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# taz.de -- Streit um Kulturort Alte Münze: Die CDU rettet einen Club
> Die Alte Münze soll den dort bereits tätigen Spreewerkstätten
> zugeschlagen werden. Vom Jazzhaus ist keine Rede mehr, die Freie Szene
> fühlt sich ausgebootet.
Bild: Ein Berliner Filetstück, das bisher nicht verhökert wurde: die Alte Mü…
Berlin taz | Wie wurde um diesen Ort doch gerungen. Und nun, so scheint es,
war alles umsonst. Die Alte Münze am Molkenmarkt in Mitte, eine ehemalige
Münzprägeanstalt, hätte eigentlich schon vor zwölf Jahren an einen Investor
verkauft werden sollen. Den Verkauf hatte der damalige Finanzsenator Ulrich
Nußbaum (parteilos) gestoppt. Dieser weise Schritt wird seitdem immer
wieder als Wende im Umgang Berlins mit städtischen Liegenschaften
gepriesen. Endlich also nicht mehr selbst schönste Filetstücke an die
private Immobilienwirtschaft verhökern, wie das vorher gängige Praxis war.
Sondern diese fein behalten, um sie selbst zu gestalten.
So wurde die Alte Münze, ein unterkellertes Gebäudeensemble auf einer
Grundfläche von 8.500 Quadratmetern, zur Projektionsfläche für allerlei
Wünsche, Vorstellungen und Begehrlichkeiten. In den letzten acht Jahren
ploppten zig Ideen auf, was man aus der Immobilie machen könnte. Nach einem
langen Aushandlungsprozess und einem aufwendigen Beteiligungsverfahren
filterte sich heraus: [1][Der Jazz hätte hier eine Institution von
überregionaler Bedeutung bekommen sollen]. Kreativwirtschaft, Club- und
Subkultur sollten unter einem Dach vereint werden. Und Ateliers entstehen,
die sich auch weniger gut bemittelte Künstler und Künstlerinnen leisten
können. Einen Beschluss dafür aus dem Abgeordnetenhaus gab es 2018, Gelder
für die Renovierung wurden zugesichert, der ehemalige Berliner
Kultursenator Klaus Lederer von den Linken machte die Weiterentwicklung der
Alten Münze zur Chefsache.
Doch seit Februar letzten Jahres stellt die CDU den Regierenden
Bürgermeister plus Kultursenator. Und verfolgt gemeinsam mit der SPD beim
Umgang mit der Alten Münze eine völlig andere Politik als die vorherige
Koalition aus SPD, Grünen und Linken.
Das „House of Jazz“, das hier geplant war, zuletzt unter dem Arbeitstitel
„Zentrum für Jazz und improvisierte Musik“, für das der Bund bereits vor
Jahren zusätzliche Mittel von mehr als 12 Millionen Euro in Aussicht
gestellt hatte, wird nun nicht in der Alten Münze entstehen. Das bereits
ausgehandelte Hybridmodell, bei dem niedrige Ateliermieten in einer
Quersubventionierung durch höhere Mieten an Akteure aus der
Kreativwirtschaft ermöglicht werden sollten, ist vom Tisch. Die
Spreewerkstätten, ein privatwirtschaftliches Unternehmen, das seit über
einer Dekade die Alte Münze als Zwischennutzer bespielt, soll stattdessen
als bestimmender Akteur mit einem langfristigen Mietvertrag mit einer
Laufzeit von bis zu 30 Jahren ausgestattet werden.
Die GmbH mietet bereits jetzt bei der BIM, dem landeseigenen Berliner
Immobilienmanagement, bespielbare Flächen – derzeit etwa die Hälfte der
18.000 Quadratmeter Nutzfläche – für zwei Euro pro Quadratmeter und
vermietet diese mit Gewinn weiter. Für Instandhaltungskosten muss sie
selber aufkommen. Diese Praxis soll nun verstetigt werden bei mindestens
vier Euro pro Quadratmeter Miete, die an die BIM zu entrichten sind.
## Kulturpolitisches Durcheinander
Bei der Vorstellung der Haushaltspläne 2024/2025 Mitte Dezember letzten
Jahres deutete sich dieser Kurswechsel im Umgang mit der Alten Münze durch
einen sogenannten Auflagenbeschluss an. Und nun blickt man auf ein
kulturpolitisches Durcheinander der Sonderklasse.
Auf eine Anfrage bei der Kulturverwaltung bekommt man mitgeteilt, Antworten
auf spezifische Fragen rund um die Alte Münze seien „kurzfristig aus
terminlichen Gründen nicht möglich“. Dafür lässt sich in einem
Wortlautprotokoll aus einer Plenarsitzung entnehmen, dass [2][Joe Chialo
sich und seine Kulturverwaltung] seit dem Auflagenbeschluss überhaupt nicht
mehr verantwortlich sehen für den Kulturort, sondern die BIM. Daniel
Wesener, Abgeordneter der Grünen in Berlin, kann da nur noch staunen.
