# taz.de -- Gerichtspräsidentin über Volksinis: „Keine feindliche Grundhalt… | |
> Fast immer stoppt das Hamburger Verfassungsgericht Volksinitiativen – auf | |
> Antrag des Senats. Gerichtspräsidentin Birgit Voßkühler erklärt, warum. | |
Bild: Hier war Schluss: Aktivisten der Volksinitiative für ein bedingungsloses… | |
taz: Frau Voßkühler, stimmen Sie dieser Aussage zu: In Hamburg ist es | |
nahezu unmöglich geworden, eine Volksinitiative zu starten, die nicht von | |
Ihnen gestoppt wird? | |
Birgit Voßkühler: Der Aussage stimme ich nicht zu. Es kommt allein darauf | |
an, ob die Volksinitiative mit höherrangigem Recht vereinbar ist. | |
Aber der [1][letzte Volksentscheid] ist nun mehr als ein Jahrzehnt her, | |
allein seit Ihrem Amtsantritt 2020 haben Sie alle fünf Ihnen vorgelegten | |
Volksinitiativen gestoppt, drei weitere warten gerade auf Ihr Urteil. | |
Ja, das Verfassungsgericht hat die zuletzt vorgelegten Volksinitiativen für | |
nicht rechtskonform gehalten. Die Initiativen hatten solche Mängel, dass | |
wir zu diesem Ergebnis kommen mussten. Aber das hatte in den verschiedenen | |
Verfahren ganz unterschiedliche Gründe, [2][jedes Urteil ist eine | |
Einzelfallentscheidung.] Dahinter steht keine volksinitiativenfeindliche | |
Grundhaltung. | |
Ist es nicht eine unfaire Hürde, dass Volksinitiativen mit | |
Gesetzesentwürfen etwas vorlegen sollen, was selbst den Behördenapparaten | |
nicht immer gelingt? | |
Vorab, das Volksabstimmungsgesetz bietet zwei Wege an: Zum einen können | |
Gesetzentwürfe vorgelegt und zur Abstimmung gestellt werden. Wird ein | |
Gesetz durch Volksentscheid verabschiedet, tritt es mit der gleichen | |
Wirkung in Kraft wie jedes durch die Parlamente beschlossene Gesetz. Es | |
bindet dann Staatsorgane und Bürgerinnen und Bürger. In deren Interesse | |
muss ein von einer Volksinitiative formuliertes Gesetz den gleichen | |
Anforderungen genügen wie ein parlamentarisches Gesetz. Das hat mit | |
„Fairness“ gegenüber Volksinitiativen nichts zu tun, sondern ist eine Frage | |
der Rechtsstaatlichkeit. Die Gesetzentwürfe müssen für eine Volksinitiative | |
in Hamburg geeignet sein, in die komplexe Rechtsordnung passen und den | |
rechtsstaatlichen Anforderungen entsprechend formuliert sein. | |
Was meint das konkret? | |
Gesetzesvorhaben können nur dann von Volksinitiativen in Hamburg zur | |
Abstimmung gestellt werden, wenn sie auf Landesebene beschlossen werden | |
können. Man muss also zunächst herauszufinden, ob für die Umsetzung eines | |
politischen Vorhabens nicht eine andere Ebene, etwa der Bund, zuständig | |
ist. Und wenn ein Vorhaben auf Landesebene regelbar ist und die Grenzen der | |
Landesverfassung für Volksinitiativen gewahrt sind, muss die Initiative ein | |
Gesetz formulieren, das mit dem darüber stehenden Recht, insbesondere dem | |
Recht auf Bundesebene, in Einklang steht. Ein politisches Anliegen in eine | |
Initiative zu gießen, aus der politischen Idee also ein Gesetz zu machen, | |
das in dieses Korsett passt, ist also nicht einfach. | |
Und ist der andere Weg einfacher? | |
Neben Gesetzesvorhaben sind sogenannte „andere Vorlagen“ möglich. Sie | |
zielen auf bestimmte, punktuelle Handlungen ab – anders als ein auf Dauer | |
angelegtes abstraktes Gesetz. Hinter der Eröffnung dieser beiden Wege stand | |
ursprünglich die Idee, dass es dem Volk in gleicher Weise möglich sein | |
sollte, Entscheidungen zu treffen wie der Bürgerschaft. Auch Parlamente | |
können zum einen Gesetze erlassen und zum anderen schlichte Beschlüsse | |
fassen, mit denen sie die Regierung zum Handeln in einer konkreten | |
Angelegenheit auffordern. Ein solcher schlichter Beschluss ist allerdings | |
nicht bindend, er ist vielmehr ein Zeichen an die Regierung, dass das | |
Parlament es für erforderlich hält, in dieser Sache aktiv zu werden. Mit | |
dem Volksabstimmungsgesetz, so wie es im Jahr 1996 eingeführt wurde, gab es | |
einen entsprechenden Appell auch bei Volksabstimmungen. | |
Und das ist aber heute anders? | |
Ursprünglich waren die anderen Vorlagen in der Volksgesetzgebung ebenso | |
unverbindlich wie Beschlüsse der Bürgerschaft. Wenn der Hamburger Senat bei | |
schlichten Parlamentsbeschlüssen der Bürgerschaft sagt: „Will ich nicht“, | |
oder: „Will ich anders“, dann geht er so vor, wie er es für richtig hält … | |
die schlichten Beschlüsse der Bürgerschaft binden ihn nicht. 2008 aber | |
wurde die Verfassung geändert und den anderen Vorlagen verbindliche Kraft | |
beigemessen – Senat und Bürgerschaft sind seit dem Inkrafttreten der | |
Verfassungsänderung an andere Vorlagen gebunden und zu ihrer Umsetzung | |
verpflichtet. | |
