Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- CO₂-Speicherung unter der Nordsee: Endlager, ja bitte?
> Die Bundesregierung will zum Schutz des Klimas erlauben, Kohlendioxid
> dauerhaft unter dem Meer zu speichern. Viele haben Angst vor Risiken.
Bild: Das Geschrei ist groß: Die Bundesregierung will CO2-Endlager unter der N…
Reinhard Knofs Sorgen sind 15 Jahre alt. Da hätte der Umweltschützer aus
Schleswig-Holstein nicht gedacht, dass es einmal Robert Habeck sein würde,
der sie zur Realität werden lässt. Der wollte damals als Spitzenkandidat
der Grünen in den Kieler Landtag einziehen, was klappte, allerdings unter
einer schwarz-gelben Regierung. Es ist 2009 und Knofs Schwager erzählt ihm
von Plänen der Politik, das klimaschädliche Gas Kohlendioxid dauerhaft in
unterirdische Lager zu verbannen, wo es das Klima nicht mehr aufheizen
kann. Knof ist empört.
Er ist Teil eines Vereins, der sich um die zentrale Trinkwasserversorgung
seines kleinen Dorfs zwischen Kiel und Lübeck kümmert. Könnte das CO2
Salzwasser aus tiefen Schichten in das Süßwasser drücken? „Jedes Risiko
gilt es zu vermeiden“, sagt Knof. Außerdem zweifelt er den Nutzen an. „Was
Habeck behauptet, hat keinen Bezug zur Realität, das ist Wunschdenken. CCS
wird niemals in der Lage sein, unsere Probleme zu lösen.“
Mittlerweile ist er Vorsitzender der Bürgerinitiative gegen CO₂-Endlager –
und Robert Habeck Bundeswirtschaftsminister, der die CO₂-Endlager nach
Deutschland bringen will. Seine Grünen waren lange gegen das sogenannte
CCS, kurz für Carbon Capture and Storage, also CO₂-Abscheidung und
-speicherung. Im vergangenen Jahr beschloss die Partei jedoch einen
Kurswechsel: Für unvermeidliche Emissionen solle CCS eingesetzt werden
dürfen.
Die Klimakrise ist in den vergangenen Jahren massiv vorangeschritten,
zuletzt lagen die Temperaturen im weltweiten Schnitt monatelang über der
gefürchteten Marke von 1,5 Grad Erderhitzung. Zahlreiche
Extremwetterereignisse mit Toten und hohen Schäden sind nachweislich darauf
zurückzuführen. Und Deutschland will 2045 klimaneutral sein, also praktisch
keine Emissionen mehr verursachen. Nur ist in einigen Bereichen noch nicht
bekannt, wie das technisch gehen soll.
## Die Technologie muss sich noch stark entwickeln
Zum Beispiel bei der Herstellung von Zement entsteht schon durch die
chemische Reaktion CO₂, selbst wenn das Zementwerk Ökostrom nutzt. Die
Grünen haben geschlussfolgert: dann eben doch CCS, wenn auch möglichst
wenig – nur in diesen Fällen. Noch ist das Prozedere wenig erprobt,
bisherige Anlagen in anderen Ländern schaffen es oft nicht, mehr als einen
Bruchteil der Emissionen aus den Werken abzufangen, an die sie
angeschlossen sind. Die Technologie muss sich also noch stark entwickeln.
Und dann ist die Frage: wohin mit dem abgefangenen Treibhausgas? Habeck hat
nun Eckpunkte dazu vorgestellt, wie das laufen soll.
Die Gefahr fürs Trinkwasser ist gebannt. Unter dem Festland soll es keine
CO₂-Endlager geben. Reinhard Knof ist trotzdem aufgebracht. Das Gas soll
stattdessen nämlich unter der Nordsee schlummern. „Am Meeresboden droht
durch Leckagen von CO₂ das Wasser zu versauern, was unter anderem
Muscheltiere und Korallen töten und regelrechte Todeszonen unter Wasser
schaffen kann“, schreibt ein Bündnis aus Umweltverbänden wie Greenpeace und
BUND sowie Bürgerinitiativen. Auch die von Knof ist dabei.
Dass es Risiken gibt, bestreitet auch Habeck nicht. Er hält sie aber für
„managebar“. Das heißt zum Beispiel, dass akribisch kontrolliert werden
muss, ob es Lecks gibt. Insgesamt resümiert Habeck: „Diese Technologie ist
sicher.“ Auch Roland Dittmeyer, Leiter des Instituts für
Mikroverfahrenstechnik am Karlsruher Institut für Technologie, spricht
davon, „dass eine sichere Entsorgung des CO₂ möglich und notwendig ist“.
Das sehen mittlerweile sogar etliche Klima- und Umweltverbände so, die wie
die Grünen lange gegen CCS waren. In einem ungewöhnlichen Zusammenschluss
mit dem Bund der deutschen Industrie und dem Deutschen Gewerkschaftsbund
sprachen sich im Januar der Nabu und der WWF für den Aufbau von
CO₂-Endlagern aus. „Trotz der Unterschiede in unseren Positionen senden wir
ein kollektives Signal“, heißt es in einer Mitteilung. „Eine neue,
ganzheitliche Diskussion zur Industrietransformation, die neben dem Ausbau
erneuerbarer Energie und dem Hochlauf der Kreislauf- und
Wasserstoffwirtschaft auch CO₂-Abscheidung, -Speicherung und -Nutzung
umfasst, ist wichtig.“
## Ohne CCS geht es nicht
Auch der Weltklimarat IPCC geht in seinen Szenarien, in denen die Welt die
1,5-Grad-Grenze nicht nennenswert überschreitet oder nachträglich zu ihr
zurückkommt, von der Nutzung von CCS aus.
