# taz.de -- Besonderer Frisörsalon in Leipzig: Solidarisch schön werden | |
> Sich schick machen zu lassen, kostet im Grand Beauty Salon in Leipzig | |
> kein Geld. Hier werden Schönheitsideale dekonstruiert und nicht | |
> reproduziert. | |
Bild: Ibtissam Zaher bei der Arbeit im Grand Beauty Salon in Leipzig | |
LEIPZIG taz | Ein älterer Herr kommt die Treppe des Salons hinunter. „Das | |
hat ja super geklappt“, sagt er. Dass er gerade beim Frisör war, lässt sich | |
an seinen frisch gestutzten Haaren erkennen. | |
Der Salon ist in einer weiß-grünen historischen Stadtvilla in einem Park in | |
Leipzig-Grünau. Bäume und laubbedeckte Wege geben dem Ort etwas | |
Märchenhaftes. Nur Geräusche der nahen Straße und braune Plattensiedlungen | |
im Hintergrund erinnern an die Lage am Rand der Großstadt. „20 Euro kostet | |
der Haarschnitt bei meinem Frisör, das [1][kann ich mir nicht mehr | |
leisten]“, erzählt der ältere Herr. In letzter Zeit hat er deshalb seine | |
Haare selbst geschnitten. Dann hat ihm eine Bekannte von dem Grand Beauty | |
Salon von Frauke Frech erzählt. | |
Frech sitzt im Park vor der Villa und trinkt einen Kaffee. „Und wissen Sie | |
schon, wie unserer Tauschkreislauf hier funktioniert?“, fragt sie, als der | |
ältere Herr mit den frisch geschnittenen Haaren ihr vor der Villa begegnet. | |
„Wir wollen, dass alle, die hierher kommen, auch etwas in die Gemeinschaft | |
geben.“ Der Mann räuspert sich, wirkt etwas verdutzt: „Also, Singen oder | |
Tanzen kann ich nicht.“ Es stellt sich heraus, dass er schon etwas Geld | |
gespendet hat. | |
Frauke Frech ist Künstlerin und Gründerin des Grand Beauty Salons. Jeden | |
Freitagnachmittag können Menschen hierher kommen, um sich kostenlos die | |
Haare schneiden, sich massieren oder schminken zu lassen. Auch Augenbrauen | |
werden gezupft. Finanziert wird das Angebot mit Stiftungsgeldern, Spenden | |
sowie Mitteln aus dem Förderprogramm „Orte der Demokratie“ des Landes | |
Sachsen. Etwa 15 Leute zwischen 20 und 70 Jahren gehen pro Woche ein und | |
aus. | |
## Schönheitsnormen dekonstruieren | |
Im Team arbeiten neben Frech sieben weitere Leute. Die meisten sind | |
gelernte Frisör:innen, Masseur:innen oder Make-Up-Artist:innen. Sie | |
kommen aus Afghanistan, Deutschland, Mexiko, dem Libanon, Libyen, Portugal | |
und Syrien. Viele können ihren Beruf nicht in Deutschland ausüben, weil ihr | |
Abschluss hier nicht anerkannt wird oder sie noch keine Arbeitserlaubnis | |
haben. Hier können sie ungezwungen ihre Fähigkeiten ausleben und das | |
machen, was sie lieben, sagt Frech. Als Ehrenamtliche können sie in dem | |
Salon mitwirken, manche sind als Mini-Jobber:innen angestellt. | |
Während Frech vor der Villa auf einem Stuhl sitzt, kommen immer wieder | |
Frauen mit Kindern an, grüßen sie herzlich, verschwinden dann im Haus. Es | |
ist überraschend warm an diesem Freitag Mitte Februar. „Schönheit ist für | |
mich vor allem eine Solidarisierung untereinander“, sagt Frech bestimmt. | |
Freiheit und die Möglichkeit, das eigene Selbst ausleben zu können, hängen | |
für sie eng zusammen. | |
Der Salon gibt dafür einen Rahmen. [2][Schönheitsideale sollen hier | |
dekonstruiert statt blind reproduziert werden]. Dabei geht es um den | |
