Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Palästinensischer Minister zu Gaza: „Alle haben die moralische P…
> Wie kann der Krieg enden? Der palästinensische Außenminister Maliki hofft
> auf die internationale Gemeinschaft und hält an einer Zweitstaatenlösung
> fest.
Bild: Kinder im Gazastreifen an einer Essensausgabestelle am 13. Februar
taz: Herr al-Maliki, die Lage in Gaza ist düster. Die Menschen dort, so
scheint es, haben die Wahl zu verhungern, getötet oder vertrieben zu
werden. Was wird als Nächstes passieren?
Riyad al-Maliki: Den Menschen bleiben nicht viele Möglichkeiten. Eine
Kollegin in Rafah schrieb mir: Dass wir noch am Leben sind, bedeutet nicht,
dass wir nicht sterben. Wenn du heute nicht getötet wirst, dann womöglich
morgen. In Gaza fühlt sich der Tod an, als wäre er zum Normalfall geworden.
Und am Leben zu bleiben kann eine Strafe sein.
Was erwarten Sie von Deutschland?
Deutschland hat politisches Gewicht und sollte vorangehen, das erfordert
Mut. Meine Amtskollegin Annalena Baerbock ist mutig und engagiert: Sie hat
die Gewalt der Siedler im Westjordanland deutlich verurteilt, sich klar zu
den Forderungen des Internationalen Gerichtshofs vom Januar, zur
Notwendigkeit einer humanitären Feuerpause und zu einer Zweistaatenlösung
geäußert. Das begrüße ich, darauf können wir aufbauen.
Einen Waffenstillstand hat Deutschland bisher allerdings nicht gefordert,
sondern sich klar an die Seite Israels gestellt. Viele Palästinenser fühlen
sich deshalb im Stich gelassen.
Das palästinensische Volk hat allen Grund, sich von der internationalen
Gemeinschaft im Stich gelassen zu fühlen. Schließlich hat die israelische
Armee in Gaza seit Oktober mehr als 28.000 Palästinenser getötet und über
60.000 verletzt, die meisten Opfer sind Frauen und Kinder. Die Wortwahl ist
auch sehr unterschiedlich, wenn es darum geht, die Taten der Hamas zu
verurteilen oder das israelische Vorgehen zur kommentieren. Alle Mitglieder
der internationalen Gemeinschaft haben die moralische Pflicht, die Dinge
beim Namen zu nennen – insbesondere die Staaten, die eine wertebasierte
Außenpolitik anstreben. Die gegenwärtige Aggression gegen das
palästinensische Volk stellt diese Werte auf die Probe.
Benjamin Netanjahu hat als Kriegsziel ausgegeben, die Hamas zu vernichten.
Warum sollte Israels Premier den Krieg beenden, bevor das erreicht ist?
Er hat es viereinhalb Monate lang versucht. Ist es ihm gelungen? Nein. Er
wollte auch die Geiseln befreien. Ist ihm das gelungen? Auch nicht. Die
Frage ist: Wird er es in den nächsten Monaten schaffen? Wenn er so
weitermacht, dann wird in Gaza bald kein einziges Haus mehr stehen. Aber
die Menschen in Israel beginnen zu erkennen, dass Netanjahu bereit ist, die
Geiseln zu opfern, um seine persönliche Zukunft zu retten. Aus diesem Grund
will er den Krieg so lange wie möglich fortsetzen und sogar ausweiten.
Sie glauben nicht, dass die Hamas vernichtet werden kann?
Ich will damit nur sagen, dass Netanjahu dieses Ziel nach vier Monaten des
Todes und der Zerstörung noch nicht erreicht hat. Wie ich schon sagte, geht
es ihm nicht um die Sicherheit seines Volkes, sondern um seine Zukunft,
weshalb er die Aggression so lange wie möglich fortsetzen wird, um seine
Karriere zu retten.
[1][Immerhin hat die israelische Armee in Rafah jetzt zwei Geiseln
befreit.] Ist es aus dieser Sicht nicht logisch, dass sie ihre Offensive
dort ausweiten will?
Die Armee hat zwei Geiseln in Rafah befreit, ja. Aber mussten dafür über
100 Menschen sterben und doppelt so viele verletzt werden? Mussten dafür 50
Häuser zerstört werden, einschließlich zwei Moscheen? Denn das ist
passiert. Die israelische Armee hat auch schon mehrere Geiseln getötet. Und
die übrigen Geiseln könnten sich überall befinden, sie wurden vermutlich
über verschiedene Orte verteilt.
