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# taz.de -- Gedenktag an Terroropfer: Für sie ist jeden Tag Gedenktag
> Die Regierung veranstaltet zum dritten Mal einen Gedenktag für
> Terroropfer. Einige Opfer fühlen sich ausgegrenzt und beklagen fehlende
> Konsequenzen.
Bild: #SayTheirNames
Berlin taz | Melek Bektaş atmet schwer, wenn sie über ihren Sohn Burak
spricht, ihre Stimme bricht, Tränen rinnen über ihr Gesicht. Auch 12 Jahre
[1][nachdem Burak in Berlin-Neukölln erschossen wurde]. Der Täter ist bis
heute nicht gefunden, es halten sich Hinweise auf ein rassistisches Motiv.
„Ich will von den Behörden den Mörder meines Sohnes“, sagt Melek Bektaş …
Montag in Berlin-Mitte.
Aber die Mutter hat noch ein Anliegen. Denn gleich um die Ecke wird wenig
später die Bundesregierung zum dritten Mal ihren [2][neu geschaffenen
Gedenktag für die Opfer terroristischer Gewalt] begehen, im Berliner
Humboldt Forum. Melek Bektaş jedoch ist dort nicht eingeladen – weil der
Mord an ihrem Sohn bis heute nicht offiziell als politische Tat eingestuft
ist. Bektaş beklagt nicht nur diesen Umstand, sondern auch den Umgang der
Behörden mit ihrer Familie. Beim Berliner LKA blieben [3][zuletzt 387
rechtsextreme Taten unbearbeitet], verantwortlich dafür soll auch ein
führender Ermittler im Fall Burak Bektaş sein. „Mit welchem Gewissen konnte
mir dieser Polizist ins Gesicht schauen und sagen, wir suchen unter jedem
Stein?“, fragt Bektaş. „Wer gedenken will, soll aufklären.“
Melek Bektaş ist am Montag mit ihrer Kritik nicht allein. Mit ihr sitzen
weitere Betroffene rechter Anschläge und von Polizeigewalt auf einer
Pressekonferenz in Berlin-Mitte, von anderen werden Botschaften verlesen.
Schon vor zwei Jahren taten sie sich in einem Netzwerk zusammen, nun treten
sie an die Öffentlichkeit – ganz bewusst an diesem Tag. Sie beklagen, dass
sie teils nicht zum offiziellen Gedenktag eingeladen wurden. Und dass die
Politik bisher zu wenig für die Aufklärung der Taten und für Konsequenzen
tue.
Die Anschläge seien keine isolierten Taten, sondern das Resultat eines weit
verbreiteten Rechtsextremismus, sagt Yasemin Kılıç, deren Sohn Selçuk 2016
beim rassistischen Anschlag am OEZ München erschossen wurde. Die Politik
müsse dies „klar kommunizieren“, dürfe am Gedenktag nicht alle Terrortaten
pauschal zusammenfassen. Kılıç fordert auch ein Ende der Gutachten für
Terrorbetroffene, wenn es um staatliche Hilfe gehe. Dies sei „demütigend
und entwürdigend“.
## „Nur Verachtung und Diskriminierung“
[4][Auch Saliou Diallo, Bruder von Oury Jalloh], der 2005 in einer
Polizeizelle verbrannte, kritisiert, dass er seit Jahren keine
Unterstützung des Staats erfahre, „nur Verachtung und Diskriminierung“. Die
Behörden unterstützten vielmehr die Polizisten, die Diallo für die Mörder
seines Bruders hält.
Und auch [5][İsmet Tekin], der den Halle-Anschlag 2019 überlebte, beklagt,
dass die Politik den Betroffenen „nicht zuhört“. Auch ein offener Brief im
vergangenen Jahr habe nichts bewirkt. Deshalb habe man sich in dem Netzwerk
zusammengefunden. „Wir werden nicht schweigen.“
Dabei hatte die Ampel einen anderen Anspruch formuliert. Empathischer wolle
man mit Terrorbetroffenen umgehen, [6][hatte sie im Koalitionsvertrag
erklärt]. Der Gedenktag sollte ein Teil davon sein. Zu der offiziellen
Veranstaltung am Montag kamen Dutzende Terrorbetroffene ins Humboldt Forum,
auf der Bühne sprachen drei von ihnen, allesamt Betroffene islamistischen
Terrors: Amal Khalife, die als Schülerin den Anschlag von Nizza 2016
überlebte; Andreas Faber, dessen Eltern bei einem Attentat im gleichen Jahr
in Istanbul getötet wurden; und Thomas Weißenborn, der 2021 bei einem
[7][Messerangriff in einem ICE] schwer verletzt wurde.
## Bundesregierung will Opfer nicht allein lassen
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) betonte, dass man die
Angehörigen nicht allein lassen und sich auch ihrer Kritik stellen wolle.
Terrorismus zerstöre nicht nur „sinnlos Leben“, sondern bedrohe auch
grundlegende Werte und Freiheiten. Gemeinsam müsse man daher „gegen jede
Form von Extremismus und Gewalt kämpfen“.
Dies bekräftigte Innenministerin Nancy Faeser (SPD), die auch auf das
geplante NSU-Dokumentationszentrum verwies und auf die [8][Festnahme der
früheren RAF-Terroristin Daniela Klette]. Beides zeige, dass man „nichts
unversucht lässt, um alle Verbrechen vollständig aufzuklären“.
Talya Feldmann, die auch das Halle-Attentat überlebte, betont in einer
Botschaft auf der Pressekonferenz der Betroffenen am Montag dagegen, dass
ein Gedenken, das sich auf eine Stunde beschränke und keine Veränderung
hervorrufe, kein Gedenken sei. „Wir brauchen Wandel, nicht nur an diesem
Tag.“
11 Mar 2024
## LINKS
[1] /Mangelnde-Aufklaerung-bei-Polizei-Berlin/!5973864
[2] /Interview-mit-Opferbeauftragten-Kober/!5840732
[3] /Mangelnde-Aufklaerung-bei-Polizei-Berlin/!5973864
[4] /Mordfall-Oury-Jalloh/!5823891
[5] /Cafe-Tekiez-in-Halle/!5855524
[6] /Interview-mit-Opferbeauftragten-Kober/!5840732
[7] /Urteil-nach-Messerangriff-im-ICE/!5904525
[8] /RAF-Festnahme/!5993205
## AUTOREN
Konrad Litschko
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Ampel-Koalition
Schwerpunkt Rechter Terror
Terrorismus
Schwerpunkt Islamistischer Terror
Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
Kolumne Starke Gefühle
Schwerpunkt Rechter Anschlag in Hanau
antimuslimischer Rassismus
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