Austausch über ästhetische Normen – etwa die Frage, warum Menschen wie | |
aussehen wollen und welche Vorstellungen von Schönheit dahinter stecken. | |
Nur mit der Auseinandersetzung mit diesen Normen können Menschen lernen, | |
einander respektvoll zu begegnen und Fürsorge für sich selbst und andere | |
entwickeln, ist Frech überzeugt. „Wenn wir unsere eigene Schönheit | |
anerkennen, können wir sie auch besser in dem anderen sehen“, sagt sie. | |
Wie eine inklusive Gesellschaft funktionieren kann, beschäftigt Frech schon | |
länger. Die 42-Jährige studierte Performancekunst in Genf und in Kiel. Als | |
Künstlerin fehlte ihr jedoch immer der Kontakt zu einem Publikum fernab der | |
Bühne. 2014 war sie als Gastkünstlerin in einem interkulturellen Hotel in | |
Augsburg, in dem Asylbewerber gemeinsam mit Tourist:innen untergebracht | |
sind. Dort lernte sie Geflüchtete kennen, die in ihren Herkunftsländern im | |
Beautybereich arbeiteten, und entwickelte die Idee für Grand Beauty. | |
## Ort der Begegnung | |
In den Jahren 2018 und 2019 tourte Frech mit einem mobilen Salon durch | |
Sachsen. Seit zwei Jahren ist der Friseurladen fest in Leipzig stationiert. | |
Das Haareschneiden und Massieren brachte sie sich selbst bei, eine | |
Ausbildung im Schönheitsbereich hat sie nicht. Für sie hängt das Handwerk | |
eng mit ihrer künstlerischen Praxis zusammen. „Das Erscheinungsbild und das | |
Haar werden zum künstlerischen Material, aber auch die Wünsche der Person | |
fließen mit ein.“ So entstehe ein Dialog, in dem die äußeren und inneren | |
Anliegen ausgehandelt werden können. | |
Der Salon soll ein Ort der Begegnung sein, an dem Menschen ins Gespräch | |
kommen, die sonst keine Berührungspunkte haben. Bestenfalls werden so auch | |
Vorurteile abgebaut. „Es ist dieses zusammen Wohlfühlen, das dieser Raum | |
ermöglicht. Und durch die verschiedenen Sprachen und Kulturen erweitern wir | |
alle unseren Blick“, erklärt die Künstlerin. Deshalb will das Team keine | |
klassischen Kund:innen, sondern Personen, die sich aktiv am Geschehen vor | |
Ort beteiligen. Ein älteres Paar komme beispielsweise regelmäßig zum Haare | |
schneiden, berichtet Frech. Im Gegenzug hilft es beim Gärtnern. Kuchen | |
backen, bei Behördengängen unterstützen oder mal Putzen, all das kann eine | |
Gegenleistung sein. Aber auch Spenden für die Schönheitsbehandlungen werden | |
akzeptiert. | |
Begegnen können sich Besucher:innen in der Villa in zwei großen Räumen, | |
die über eine Flügeltür verbunden sind. In einem der Zimmer lädt ein Sofa | |
zum Verweilen ein, in der Ecke werden einer Frau gerade die Augenbrauen vor | |
einem Schminktisch gezupft. In dem anderen Raum befindet sich neben drei | |
Frisörstühlen ein Tisch mit Make-up-Utensilien. Grüner, blauer, violetter | |
Lidschatten, Lippenstifte in allen möglichen Farben stehen darauf. Der | |
Salon ist ein großer Experimentierraum. Auf einem der Stühle sitzt eine | |
junge Frau. Dunkelblauer Lidschatten säumt ihre Augen, die nassen | |
lockig-braunen Haare hängen über ihren Schultern. Die Frisörin Ibtissam | |
Zaher ist dabei, ihr die Haare zu schneiden. „Die Haare sind am Ende dünn, | |
deswegen mache ich ihr einen Stufenschnitt“, sagt sie. | |
Für die 53-jährige Zaher ist der Salon ein zweites Zuhause geworden. Hier | |