In Deutschland sei die Bevölkerung demgegenüber besonders skeptisch
eingestellt, ebenso wie die in Großbritannien, sagt dazu die
Sozialwissenschaftlerin Christine Merk. Sie ist Vizechefin des
Forschungszentrums Global Commons und Klimapolitik am Institut für
Weltwirtschaft in Kiel. Zusammen mit norwegischen Kolleg*innen hat sie
die öffentliche Wahrnehmung des Themas in den fünf Anrainerstaaten der
Nordsee untersucht.
„Unter den norwegischen Befragten sind die Bedenken vergleichsweise am
geringsten“, berichtet Merk. Sie führt das darauf zurück, dass die
norwegische Bevölkerung die Technologie besser kennt. In dem
skandinavischen Land [1][gibt es bereits ein großes CO2-Endlager], in
Deutschland hingegen nur eine kleine Pilotanlage im brandenburgischen
Ketzin im Westen von Berlin. Mehr als die Hälfte der Deutschen habe noch
nie von CCS gehört, erzählt Merk. „Aus der Forschung zur Risikowahrnehmung
wissen wir, dass diese auch von mangelnder Vertrautheit mit Technologien
beeinflusst werden kann.“
Die aktuellen Pläne der Ampelkoalition sehen aber nun auch die
Umweltschützer*innen wieder kritisch, die CCS mittlerweile eigentlich
unterstützen. Simon Wolf von Germanwatch etwa fordert die Bundesregierung
auf, „auf den Pfad der Vernunft zurückzukehren“. Der Grund: In den
vereinbarten Eckpunkten steht, dass die Technologie auch für die
CO₂-Emissionen aus Gaskraftwerken erlaubt sein soll – die keineswegs
unvermeidlich sind.
## Extrem teures Verfahren
Statt Strom und Wärme mit Gaskraftwerken zu produzieren, kann man zum
Beispiel auf Solaranlagen, Windräder und Wärmepumpen setzen. In den
seltenen Fällen, in denen weder Wind noch Sonne ausreichen, können
Gaskraftwerke mit grünem Wasserstoff einspringen. Wer CCS für Gaskraftwerke
nutzen will, geht im Umkehrschluss davon aus, dass doch noch
klimaschädliches, fossiles Gas verbrannt wird. Da das Verfahren sehr teuer
ist, ist zwar fraglich, ob Kraftwerksbetreiber überhaupt darauf setzen
wollen. Staatliche Fördergelder soll es für sie auch nicht geben.
Theoretisch bekommen sie aber die Option, weiter gefährliches Treibhausgas
entstehen zu lassen und es anschließend unter die Nordsee zu pressen.
Auch Reinhard Knof ist über diesen Punkt sehr verärgert. Er hält ihn für
den Versuch, die geplanten LNG-Importe zu legitimieren. Selbst das
zuständige Bundeswirtschaftsministerium spricht bei der
Flüssiggaseinfuhr mittlerweile von Überkapazitäten. Minister Habeck
begründet diese mit der unsicheren Weltlage, die einen großen Puffer nötig
mache. Knof überzeugt das nicht: „Gefördert werden soll letztlich die
fossile Industrie.“
2 Mar 2024
## LINKS
[1] /Norwegens-Endlager-fuer-Kohlendioxid/!5823921
## AUTOREN
Susanne Schwarz
## TAGS
CCS
Klimaschutzziele
Robert Habeck
GNS
Schwerpunkt Klimawandel
Schwerpunkt Klimawandel
Schwerpunkt Klimawandel
Schwerpunkt Klimawandel
Schwerpunkt Klimawandel
Schwerpunkt Klimawandel
Schwerpunkt Klimawandel
## ARTIKEL ZUM THEMA
Klimaschutz im Mittelstand: Milliarden für willige Unternehmen
Robert Habecks Wirtschaftsministerium hat einen neuen Fördertopf
aufgesetzt. Das Geld soll Firmen beim Sparen von Treibhausgas-Emissionen
helfen.
Gesetz zur CO2-Speicherung: Zu viel „Pragmatismus“
Die Ampel-Koalition will die CO2-Speicherung für fossile Kraftwerke
erlauben. Statt Greenwashing zu ermöglichen, sollten Emissionen vermieden
werden.
Harte Kritik an Klimaminister: Habecks CO2-Gesetz fällt durch
Das Klimagift CO2 sei besser im Boden als in der Atmosphäre, sagt der
Wirtschaftsminister. Verbände laufen Sturm – und warnen vor Risiken.
CO₂-Abscheidung bei der Hannover Messe: Kohlenstoffdioxid soll endlich weg
Ob bei der Hannover Messe oder beim Spatenstich für ein klimaneutrales
Zementwerk: CO₂-Emissionen sollen runter.
Risiken der Kohlenstoffspeicherung CCS: Nordseeboden als CO2-Speicher
Klimaschädliche Emissionen sollen unter der Nordsee gespeichert werden.
Umweltschützer kritisieren das, Wissenschaftler finden die Risiken
vertretbar.
Habecks Plan für die CO₂-Speicherung: Legitimation für Nonsens-Emissionen
Die Bundesregierung hat ihren Plan für die CCS-Technik vorgestellt. Auch
Emissionen von Gaskraftwerken sollen gespeichert werden dürfen. Das ist
Quatsch.
Grüne und die CO2-Speicherung: Der richtige Tabubruch
Die Grünen sind jetzt für Speicherung und Nutzung von Kohlendioxid. Das tut
der grünen Seele weh, ist aber notwendig.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.