# taz.de -- Wiederholung der Bundestagtagswahl: Blöd für Stahr, gut für die … | |
> Dass die Grünen-Vorsitzende den Bundestag verlassen muss, ist ein Glück | |
> für ihre Partei. Denn die braucht sie als Chefin – was nur ohne Mandat | |
> geht. | |
Bild: Nina Stahr beim Grünen-Landesparteitag am 13. Dezember kurz vor ihrer er… | |
Es hatte schon etwas Skurriles, in den vergangenen Wochen mit manchen | |
Politikern zu sprechen oder Interviews zu lesen. Denn hier und da | |
schimmerte kaum verhohlen die Hoffnung durch, dass eine Parteifreundin aus | |
einem Parlament fliegen könnte. Das ließe sich als übelste Missgunst oder | |
sogar parteischädigend auslegen. Tatsächlich aber war diese Hoffnung von | |
großer Wertschätzung und eben dem Streben nach dem Besten für die Partei | |
getragen. | |
Die Partei, das sind die Berliner Grünen, die Frau, das ist die | |
Landesvorsitzende Nina Stahr. Sie hat am Sonntag ihr Mandat im Bundestag | |
verloren, in den sie erst vor weniger als zweieinhalb Jahren eingezogen | |
war. Das lag nicht an ihr, nicht am schwachen Wahlkampf oder prozentual | |
schlechten Ergebnis, sondern an der gegenüber 2021 eingebrochenen | |
Wahlbeteiligung: An der Urne oder per Briefwahl stimmten nur 51 Prozent der | |
Wahlberechtigten ab – 2021 waren es noch über 75 Prozent, also eineinhalb | |
Mal so viele. | |
Das sorgte dafür, dass in der Gesamtrechnung mit den Wahlbezirken, in denen | |
nicht neu gewählt wurde, [1][am Ende weniger tatsächliche Stimmen zusammen | |
kamen.] Deren Zahl ist aber entscheidend, wenn es darum geht, das | |
bundesweite Ergebnis einer Partei auf die Bundesländer aufzuteilen. 2021 | |
erhielten die Berliner Grünen auf die Weise sieben Mandate. | |
Da sie drei Wahlkreise gewannen, konnten sie noch vier weitere Sitze über | |
die sogenannte Landesliste besetzen. Der letzte davon ging an Stahr – und | |
genau den mussten die Berliner Grünen nun wegen der gesunkenen | |
Gesamtstimmenzahl parteiintern an ihre Parteifreunde in Nordrhein-Westfalen | |
abgeben. | |
## In der Fraktion ersetzbar, in der Landesspitze nicht | |
Das wiederum heißt: So blöd die Sache für Stahr selbst ist – die | |
Grünen-Bundestagsfraktion wird dadurch nicht kleiner. Und für ihre Themen | |
als Sprecherin für Bildung, Forschung und „Technikfolgeabschätzung“ sowie | |
ihr anderes großes Feld, Familien und Kinder, dürfte sich in der | |
118-köpfigen Fraktion Ersatz finden lassen. Schlicht gesagt: Stahr ist dort | |
entbehrlich – ganz anders als im Berliner Landesvorsitz. | |
Wie eine Nothelferin hatte sie Mitte Dezember erneut den Vorsitz | |
übernommen, den sie Ende 2021 nach fünf Amtsjahren wegen ihres | |
Bundestagsmandats abgegeben hatte. Denn [2][die Satzung der Berliner | |
Grünen] beinhaltet unter Paragraf 18 weiter eine Festlegung aus den | |
Anfangszeiten der Partei: die strikte Trennung von Amt und Mandat. Wer im | |
Parlament oder in der Regierung sitzt, darf nicht dem Landesvorstand | |
angehören. Bei den Grünen in Hessen etwa ist das gänzlich anders. Dort war | |
ihr langjähriges Aushängeschild Tarek Al-Wazir sowohl als | |
Parteivorsitzender wie Minister zugleich auch Landtagsabgeordneter | |
Das ist in Berlin ausgeschlossen. Und trotzdem wählten die Grünen Stahr | |
trotz Bundestagsmandat im Dezember, wenn auch nur befristet bis Mai, erneut | |