kann sie ihren Beruf ausüben, mit anderen Frauen ins Gespräch kommen und | |
vor allem: Deutsch lernen. Sieben Jahre hat Zaher auf ihre Arbeitserlaubnis | |
gewartet, seit zwei Jahren darf sie in Deutschland erwerbstätig sein. Sie | |
ist in dem Beauty Salon als Minijobberin angestellt. | |
## Ausbildung nicht anerkannt | |
Zahers Familie kommt ursprünglich aus Palästina, ihre Familie wurde mit dem | |
ersten arabisch-israelischen Krieg 1948 aus dem heutigen Israel vertrieben. | |
Sie wuchs in einem Flüchtlingscamp im Libanon auf, hat aber die meiste Zeit | |
ihres Lebens in Libyen verbracht. Dort hatte sie ihren eigenen Frisörsalon. | |
2015 ist sie mit ihrer Familie und sechs Kindern nach Leipzig gekommen. | |
Seit zwei Jahren ist sie im Grand Beauty Salon. Das Haareschneiden sei ihr | |
Herz und Blut, noch nie habe sie etwas anderes gemacht, sagt sie. Auch | |
Buchhaltung könne sie. Aber ihre Ausbildung werde in Deutschland nicht | |
anerkannt. Nicht nur das Ignorieren ihrer Qualifikation durch die Behörden | |
ist eine Hürde für sie. „Ein deutscher Frisör hätte Hemmungen, mich als | |
Frau mit Kopftuch einzustellen“, sagt sie. | |
Im Alltag ist Zaher [3][antimuslimischem Rassismus] ausgesetzt. „Warum | |
trägst du ein Kopftuch?“ oder „Ich hasse Muslime“ – das sind Sprüche,… | |
sie regelmäßig etwa im Supermarkt zu hören bekommt. Sie zeigt auf ihr | |
rechtes, dann auf ihr linkes Ohr: Solche Sprüche gehen bei ihr da rein und | |
da wieder raus. „Was soll man sonst machen?“, sagt sie lächelnd und nimmt | |
eine Strähne in die Hand. Von Vorbehalten in der Branche gegen Frauen mit | |
Kopftuch berichtet auch Frauke Frech. „Das Kopftuch kann ein | |
Hinderungsgrund für eine Ausbildung oder Anstellung sein.“ Eine Bekannte | |
von ihr finde keinen Ausbildungsplatz, weil sie ein Kopftuch trage. | |
Ende März muss der Beauty Salon die Villa verlassen, denn der Mietvertrag | |
läuft aus. Die Stadt Leipzig hat die Räume bisher zur Verfügung gestellt. | |
Frech ist im Gespräch mit der Stadt über einen neuen Standort. Noch ist | |
keiner gefunden. Sie und ihr Team hoffen, dass ihr Projekt durch den | |
Ortswechsel sichtbarer und zugänglicher wird. Denn der Park hat auch | |
Barrieren. Nachts sei er sehr dunkel, was viele Frauen als unangenehm | |
empfänden, berichtet Frech. Und Passant:innen kommen nicht zufällig | |
herein. „Wir wollen aber gerade, dass Menschen uns entdecken, die noch nie | |
von uns gehört haben“, sagt Frech. | |
Mittlerweile sitzt ein junger Mann auf einem der drei Stühle im Salon. Ein | |
Frisör aus Syrien stutzt sein Haar zurecht. „Welche Sprache sprecht ihr | |
hier eigentlich?“, fragt der junge Mann neugierig. „Arabisch, Kurdisch, | |
Englisch, von allem ist was dabei“, antwortet der Friseur. Daneben warten | |
Kinder, die ihr Gesicht mit Tiermustern bemalen lassen wollen. „Ich möchte | |
eine Katze“, ruft ein kleiner Junge der Make-Up-Artistin entgegen. Welche | |
Farbe sie denn nehmen solle, fragt sie ihn. „Warte, ich zeig Ihnen ein | |
Bild“, sagt die Mutter und zückt ihr Telefon. Ihr Sohn möchte das Abbild | |
seines Haustiers ins Gesicht gemalt bekommen. | |
7 Mar 2024 | |
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## AUTOREN | |
Sabina Zollner | |
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