Worum geht es Ihrer Meinung nach dann?
Die Ziele dieses Kriegs sind aus meiner Sicht sehr klar. Erstens, den
Gazastreifen unbewohnbar zu machen und zumindest den nördlichen Teil in
eine Pufferzone umzuwandeln. Zweitens, die Bevölkerung aus Gaza zu
vertreiben. Gleich am ersten Tag des Krieges hat Netanjahu allen Bewohnern
geraten, den Gazastreifen in Richtung Ägypten zu verlassen. Seitdem sind
die Menschen aus dem Norden bis nach Rafah vertrieben worden. Sie müssen
jetzt nur noch über die Grenze gedrängt werden. Durch die Beschränkung der
Einfuhr von Lebensmitteln und Wasser, Strom, Treibstoff und Medikamenten
hofft man, dass sie den Gazastreifen aus Verzweiflung verlassen. Dieser so
genannte „freiwillige“ Transfer ist das Hauptziel dieses Angriffs.
Falls das so ist: Wie ließe es sich verhindern?
Die Anführer der internationalen Gemeinschaft sollten sagen, dass das, was
Netanjahu vom ersten Tag an bis heute getan hat, ein Verbrechen ist und im
Moment einem Völkermord gleichkommt. Netanjahu schert sich nicht um das
Leben von Palästinensern. Ihm ist es egal, ob Hunderttausende getötet
werden oder die Hälfte der Bevölkerung vertrieben wird. Auch das Leben von
Israelis ist ihm egal. Aber wenn Israel so weitermacht, wird der
Internationale Strafgerichtshof verlangen, dass einige seiner politischen
oder militärischen Führer verhaftet werden. Das wird geschehen – wenn nicht
morgen, dann in absehbarer Zeit. Schließlich wurden solche Gerichte genau
für solche Situationen geschaffen. Und nach der Konvention zur Verhinderung
von Völkermord macht sich ein Land, das Waffen an ein anderes Land
verkauft, das diese einsetzt, um einen Völkermord zu begehen, zum
Komplizen. Dessen muss man sich bewusst sein.
[2][Südafrikas Völkermord-Klage gegen Israel] hat bisher keine direkten
Konsequenzen. Israel geht in Gaza weiter mit unverminderter Härte vor, der
Westen liefert immer noch Waffen. Sehen Sie Anzeichen für ein Umdenken?
Haben Sie gesehen, dass ein Gericht in den Niederlanden geurteilt hat, dass
die Niederlande den Verkauf von Teilen des F-35-Kampfjets stoppen müssen?
Und dass Nicaragua Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof
verklagt, weil es durch den Verkauf von Waffen an Israel zum Komplizen
geworden ist? Sollten Gerichte zu dem Schluss kommen, dass sich Deutschland
oder die Niederlande zu Komplizen eines Völkermordes gemacht haben, wird
sich das auf deren Position auswirken. Man kann nicht vor seiner
Verantwortung weglaufen.
Rechte in Israel wollen den Gazastreifen wieder ganz unter Israels
Kontrolle bringen und dort wieder Siedlungen errichten. Wie ließe sich das
verhindern?
Was die Welt 1967 akzeptiert hat, wird sie heute nicht mehr akzeptieren.
Diese Regierung denkt, dass sie allein mit ihrer militärischen Macht für
immer über das Schicksal des palästinensischen Volkes bestimmen kann. Aber
militärische Macht hält nicht ewig. Militärisch ist uns Israel in jeder
Hinsicht überlegen. Aber juristisch stehen wir besser da, und ich bin
überzeugt, dass wir auf diesem Feld gewinnen können. Am 19. Februar wird
der Internationale Gerichtshof wieder zusammentreten, um zu entscheiden, ob
es sich bei dem Regime, das Israel seit 1956 in den besetzten
palästinensischen Gebieten aufrechterhält, noch um ein Besatzungsregime
handelt. Denn eine Besatzung ist per Definition vorläufig und nicht auf
Dauer angelegt. Oder handelt es sich bereits um ein Apartheid-Regime? Die
Frage ist, wie Israel und wie die Länder, die mit Israel befreundet sind,
darauf reagieren werden.