Schließlich, so sagt er, sei die BIM ja auch schon bislang formal für die
Liegenschaft zuständig gewesen, daran habe sich also nichts geändert.
Außerdem komme das Sondervermögen für die Renovierung der Alten Münze, das
von ursprünglich 35 Millionen auf nun 46 Millionen Euro angewachsen ist und
das auch immer noch fließen soll, weiterhin aus Töpfen der
Kulturverwaltung.
Julia Schell, Sprecherin der Koalition der Freien Szene, aus der während
des jahrelangen Ringens um den Kulturort am Molkenmarkt eine eigene AG Alte
Münze hervorgegangen ist, hat gar den Eindruck, dass sich der derzeitige
Kultursenator schon seit Amtsantritt nicht für die Alte Münze interessiert.
Mails und Anfragen ihrer AG und der für das eigentlich geplante Jazzzentrum
mitverantwortlichen IG Jazz in Richtung Chialo seien im letzten Jahr
allesamt unbeantwortet geblieben, sagt sie.
Bestimmend oder zumindest Wortführer beim Kurswechsel bezüglich der Alten
Münze ist nun der Berliner CDU-Politiker Christian Goiny, zuständig für
Finanz- und Medienpolitik sowie Clubkultur. Der legt im Gespräch gleich mal
ordentlich los. „Das, was Klaus Lederer mal versprochen hat – wir machen
euch die Alte Münze schick für zig Millionen und ihr könnt da mehr oder
weniger gratis drin sein und wir finanzieren euch auch die Veranstaltungen
–, das war ja von Anfang an unrealistisch“, sagt er. „Jetzt, vor dem
Hintergrund, dass die Kassen leer sind, umso mehr.“ Er sagt, die 46
Millionen würden niemals reichen, um den Ort zu renovieren. Zumindest nicht
dann, wenn die BIM, also die öffentliche Hand, den Job übernehmen würde.
Auf mehr als 100 Millionen würden dann die Kosten ansteigen. Die
privatwirtschaftlichen Spreewerkstätten aber würden mit weniger als der
Hälfte auskommen. Für diese würde außerdem sprechen, dass sie bereits
mehrere Millionen Euro in den letzten zehn Jahren in die Alte Münze
investiert hätten.
Von der Freien Szene, die sich nun übergangen fühlt und in einem
öffentlichen Brief ein Moratorium für die Alte Münze fordert, wünscht er
sich mehr Zurückhaltung. „Die sprechen doch nur für einen Teil der Szene
und maßen sich nun an, entscheiden zu wollen, wer rein darf in die Alte
Münze, ohne selbst etwas finanzieren zu können.“
Dass Goiny von dem Beteiligungsverfahren damals nicht viel gehalten hat und
von einem Jazzzentrum in der Alten Münze erst recht nicht, hat er schon vor
Jahren kundgetan. Berlin sei keine Jazzstadt, war sein Befund. Damit liegt
er weit entfernt von Einschätzungen der Szene selbst, in der Berlin noch
vor London als Jazzstadt Nummer eins in Europa gilt.
## Ziemlich eigenwilliges Szenario
Goiny entwirft im Gespräch mit der taz ein ziemlich eigenwilliges Szenario.
In diesem will nicht, wie sonst üblich, ein undurchsichtiger Investor einen
Club schließen. Sondern „Täterseite“ ist bei ihm eine dubiose Gruppierung
mittelloser Künstler und Künstlerinnen. Die Freie Szene wolle staatliches
Geld und „den Clubbetrieb verdrängen“. Goiny und seine CDU mit der SPD im
Schlepptau retteten nun aber den Club vor der feindlichen Übernahme und vor
denen, die aus der Alten Münze ein, in seinen Worten, „Staatskulturhaus“
machen wollten.
Noch etwas ist verwunderlich: Die ganze Zeit redet Goiny von der so enorm
wichtigen Rettung eines Clubs. Dabei ist die Alte Münze kein Club, sondern
ein Kreativquartier, in dem sich halt auch eine Art Clubfläche befindet –
die dazu noch eine Liste eher unwichtiger Berliner Partylocations anführen
könnte.
## Das Stück als Posse
Was hier gerade rund um die Alte Münze aufgeführt wird, wirkt wie eine
Theateraufführung, die schon seit Monaten, wenn nicht Jahren geprobt wird
und nun in ein Grande Finale auf großer Bühne mündet. Und alle können
sehen: Das Stück ist eine echte Posse.