zur Vorsitzenden. Dass die Partei zu einem solchen Zugeständnis bereits | |
war, zeigt besser als alles andere, wie dramatisch das parteiinterne | |
Zerwürfnis war. Zur Erinnerung: [3][Vorsitzende hatte eigentlich Tanja | |
Prinz werden wollen], die auch eine Art Vorwahl beim Realo-Parteiflügel | |
gewann. Beim Parteitag am 9. Dezember aber [4][ließen die Delegierten sie | |
mit großer Mehrheit durchfallen], und das drei Mal. Der Parteitag wurde | |
unterbrochen, erst vier Tage später ging es weiter. | |
Unter den inzwischen 13.000 Mitgliedern fand sich in der Zwischenzeit | |
niemand außer Stahr, dem die führenden Köpfe des Landesverbands es | |
zutrauten oder zumuten konnten, jenen Platz in der Doppelspitze, der nach | |
inoffizieller Absprache zwischen den Parteiflügeln den Realos zusteht. Für | |
den linken Grünen-Flügel war Philmon Ghirmai unumstritten. Im Januar | |
[5][sagte Ex-Bundesministerin Renate Künast bei einem Parteitreffen] in | |
Schöneberg zum gegenwärtigen Zustand des Landesverbands: „Wir müssen das | |
als Anlass nehmen, mit dem ganzen Rechts-links-Scheiß aufzuhören“. Aus | |
ihrer Sicht muss die Partei „diese Flügelscheiße“ hinter sich lassen. | |
## Intensivbehandlung und Reha stehen noch bevor | |
Stahr vorerst bis Mai zurück an die Spitze zu holen, war [6][nur eine Art | |
Notverband]. Intensive Behandlung, Operation und Reha, um im Bild zu | |
bleiben, stehen den Berliner Grünen noch bevor. In dieser Phase ist es für | |
den Landesverband Gold wert, Stahr über den nächsten Parteitag im Mai | |
hinaus als Vorsitzende halten zu können und nicht nach einer anderen, weit | |
weniger erfahrenen Kandidatin suchen zu müssen. | |
Derjenige Grüne, der neben Stahr ansonsten verfügbar und für einen weiteren | |
Führungsjob prädestiniert ist, kommt [7][wegen des Frauenstatuts] nicht in | |
Frage: Ex-Finanzsenator Daniel Wesener, von manchen schon als | |
Spitzenkandidat für die Abgeordnetenhauswahl 2026 gehandelt, war zwar auch | |
schon mal Parteivorsitzer – aber in der Doppelspitze muss es nach den | |
Grünen-Regeln mindestens eine Frau geben. Weil der zweite Platz schon mit | |
Ghirmai besetzt ist, kann Wesener keine Alternative zu Stahr sein. | |
Ohne die 41-Jährige, die vor ihrer Zeit als Landesvorsitzende auch viel | |
Erfahrung in der Bezirkspolitik sammelte und nun kommunal-, landes- und | |
bundespolitisch beschlagen ist, sähe es darum schlecht aus für die Berliner | |
Grünen. Die Not, viele gegenseitige Verletzungen in der Partei zügig und | |
verlässlich behandeln zu müssen, ist einfach zu groß. So groß, dass für die | |
Grünen gilt, was vor fast sieben Jahrzehnten schon die CDU auf Wahlplakate | |
ihres damals 81-jährigen Bundeskanzlers Konrad Adenauer schrieb: „Keine | |
Experimente.“ | |
16 Feb 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.wahlen-berlin.de/wahlen/BU2024/AFSPRAES/btw/index.html | |
[2] https://gruene.berlin/fileadmin/BE/lv_berlin/LV_Berlin_Dokumente/zentrale_D… | |
[3] /Gruenen-Landesparteitag-am-9-Dezember/!5971433 | |
[4] /Landesparteitag-der-Berliner-Gruenen/!5975967 | |
[5] /Aufarbeitung-von-Gruenen-Parteitagschaos/!5982450 | |
[6] /Richtungsdebatte-bei-den-Berliner-Gruenen/!5976338 | |
[7] https://gruene.berlin/fileadmin/BE/lv_berlin/LV_Berlin_Dokumente/zentrale_D… | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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