
Münzen allerdings Kratzspuren aufweisen, weil die so gewonnenen Silberspäne | |
eingenommen und bei der Wundbehandlung eingesetzt wurden – tatsächlich ist | |
die keimtötende, wenn auch zellschädigende Wirkung von Silber belegt –, | |
dann strahlt das in alle Richtungen des Themas. | |
Religiöser Glaube, protowissenschaftliche Erfahrungswerte und Inkorporation | |
des Abriebs, die schon auf den für Magie wesentlichen Drogengebrauch | |
verweist. Auch altägyptische Augenschminke wie bei Nofretete hat magische | |
wie medizinische Funktion. | |
## Magie als Schutz und Angriff | |
Die Alraune, die mit ihrem gefächerten Blütenkopf gut Vorbild hätte sein | |
können [1][für das Monster aus der Serie „Stranger Things“], ist das | |
vielleicht eindrücklichste Beispiel für die mit magischen Substanzen | |
verbundenen Ängste und Hoffnungen. Die Wurzel der Pflanze mit dem | |
hübsch-raunenden lateinischen Namen Mandragora enthält psyochaktive | |
Substanzen, zudem lässt sie sich menschengestaltig lesen. | |
Das Herausziehen der ausgegrabenen Pflanze überließ man Hunden, denn wer | |
die Alraune ausreißt, muss mit Fluch und Verdammnis rechnen. Die Wirkung | |
der Substanzen wird oft als Flugerfahrung geschildert, was schon auf die | |
Hexen verweist, die sich auf dem Blocksberg zusammenfinden, um den Teufel | |
zu umschwirren. | |
Magie ist Schutz und Angriff, Abwehr und Rache. Gedacht wird in Analogie, | |
Gleiches soll Gleiches abwehren beziehungsweise vergelten. Dem bösen Blick | |
wird mit Augen begegnet, die zurückstarren. „Alles Herausragende“, heißt … | |
in einem Aufsatz dazu, „zieht die neidischen Blicke der Gottheiten auf sich | |
und diese zerstören das von ihnen Beneidete.“ | |
Ab dem späten Mittelalter werden die bösen Blicke von Göttern, ethnischen | |
Minderheiten oder sonst wie von der Norm abweichenden Personen dann [2][der | |
„kumulativen Figur“ der Hexe zugeschrieben], die es damit ein weiteres Mal | |
wirklich nicht leicht hat. Kein Wunder, dass in dieser frauenfeindlichen | |
Linie insbesondere Phallusobjekte als Abwehrzauber eine wesentliche Rolle | |
spielen und in der griechisch-römischen Antike als Amulett, Kerzenhalter, | |
Öllämpchen in jeder nur erdenklichen Form auftauchen. | |
## Plazenta als Verbindungsglied | |
Ein anderes wesentliches Zauberkörperteil sind die Hände, die heilen, in | |
Metallform bis in die Gegenwart an Ställen und auf Dachböden hängen, um zu | |
schützen, oder die klatschend böse Geister vertreiben. | |
Die besondere Sorge um die Plazenta als Verbindungsglied zwischen Mutter | |
und Neugeborenem – die immer als besonders gefährdet und jeglichem bösen | |
Zauber ausgesetzt galten – hat sich bis heute erhalten, sie wird | |
tatsächlich noch immer gegessen oder ein Bäumchen aus ihr gezogen, | |
jedenfalls dem Licht und den Blicken entzogen. In der Ausstellung ist ein | |
spezieller Nachgeburtstopf mit Deckel zu sehen, der in einer | |
mittelalterlichen Kellernische vergraben war. | |
Aber es gibt nicht nur die gerade ins Leben getretenen, die geschützt, es | |
gibt auch die Gestorbenen, die daran gehindert werden müssen, ihre Rolle | |
als Tote nicht zu akzeptieren. Skelette werden mit Felsbrocken beschwert | |
oder gleich mit Ketten fixiert. Bei der Verwesung entstehende Geräusche | |
wurden als Schmatzen von grauslichen „Wiedergängern“ interpretiert, das | |
durch einen Stein im Schlund unterbunden werden sollte. | |
Mit den sogenannten Bezoaren – eigroßen Verkrustungen nicht verdauter | |
Materialien in Tiermägen, die in Apotheken verkauft wurden – nähern wir uns | |
der Gegenwart, in der die „positive Kraft“ von „Wasserkristallen“ ja im… | |
noch Eingang in so manche Karaffe findet. | |
## Faust hat keinen Fun | |
Und dann die Liebe, die herbeibeschworen werden soll! „Wenn ihr mich aber | |
nicht erhört und nicht ausführt, was ich euch sage, so wird die Sonne nicht | |
mehr unter die Erde hinabsinken und weder der Hades noch der Kosmos mehr | |
bestehen.“ Wie aus dem altägyptischen Papyrus abgeschrieben heißt es in der | |
Schnulze „The end of the world“: „Why does the sun go on shining? Why does | |
the sea rush to shore? Don’t they know it’s the end of the world, 'Cause | |
you don’t love me any more?“ | |
Brachiale Aktualisierung ist die Sache der Ausstellung aber nicht. Aktuelle | |
Themen wie Pandemie und Homöopathie bleiben unberührt, stattdessen kommen | |
Ausstellung und auch wir am Schluss zurück zu Goethe und seinem urdeutschen | |
Alchemisten und Magier Dr. Faust, in dessen schwäbischem Geburtshaus man | |
Zaubersprüche im Türrahmen deponiert gefunden hat. [3][Faust plagen | |
bekanntlich weder Skrupel noch Zweifel], er fürchtet weder Hölle noch | |
Teufel, hat aber halt keinen Fun am Leben. | |
Zu Geld oder Immobilien hat er es nicht gebracht, ein Promi ist er schon | |
gar nicht. Und weil er so nicht länger leben will, wirft er sich | |
schließlich auf die schwarze Magie. Und das ist auch als Ausblick auf | |
zeitgenössische Frustrationen und der aus ihnen folgenden Verwirrung ja | |
aktuell genug. | |
„Magie – Das Schicksal zwingen.“ Sonderausstellung im Landesmuseum für | |
Vorgeschichte Halle. 1. März bis 13. Oktober 2024. Das empfehlenswerte | |
Begleitheft kostet 15 Euro, der Tagungsband „Aspekte magischen Denkens. | |
Internationale Tagung vom 12.–13. November 2021 in Halle (Saale)“ 69 Euro. | |
15 Mar 2024 | |
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## AUTOREN | |
Ambros Waibel | |
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