# taz.de -- Netanjahu und die Zweistaatenlösung: Totaler Sieg über den Frieden | |
> Netanjahu lehnt eine Zweistaatenlösung im Nahen Osten ab. Darin ist er | |
> sich mit der Hamas einig – und untergräbt jede Hoffnung auf ein Ende der | |
> Gewalt. | |
Bild: Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu bei einer Pressekonfer… | |
Das rechte und rechtsextreme Lager unter Premierminister Netanjahu hat sich | |
entschieden, in der Frage nach einer politischen und regionalen | |
Nachkriegsordnung auf Konfrontation mit dem Westen zu setzen. Netanjahu | |
wird nicht müde, die Formel vom „totalen Sieg“ über die Hamas auszugeben, | |
während die Militärführung längst klargemacht hat, dass es diesen nicht | |
geben wird. | |
Die Strategie ist, die Regierungskoalition zusammenzuhalten und darauf zu | |
setzen, dass die internationale Gemeinschaft bei der Durchsetzung von | |
Kompromisslösungen scheitern wird. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht. | |
Letzte Woche gelang die Verabschiedung einer Regierungserklärung, die sich | |
gegen jegliche „unilaterale Anerkennung“ eines palästinensischen Staates | |
aussprach, wie sie von Großbritannien und den USA diskutiert wird. | |
Netanjahu hat es dabei mit 99 von 120 Knesset-Stimmen geschafft, nahezu die | |
gesamte Opposition ins Boot zu holen. Dem Meister der politischen | |
Ränkespiele scheint es gelungen, das Blatt zu wenden. | |
Dabei ist allen Israelis bekannt, dass Netanjahu mit seinem Versuch der | |
Spaltung der palästinensischen Nationalbewegung tatsächlich zu deren | |
Stärkung beitrug, indem er etwa finanzielle Zuwendungen aus Katar an die | |
Hamas gestattete. Anders als die Führungspersönlichkeiten aus den | |
Sicherheitsapparaten und im Militär weist er jedoch jede politische | |
Verantwortung zurück. Es lohnt sich, einen Blick auf den Etappensieg in der | |
Knesset zu werfen, da dieser die Konfliktlinien zwischen der israelischen | |
Mehrheit und der Wahrnehmung der internationalen Gemeinschaft offenbart. | |
Die Regierungserklärung stellt die Aussicht auf einen palästinensischen | |
Staat als Belohnung für den Terror dar, welche jedwedes zukünftiges | |
Friedensabkommen verhindere. So als ob es bei dem Massaker der Hamas um | |
einen palästinensischen Staat neben dem israelischen gegangen wäre. | |
Letzteres ist völliger Unsinn, was im Grunde auch alle Beteiligten wissen. | |
Die Hamas will die Errichtung eines islamischen Gottesstaates und die | |
Vernichtung Israels. Sie ist sich in der Ablehnung der Zweistaatenlösung | |
mit dem rechten Lager israelischer Politik einig. | |
## Zwei Geschichtserzählungen | |
Was sich in der unterschiedlichen Auslegung des Massakers vom 7. Oktober | |
zeigt, ist die Etablierung einer vollkommen unterschiedlichen | |
Geschichtserzählung in Israel und international. Während das Massaker in | |
breiten Teilen der jüdisch-israelischen Bevölkerung als ein Vorbote dessen | |
gesehen wird, was einen erwartet, wenn man die Kontrolle an eine | |
palästinensische Verwaltung übergibt, herrscht international die | |
Einschätzung vor, dass die Gewaltspirale ohne eine Aussicht auf nationale | |
Selbstbestimmung der Palästinenser nicht zu beenden ist. Die Rückkehr der | |
Zweistaatenlösung in die Diplomatie des Nahen Ostens ist der politische | |
Ausdruck dieser unterschiedlichen Auffassungen. | |
Netanjahu versucht, das Trauma der israelischen Bevölkerung für sein | |
politisches Überleben einzuspannen. Auch die parlamentarische Opposition | |
vermag es nicht, sich dem zu entziehen. Einerseits teilen breite Teile | |
davon die Einschätzung der Gefahren, die von einem palästinensischen Staat | |
ausgehen, und andererseits befürchtet man, die Wählergunst zu verlieren. | |
Die allwöchentlich in den Straßen von Tel Aviv und anderen Städten zu | |
vernehmenden wütenden Rufe à la „Du bist der Kopf, du bist schuldig“ find… | |
keine Übersetzung ins politische System. | |
## Gaza als Westbank 2.0 | |
Netanjahus Nachkriegsplan von vergangenem Wochenende ist sicherlich keine | |
Ankündigung einer historischen Wende. Vielmehr wird mit dem Vorschlag einer | |
zeitlich unbegrenzten militärischen Kontrolle, der Einrichtung von | |
Pufferzonen, einer antiterroristischen „Reeducation“ und einer nicht näher | |
spezifizierten Zivilverwaltung ein Szenario erkennbar, das als abgespeckte | |
Besatzungspolitik aus dem Westjordanland bereits bekannt ist. | |
Wenn es der internationalen Koalition nicht gelingt, der Regierung einen | |
verbindlicheren Fahrplan abzutrotzen, werden sich die Gegner der | |
Zweistaatenlösung weiterhin die Bälle zuspielen. Netanjahu ist darin seit | |
den Angriffen auf die Verträge von Oslo der versierteste Akteur. | |
Insbesondere wird jede palästinensische Zivilverwaltung für den | |
Gazastreifen, wie sie gerade [1][nach dem Rücktritt von Ministerpräsident | |
Mohammed Schtajjeh] vorbereitet wird, einen schwierigen Stand haben. Jahre | |
von Korruption und Autoritarismus haben die Palästinensische | |
Autonomiebehörde im Westjordanland und im Gazastreifen erheblich | |
diskreditiert. | |
Zudem gestaltet sich die Suche nach politischen Repräsentanten, die sowohl | |
die internen palästinensischen Fraktionen überbrücken können als auch den | |
israelischen und internationalen Anforderungen genügen, als äußerst | |
kompliziert. Als wäre das nicht genug, wurde mit der Verordnung zur | |
Beschränkung der muslimischen Besucher zum Tempelberg/Haram al-Scharif zu | |
Beginn des Ramadan am 10. März durch den nationalen Sicherheitsminister | |
Itamar Ben-Gvir ein erster Fallstrick für kooperationswillige Partner | |
ausgelegt. | |
## Das eigene Überleben im Sinn | |
In der [2][israelischen Opposition] scheint vergessen, dass sich ein | |
zionistischer Politiker wie Jitzhak Rabin für Verhandlungen mit der PLO | |
entschied, als die Zustimmungsquote für einen Palästinenserstaat bei gerade | |
mal 30 Prozent lag. Heute sind es knapp unter 50 Prozent. Der an | |
Meinungsumfragen orientierte Populismus frisst seine Kinder. [3][Netanjahus | |
„totaler Sieg“] mündet in der endgültigen Liquidierung einer | |
Zweistaatenlösung zugunsten seines eigenen politischen Überlebens. | |
In den Tunneln der Hamas dürfte man sich die Hände reiben. Das Einzige, was | |
die fundamentalistische Terrororganisation langfristig gefährdet – die | |
Bildung einer internationalen Koalition, die ihr die Finanzmittel abstellt | |
und dabei eine politische Perspektive jenseits von Gewalt eröffnet –, wird | |
gerade hintertrieben. | |
1 Mar 2024 | |
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## AUTOREN | |
Michael B. Elm | |
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