Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kinotipp der Woche: Kein Denkmal
> Mit „Fassbinder. Tausende von Spiegeln“ liefert Ian Penman weit mehr als
> die Werkbiografie eines großen Regisseurs der deutschen Nachkriegszeit.
Bild: „Angst essen Seele auf“ (1974), Regie: Rainer Werner Fassbinder
Mitte Februar ist ein Projket realisiert worden, das schon vor 40 Jahren in
Planung war. Der britische Musikjournalist Ian Penman hat sich während der
Pandemie doch noch an ein Buch über Rainer Werner Fassbinder gewagt, so wie
er es kurz nach dessen Tod 1982 schon geplant hatte.
In 450 kurzen und kürzeren Einträgen umkreist Penman in „Fassbinder.
Tausende von Spiegeln“ Aspekte von Fassbinders Leben und Werk – und sich
selbst. Penmans siebter Eintrag in seinem Buch lautet „Warum genau hat man
ihn, dem Himmel sei Dank, nicht zum Denkmal gemacht?“ Der achte: „Warum
genau entehrt es ihn so, dass man ihn nicht zum Denkmal gemacht hat?“.
Penman hat – wie [1][Ekkehard Knörer in seiner Rezension] schrieb – ein
Buch geschrieben, „das sich allen Genres entzieht“. „Fassbinder. Tausende
von Spiegeln“ ist keine Werkbiografie, sondern eher eine umkreisende
Reflexion über Fassbinder und sein Werk.
Am Samstag ist die Neuerscheinung [2][dem Lichtblick-Kino Anlass für einen
Fassbinder-Abend]. Gezeigt wird „Angst essen Seele auf“ (1974) und nach dem
Film stellt Robin Detje, der die Übersetzung aus dem Englischen ins
Deutsche geleistet hat, das Buch vor. Für einen Abend in unhagiographischer
Auseinandersetzung mit Fassbinder ist das eine sehr gute Kombination.
Anfang der 1970er Jahre sieht Fassbinder sechs Filme von Douglas Sirk, der
1937 vor den Deutschen in die USA geflohen ist. In dem Essay, der aus
dieser Begegnung entsteht schreibt er, es seien die schönsten Filme der
Welt darunter gewesen. Die Begegnung mit Sirks Filmen gilt als prägend für
die Entstehungsgeschichte von „Angst essen Seele auf“.
In der Form eines Melodramas erzählt Fassbinder darin von der Begegnung
zweier einsamer Menschen: der etwa 60jährigen Putzfrau und Witwe Emmi
(Brigitte Mira) und des 20 Jahre jüngeren Arbeiters aus Marokko, Ali (El
Hedi ben Salem). Zwischen den beiden entwickelt sich eine zarte Liebe, auf
die Emmis Umfeld mit Rassismus reagiert.
„Angst essen Seele auf“ entfaltet entlang der Liebesgeschichte ein
komplexes Gesellschaftsbild der Bundesrepublik der 1970er Jahre, jener
Einwanderungsrepublik, die keine sein wollte. Nach seiner Uraufführung 1974
wurde der Film schnell zu einem der erfolgreichsten Filme Fassbinders, lief
noch im selben Jahr auf den Filmfestivals in Cannes und Chicago.
2011 widmete die Filmwissenschaftlerin Viola Shafik Fassbinders
Hauptdarsteller [3][einen Dokumentarfilm], in dem sie eine beeindruckende
Mischung aus Desinteresse an und exotisierenden Projektionen auf El Hedi
Ben Salem M’barek Mohammed Mustafa seitens Fassbinders und Teilen seiner
Filmcrew feststellt. „Ali im Paradies“ kratzt deutlich an dem
antirassistischen Nimbus, der „Angst essen Seele auf“ bis heute umgibt.
Dass das Lichtblick-Kino mit „Angst essen Seele auf“ zur Präsentation von
Penmans neuem Buch über Fassbinder dessen bekanntesten, aber in mancher
Hinsicht auch durchaus ambivalenten, Film zeigt, ist ein guter
Ausgangspunkt für eine würdigende, aber zugleich auch kritische
Auseinandersetzung mit Fassbinder als einem der interessantesten Regisseure
der deutschen Nachkriegszeit.
8 Mar 2024
## LINKS
[1] /Ian-Penman-Fassbinder/!5991657
[2] https://lichtblick-kino.org/special/24-03-09-fassbinder/
[3] https://mecfilm.de/index.php?id=321
## AUTOREN
Fabian Tietke
## TAGS
Filmrezension
taz Plan
Nachkriegszeit
Filmkritik
Filmrezension
Filmrezension
Schwerpunkt Berlinale
Filmrezension
Schwerpunkt Berlinale
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kinotipp der Woche: Ein anderes Sammeln
Archive feiern: Das RAMSCH-Filmarchiv von Bernhard Marsch ist zu Gast im
Zeughauskino und lädt zur Neubesichtigung in die Jugendkultur der 1960er.
Kinotipp der Woche: Knurrig im Allgäu
Der Stadtteilladen Zielona Góra zeigt im März subversives „Heimatkino“ mit
regionalen Bezügen ins Allgäu, darunter auch „Daheim sterben die Leut’“.
Streit um die Berlinale: Detonation in Zeitlupe
Die 74. Berlinale endete mit einem Eklat. Nicht als Knall, sondern täglich
eskalierend. Wer äußerte sich wie zur politischen Schlagseite der Gala?
Kinotipp der Woche: Nur keine Ordnung
Zusammenhalt statt großer Coup: In seinem Film „Am Tag, als der Regen kam“
von 1959 zeigt Gerd Oswald eine Gruppe Kleinganoven in ganz anderem Licht.
Antisemitismus auf der Berlinale: Im falschen Film
Auf einem Instagram-Kanal der Berlinale tauchten israelfeindliche Posts
auf. Das zeigt: Auch in der Filmwelt ist Antisemitismus verbreitet.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.