Dem israelischen Verteidigungsminister Joaw Galant schwebt für den
Gazastreifen ein ähnliches Modell wie im Westjordanland vor: Israels Armee
behält die militärische Kontrolle und eine lokale Behörde leitet die zivile
Verwaltung. Würde die Autonomiebehörde das übernehmen?
Galant ist für mich kein Maßstab. Gaza ist ein integraler Bestandteil des
Staates Palästina. Wir wollen, dass die Zukunft des Gazastreifens vom
palästinensischen Volk bestimmt wird und nicht von der israelischen
Besatzungsarmee.
Israel kontrolliert das Westjordanland seit 1967. Es kann Gelder
zurückhalten, Checkpoints errichten und mit seiner Armee ein- und ausgehen.
Seit dem 7. Oktober wurden dort mehr als 360 Menschen durch Siedler oder
Soldaten getötet. Ihre Autonomiebehörde hat auch deshalb stark an Autorität
verloren. Warum geben Sie die Verantwortung nicht ab?
Wir sind keine Behörde oder einzelne Personen, die die Macht an sich reißen
wollen. Wir glauben an faire Wahlen und haben in den vergangenen Jahren
viele Male versucht, Wahlen abzuhalten, die dann von Israel gewaltsam
verhindert wurden. Wenn es im gesamten Nahen Osten ein Volk gibt, das an
demokratische Werte glaubt, dann sind es die Palästinenser. In Palästina
gibt es mehr als ein Dutzend politischer Parteien, von denen die meisten
schon seit 50 Jahren bestehen, eine solche politische Vielfalt ist selten.
Wir sind für viele Länder ein Beispiel, dem sie folgen können.
Netanjahu lehnt eine Zweistaatenlösung ab. Wo sehen Sie auf israelischer
Seite derzeit einen Partner für den Frieden?
Im Moment sehe ich leider keinen mutigen Anführer, der Israel zum Frieden
führen könnte. Es würde bedeuten, die israelische Besetzung der Gebiete des
Staates Palästina entsprechend des Völkerrechts zu beenden und ein Abkommen
abzuschließen, das den Konflikt endgültigen beendet. Wir hoffen, dass eine
solche Person irgendwann auftauchen wird.
Würde die Hamas eine Zweistaatenlösung akzeptieren?
Ich spreche nicht für die Hamas. Das müssen Sie diese schon selbst fragen.
Vor ein paar Monaten hat sie öffentlich erklärt, dass sie einen
palästinensischen Staat in den Grenzen von 1967 akzeptiert. Aber was zählt,
ist die Position der PLO als einzige und legitime Vertreterin des
palästinensischen Volkes. Und die PLO setzt sich weiterhin für diese Lösung
ein. Ich muss Sie daran erinnern, dass alle regierenden israelischen
Parteien die Zweistaatenlösung und die mit der PLO unterzeichneten Abkommen
aktiv ablehnen. Tatsächlich hat Netanjahu seine gesamte politische Karriere
darauf aufgebaut, eine Zweistaatenlösung zu verhindern.
Mehr als eine halbe Million Siedler leben heute in der Westbank unter dem
Schutz der israelischen Armee, ihre Zahl steigt. Wie realistisch ist eine
Zweistaatenlösung noch?
Seit 50 Jahren streben wir einen unabhängigen palästinensischen Staat an.
Viele Palästinenser haben dafür ihr Leben verloren. Wir haben einen Punkt
erreicht, an dem die Welt einen Konsens über die Zweistaatenlösung gefunden
hat. Es hat Zeit gebraucht, diesen Konsens zu erreichen. Es ist nicht fair
zu sagen, lasst uns dieses Ziel aufgeben. Denn das würde bedeuten, dass wir
die Möglichkeit aufgeben, echten Frieden für viele kommende Generationen zu
erreichen.
Fair nicht, aber realistisch?