Der Verein Alte Münze, der erst letztes Jahr gegründet wurde, hat für diese
Inszenierung letzten November eine Petition gestartet, mit dem Tenor: Bitte
rettet uns, wir brauchen eine Perspektive, sonst können wir nicht
weitermachen. Und Goiny tut nun so, als sei er dieser Retter. Gleichzeitig
hat der Verein auf seiner Homepage längst ein Zukunftsszenario entwickelt,
das sich von dem einstigen Beschluss des Abgeordnetenhauses, nun ja, etwas
„emanzipiert“ hat. Von der AG Münze und der Jazzszene, die im AGH-Beschluss
noch als gesetzte Stakeholder neben den Zwischennutzern genannt werden, ist
gar keine Rede mehr.
Interessantes Detail dabei: Vorstand des Vereins Alte Münze und
Geschäftsführer der Spreewerkstätten ist dieselbe Person: Felix Richter.
Der ist beteiligt an zig Firmen, vornehmlich aus dem Bereich der
Projektentwicklung. Einer seiner Geschäftspartner bei der Green City
Development GmbH ist Martin Eyerer, Vorsitzender des ersten digitalen
Kreisverbandes der CDU. Mit dem und weiteren Partnern wollte Richter schon
einmal die Alte Münze übernehmen und daraus einen „Ort der
Kreativindustrie“ machen, das „Haus of Berlin“.
## Unterstützung von der Clubcommission
Unterstützt werden Goiny und Richter auch von der Clubcommission. In einer
kryptischen Presseerklärung, der man anmerkt, dass sich arg bemüht wurde,
die genaue Problemlage möglichst nicht zu erklären, wird von Solidarität
mit den derzeitigen Zwischennutzern gefaselt. Um das zu verstehen, hilft
vielleicht zu wissen, dass Marc Wohlrabe, Mitgründer der Clubcommission und
immer noch lautstärkster Berliner Clublobbyist, der Assistent von Goiny
ist.
Die Zukunft der Alten Münze soll am heutigen Montag in einer Anhörung im
Kulturausschuss erörtert werden. Revidiert werde dort aber nichts, so
Goiny, die Sache sei entschieden.
Am härtesten trifft der Knockout im Kampf um die Alte Münze Julia Schell
und ihre AG. All die Jahre des teilweise verbissenen Engagements: umsonst.
Die Spreewerkstätten und Goiny tun nun so, als würden sie gar nicht
verstehen, was das Problem ist. Goiny sagt: „Die Freie Szene ist doch seit
eh und je drin in der Alten Münze.“ Und schaut man vorbei in dem Ort am
Molkenmarkt, findet sich im Innenhof ein Aushang mit unzähligen Akteuren
auf dem Gelände, die der Freien Szene zugeschlagen werden. Damit könne man
sagen, man halte sich an die Vereinbarung von CDU und SPD im aktuellen
Koalitionsvertrag, in der Alten Münze einen Ort auch für diese Klientel zu
schaffen, glaubt Schell. Sie glaubt, genau wie Daniel Wesener, Künstler und
Künstlerinnen, die nicht in die Kreativwirtschaft eingebunden sind, könnten
sich jedoch die Mieten in der Alten Münze jetzt schon nicht leisten.
Schell hält die Hauruck-Politik der CDU aber auch aus übergeordneten
Gründen für ein Desaster. Mühsam erarbeitete Beteiligungskonzepte würden
ignoriert, Transparenz verweigert werden. Mit Steuergeldern hätte ein
gemeinnütziger Kulturort entstehen sollen, „nun kriegt da eine private GmbH
Gelder unter der Hand vergeben“, sagt sie. Schell nennt das
„Hinterzimmerpolitik“.
Gut sieht im Nachhinein aber auch Klaus Lederer nicht aus. Er hat einen
Prozess lange begleitet, am Ende aber keine politisch belastbare
Entscheidung getroffen. Nun schafft ein neuer Senat eben Fakten.
Kathrin Pechlof von der IG Jazz wirkt derweil vergleichsweise gefasst
bezüglich der neuen Entwicklungen. Der Bund und die Stadt Berlin hätten
signalisiert, sie seien weiterhin interessiert an einem Leuchtturmprojekt
für den Jazz. Es würden weitere Gelder für dessen Entwicklung fließen und
in den nächsten zwei Jahren seien in diesem Rahmen auch Veranstaltungen
geplant. Nur eben nicht mehr in der Alten Münze.
10 Mar 2024
## LINKS
[1] /Streit-um-Jazzhaus-in-Berlin/!5772891
[2] /Berlins-Kultursenator-im-Interview/!5951695
## AUTOREN
Andreas Hartmann
## TAGS
Kulturpolitik
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