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# taz.de -- Demonstration für Opfer der Hanau-Morde: Auf den Schmerz der ander…
> Rufe nach Intifada auf einer Hanau-Gedenkdemo? Statt das Leid anderer zu
> instrumentalisieren, wünscht sich unsere Autorin Räume des gemeinsamen
> Empowerments.
Bild: Aufruf zu einer der Hanau-Demos in Köln am 19.02.2024. Die im Text besch…
Vier Jahre ist es her, dass Deutschland erneut gezeigt hat, dass es nicht
in der Lage ist, uns eine Heimat zu sein. Am 19. Februar 2020 wurden in
Hanau neun Menschen durch einen rassistischen Terroranschlag ermordet. Bis
heute gibt es keine lückenlose Aufklärung, keine Gerechtigkeit.
Um zu gedenken und die systematische Aufarbeitung rassistischer Strukturen
zu fordern, ging ich kürzlich in Köln das erste Mal auf eine
[1][Hanau-Demo]. Ich ging als Betroffene von rechtsextremer Gewalt aufgrund
meiner jüdischen und migrantischen Identität. Und ich ging aus Solidarität
jenen gegenüber, die dieser Gewalt stärker ausgesetzt sind als ich. Da ich
als Weiß gelesen werde, wissen manche Rechtsextremist:innen nicht
einmal, dass sie mich hassen.
Es ist ein ungemütlicher, regnerischer Abend. Es scheint fast so, als hätte
sich auch der Himmel entschieden, an diesem Tag mit uns zu weinen. Immer
mehr Menschen trudeln ein. Die Stimmung ist hitzig, Trauer und Wut liegen
in der Luft. Wir marschieren los. „Wo wart ihr in Hanau?“, hallt es unisono
durch die Straßen Kölns.
Ich fühle mich empowert und blicke in die Gesichter der Menschen, die am
Straßenrand stehen. Ich bilde mir ein, dass die migrantisch gelesene Frau
mit ihrem Sohn an der Hand Kraft aus der an ihr vorbeiziehenden
Demonstration schöpft. Endlich wird der Rassismus in ihrem Land benannt.
Aber da ist auch der ältere Mann, der sich aus dem Fenster lehnt und uns
beschimpft. Zu laut, zu selbstbewusst scheinen ihm unsere Forderungen zu
sein. Forderungen nach Standards, die für ihn eine Selbstverständlichkeit
sind.
Plötzlich erstarre ich. Der Slogan „Von Hanau bis nach Gaza, [2][Yallah
Intifada!]“ wird gerufen. Mein Bauch zieht sich zusammen. Ich kenne den
Begriff Intifada gut, bin mit ihm aufgewachsen. Er stellt für meine Familie
und Freund:innen in Israel eine unheilbare Wunde dar, entstanden durch
eine lange Serie von Selbstmordattentaten in den 2000ern.
Ich bin hier, um Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi,
Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu,
Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov zu gedenken. Aber schlagartig ist da mein
ganz eigener Schmerz. Ich wechsle die Straßenseite, entferne mich von der
Menge. Wie soll ich gemeinsam mit Menschen demonstrieren, die das Trauma
anderer als Symbol des eigenen Widerstands benutzen?
Ich versuche, dem Gefühl nicht viel Raum zu geben, denn es geht hier nicht
um mich. Nicht umsonst haben die [3][Angehörigen der neun Ermordeten] darum
gebeten, den 19. Februar nicht zu instrumentalisieren. Doch genau das
passiert hier nun. Die Parole verschiebt den Diskurs. Ich verstehe das
Bedürfnis der Intifada-Rufenden, auf die Lage in Gaza aufmerksam machen zu
wollen. Aber es muss und es kann ohne Hetze stattfinden. Dass diese beiden
Dinge hier missachtet werden, gibt mir das Gefühl nicht willkommen zu sein.
Der Safe(r) Space, den diese Demo bieten wollte, ist für mich nicht mehr
safe. Ausgerechnet eine Demo für die Sicherheit marginalisierter Menschen.
Was für eine Ironie!
Dabei wünsche ich mir nichts sehnlicher als Räume des gemeinsamen Trauerns
und des Empowerments. Dass von Hanau bis nach Gaza Menschen in Würde und
Sicherheit leben. Und ich wünsche mir, dass ich mich bei diesem Kampf
wenigstens durch meine Mitstreiter:innen beschützt fühle. Während
rechtsextreme und menschenverachtende Politik in Deutschland rumwütet, ist
es wichtiger denn je, dass wir zusammenhalten und aufeinander achten.
25 Feb 2024
## LINKS
[1] /Rassistischer-Mordanschlag-von-2020/!5992958
[2] /Hanau-Demo-in-Neukoelln/!5993036
[3] /Ferda-Ataman-zu-Hanau/!5992819
## AUTOREN
Sophie Orentlikher
## TAGS
Kolumne Starke Gefühle
Schwerpunkt Rechter Anschlag in Hanau
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Rote Armee Fraktion / RAF
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