Wenn 193 Länder dieser Welt für die Zweistaatenlösung sind und Israel
nicht, dann gibt es nicht so viele Möglichkeiten: Entweder zählen die 193
Länder nicht. Oder die 193 Länder können Israel dazu bringen, das
Völkerrecht zu respektieren. Oder aber Israel wäre weiterhin ein Staat, der
außerhalb des Völkerrechts agiert. Mit der Zweistaatenlösung wird dem
palästinensischen Volk keine volle Gerechtigkeit zuteil. Sie ist ein
Kompromiss, den das palästinensische Volk, vertreten durch die PLO, mutig
akzeptiert hat – einen Kompromiss, der ein Ende der israelischen Besatzung
und die Verwirklichung eines kleinen, aber unabhängigen Staates in den
Grenzen von 1967 sichern würde. Und glauben Sie mir, einen
palästinensischen Staat auf einem Gebiet von 22 Prozent des historischen
Palästinas zu akzeptieren war wirklich ein schmerzhafter und großer
Kompromiss, um den Frieden zu erreichen, den unsere Völker verdienen. Aber
wenn Israel diese Lösung weiterhin ablehnt, wird man auf andere
Alternativen zurückgreifen müssen – etwa den ursprünglichen UN-Teilungsplan
von 1947, der dem palästinensischen Volk 46 Prozent des Gebiets zuweist.
Wäre eine Einstaatenlösung eine Alternative?
Wenn Israel die Zweistaatenlösung unmöglich macht, dann wird der Einstaat
de facto zu einer Alternative. Dies müsste entweder ein demokratischer
Staat sein, in dem jede Person in dem Gebiet vom Mittelmeer bis zum Jordan
eine Stimme hat. Oder es wäre ein repressiver Staat, in dem eine Gruppe
über eine andere herrscht – so, wie es derzeit in den besetzten
palästinensischen Gebieten der Fall ist, dessen Realität angesichts einer
dauerhaften illegalen Besetzung zu Recht weithin als Apartheid-System
beschrieben wird. Die internationale Gemeinschaft wird das Verbrechen der
Apartheid nicht tolerieren, und wir würden dies auch nicht tun.
Bei all dem Hass, Schmerz und Fanatismus auf beiden Seiten ist eine Lösung
des Konflikts nur schwer vorstellbar. Woher nehmen Sie Ihre Hoffnung
darauf?
Deutschland und Frankreich waren Erbfeinde, bis sie sich nach dem Zweiten
Weltkrieg zur Koexistenz entschlossen haben. Manchmal muss man Kompromisse
eingehen, um der Zukunft und der nächsten Generationen willen. Wir müssen
uns aus diesem Kreislauf von Krieg und Rache befreien. Solange es – mit
Ausnahme Israels – einen Konsens über eine Zweistaatenlösung gibt, glaube
ich, dass sie möglich ist. Wir sind bereit, ein Friedensabkommen zu
unterzeichnen, das den Konflikt beenden würde. Ich hoffe, Israel wird das
erkennen, bevor es zu spät ist.
15 Feb 2024
## LINKS
[1] /Befreiung-von-israelischen-Geiseln/!5988884
[2] /Voelkermord-Verfahren-gegen-Israel/!5985407
## AUTOREN
Daniel Bax
Lisa Schneider
## TAGS
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Palästina
palästinensische Autonomiebehörde
Palästinenser
Israel
Gaza
Gaza-Krieg
Hamas
PLO
GNS
Zypern
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Israel
## ARTIKEL ZUM THEMA
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg+++: USA senden Schiff nach Gaza
Der von den USA angekündigte Bau eines Piers für Hilfslieferungen an der
Küste Gazas beginnt. Derweil wirft Israel der Hamas „Blockade“ des
Geisel-Deals vor.
Grünen-Politiker Saleh zu Nahost-Debatte: „Eine unerträgliche Stimmung“
Als im Irak geborener Grünen-Politiker steckt Kassem Taher Saleh beim Thema
Nahost zwischen zwei Welten. Er fordert von seiner Partei eine
differenziertere Haltung.
Flüchtlingscamp im Gazastreifen: Leben am Limit
Die südliche Grenzstadt Rafah gilt für die Menschen in Gaza als einer der
letzten Zufluchtsorte. Vier Geflüchtete erzählen von ihrem Leben vor Ort.
Mögliche Offensive in Rafah: Ägypten droht Israel
Trotz Mahnungen hält Israels Regierung am Vorhaben einer Offensive in Rafah
fest. Kairo erwägt in dem Fall, das Camp-David-Abkommen auszusetzen.
Frieden in Nahost: Die Nahost-Formel
Wegen des Gazakriegs befindet sich ganz Nahost in Aufruhr. Ohne dass die
Palästinenser mehr Rechte bekommen, bleibt Stabilität in der Region aus.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.