Dieser Weg ist also für Volksinitiativen der leichtere – und im Erfolgsfall | |
auch noch bindend für die Regierenden? | |
Die verbindliche Wirkung anderer Vorlagen, die zugunsten von | |
Volksentscheiden eingeführt worden ist, hat zur Folge, dass die | |
Anforderungen höher geworden sind: Andere Vorlagen dürfen nun nur solche | |
Verpflichtungen enthalten, die vom in die Pflicht genommenen Staatsorgan – | |
im Regelfall vom Senat – in rechtlich zulässiger Weise umgesetzt werden | |
können. Auch eine andere Vorlage darf also nur dann zur Abstimmung gestellt | |
werden, wenn das, was gefordert wird, in die Rechtsordnung passt. Die | |
rechtlichen Anforderungen sind damit bei anderen Vorlagen nicht niedriger. | |
Es mag etwas weniger komplex sein, eine andere Vorlage auf den Weg zu | |
bringen. Letztlich kommt es bei der Wahl des Weges für eine Volksinitiative | |
aber darauf an, was sie erreichen will. | |
Nun ist es ja immer der Hamburger Senat, der die Initiativen vor Ihr | |
Gericht bringt – und sie damit stoppen will. „Der Senat klagt alles weg“ | |
ist ein Satz, den in Volksinitiativen Engagierte in den vergangenen Jahren | |
häufig gesagt haben. Ist da wirklich gar nichts dran? | |
Es stimmt, dass der Senat in den vergangenen Jahren die von Ihnen | |
angeführte Reihe von Volksbegehren vor das Verfassungsgericht gebracht hat. | |
Hierbei muss man sehen, dass der Senat die Vorgabe aus dem | |
Volksabstimmungsgesetz befolgen muss, dem Gericht Volksinitiativen immer | |
dann zur Prüfung vorzulegen, wenn erhebliche Zweifel an der Vereinbarkeit | |
mit höherrangigem Recht bestehen. Und man muss sehen, dass sich die Zweifel | |
des Senats in den bislang entschiedenen Verfahren immer bestätigt haben. An | |
der Aussage „Der Senat klagt alles weg“ stört mich, dass sie den Vorwurf an | |
den Senat enthält, er verfolge das Ziel, die Volksgesetzgebung zu | |
unterbinden. So ist es nicht. Eine vorherige Prüfung der Rechtmäßigkeit | |
verhindert, dass das Volk ein Gesetz beschließt oder sich für eine Vorlage | |
ausspricht, die sich anschließend als nicht rechtskonform herausstellt. Das | |
würde zu sehr viel Frust führen. | |
Sie sprachen gerade schon diese im Gesetz stehenden „erheblichen Zweifel“ | |
an, die Bedingung für eine Klage sind. Das klingt aber doch nach einem | |
recht dehnbaren Begriff, den der Senat für sich ausnutzen kann. | |
Die „erheblichen Zweifel“ an der Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht sind | |
nicht Voraussetzung für einen Antrag des Senats an das Verfassungsgericht. | |
Der Senat hat – ebenso wie die Bürgerschaft und ein Fünftel ihrer | |
Abgeordneten – auch schon bei einfachen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit das | |
Recht, ein Verfahren beim Verfassungsgericht zu führen. Die Idee hinter der | |
Norm, die den Senat verpflichtet, dem Gericht bei erheblichen Zweifeln die | |
Initiative zur Prüfung vorzulegen, ist, dass es nicht der Opportunität des | |
Senats unterliegen soll, ob er gegen eine Volksinitiative vorgeht oder | |
nicht. Er soll nicht die Initiativen, die ihm politisch passen, trotz | |
erheblicher Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit durchlaufen lassen können. | |
Sind es denn aus Ihrer juristischen Sicht häufig dieselben offensichtlichen | |
Fehler, die Initiator:innen machen? | |
Ein häufiger Fehler ist der Start einer Initiative auf einem Gebiet, für | |
das Hamburg als Bundesland kompetenzrechtlich nicht zuständig ist. Aber wir | |
arbeiten bei jeder Überprüfung einer Volksinitiative einen Prüfkatalog ab | |
und treffen in unseren Entscheidungen auch Aussagen zu Prüfungspunkten, auf | |
die es im Ergebnis nicht ankommt. | |
Warum? | |
Das machen wir, weil wir unsere Aufgabe auch darin sehen, Klarheit für | |
[3][künftige Volksinitiativen] zu schaffen. Entscheidungen diskutieren wir | |
im gesamten Gremium intensiv, jeder Satz einer Entscheidung wird durch die | |
Mitglieder des Verfassungsgerichts bestätigt. Wir sind uns der Bedeutung | |
unserer Entscheidungen sehr bewusst. Die [4][Volksgesetzgebung ist ein | |
wirkmächtiges, aber eben auch sehr anspruchsvolles Instrument], das von | |
den Volksinitiativen und vom Verfassungsgericht mit Respekt und Bedacht | |
behandelt werden muss. | |
26 Jun 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Hamburger-Volksentscheid-Energienetze/!5958443 | |
[2] /Verfassungsgericht-stoppt-Volksbegehren/!5978760 | |
[3] /Fridays-for-Future-plant-Volksinitiative/!5968426 | |
[4] https://www.hamburg.de/contentblob/1916862/0c9b47d2c00adfae81dcd16f1e17e8fb… | |
## AUTOREN | |
André Zuschlag | |
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