# taz.de -- Grünen-Landesparteitag, Teil 2: Diesmal klappt die Vorsitzwahl | |
> Die Grünen wählen ihre Exlandesvorsitzende Nina Stahr vom Realo-Flügel | |
> erneut in die Doppelspitze. Co-Chef bleibt Philmon Ghirmai vom linken | |
> Lager. | |
Bild: Nina Stahr, neue und alte Landesvorsitzende der Berliner Grünen, kurz vo… | |
BERLIN taz | Dogmatisch zu sein ist ein Vorwurf, den gerade Grüne im linken | |
Parteiflügel schon mal zu hören bekommen. Am Mittwochabend trifft der ganz | |
und gar nicht zu: Da wählen die Berliner Grünen die Bundestagsabgeordnete | |
Nina Stahr mit überwältigender Mehrheit zur Landesvorsitzenden, obwohl die | |
Satzung [1][eine Trennung von Amt und Parlamentsmandat vorsieht]. | |
Dass die Delegierten überhaupt um 19 Uhr im Tagungszentrum Jerusalemkirche | |
in Kreuzberg zusammen sitzen, um Stahr, ihren Co-Vorsitzenden Philmon | |
Ghirmai und den restlichen Landesvorstand zu wählen, ist Folge eines | |
bizarren Vorfalls: Die Wahl hätte schon beim Parteitag am vergangenen | |
Samstag in einem Hotel in Moabit über die Bühne gehen sollen. Doch das | |
Parteitreffen wurde abgebrochen, nachdem beim ersten zu vergebenen Posten – | |
dem für Frauen reservierten Platz in der Doppelspitze – die einzige | |
Bewerberin, Tanja Prinz, drei Mal deutlich durchfiel. | |
Prinz hatte sich bei einer Vorabstimmung des Realo-Flügels gegen Ghirmais | |
bisherige Co-Vorsitzende Susanne Mertens durchgesetzt. Beide waren [2][2021 | |
gewählt worden] und auf die fünf Jahre amtierende Doppelspitze aus Stahr | |
und Werner Graf gefolgt, dem heutigen Fraktionschef im Abgeordnetenhaus. | |
Gemäß einer inoffiziellen Quotierung hätte der linke Parteiflügel Prinz | |
unterstützen müssen, so wie es von den Realos für die Kandidatur von | |
Ghirmai erwartet wurde. Doch die unter den 147 Delegierten dominierenden | |
Parteilinken akzeptierten die Vorauswahl nicht: Dreimal fiel Prinz durch. | |
Sie erhielt maximal 27 Prozent der Stimmen. Dass jeweils über 70 Prozent | |
gegen sie wählten, bedeutete, dass auch Realo-Delegierte mit „Nein“ | |
stimmten. | |
Prinz trat für einen Kurs an, der stärker als bisher auf Wähler aus dem | |
bürgerlichen Lager zielt. Der sie tragende Teil der Realos hielt der | |
bisherigen Parteichefin Mertens vor, sie habe es der Parteilinken zu leicht | |
gemacht. Der Vorwurf trifft auch Fraktionschefin Bettina Jarasch, 2021 und | |
2023 zweimal Spitzenkandidatin bei der Abgeordnetenauswahl. | |
Aus Sicht der radikaleren Realos hätte sie sich dem Druck des linken | |
Flügels widersetzen müssen, den Wahlkampf auf die grüne Kernwählerschaft | |
und nicht auf ein bürgerliches Klientel zu fokussieren. Dazu gehört für sie | |
auch Jaraschs Entscheidung, 2022 als damalige Verkehrssenatorin [3][die | |
Friedrichstraße für Autos sperren zu lassen], was durch ein Gerichtsurteil | |
aufgehoben wurde. | |
„Hello again“, begrüßt Parteichef Ghirmai die Delegierten, die an diesem | |
Mittwochabend weitaus entspannter zusammen sitzen und stehen als am Samstag | |
zu Parteitagsbeginn. Es würde wenig überraschen, wenn Ghirmais Worte aus | |
den Lautsprecher mit der gleichnamigen Schlagerschulze von Howard | |
Carpendale untermalt würden. Die führenden Realos hatten tags zuvor Stahr | |
als Ersatz-Kandidatin ausgerufen, führende Realos hatte sich schnell | |
öffentlich zustimmend geäußert und damit fast jegliche Spannung aus der | |
Parteitagsfortsetzung genommen. | |
Für Stahr ist es die Rückkehr in ein Amt, das sie vor zwei Jahren abgab, | |
weil sie Ende September 2021 ein Bundestagsmandat erreichte. Vor ihrer | |
erneuten Nominierung hatte sie erklärt, das sie das Mandat dieses Mal nicht | |
abgeben will – was damit zu tun haben dürfte, dass sie den Vorsitz nur bis | |
zu einer erneuten Vorstandswahl im Mai übernehmen soll. | |
Es könnte jedoch gut sein, dass Stahr länger im Amt bleibt: Bei der | |
wahrscheinlich am 11. Februar ganz oder teilweise zu wiederholenden | |
Bundestagswahl – das Bundesverfassungsgericht will darüber am Dienstag | |
urteilen – könnte Stahr ihren Parlamentssitz verlieren. Sie hat zwar keinen | |
Wahlkreis zu verteidigen. Ihr Mandat über die Landesliste der Grünen | |
wackelt jedoch bei einer zu erwartenden geringeren Wahlbeteiligung stark: | |
Denn wieviele Bundestagssitze Berlin insgesamt erhält, hängt von der | |
absoluten Stimmenzahl im Verhältnis zu den anderen Bundesländern ab – und | |
Stahr Mandat ist das erste, das bei den Grünen weg fallen würde. | |
In diesem Fall dürfte wenig dagegen sprechen, Stahr längerfristig im Amt zu | |
behalten – immer voraus gesetzt, dass sie ihren klaren Auftrag erfüllt: Den | |
durch den Streit um Tanja Prinz zerstrittenen Landesverband wieder zu | |
beruhigen. Am Mittwochabend ist der Rückhalt dafür groß: 88,2 Prozent | |
stimmen für Stahr, 7,6 Prozent gegen sie, 4,2 Prozent enthalten sich. | |
Ghirmai kommt wenig später auf 73,6 Prozent. | |
Dabei ist es nicht so, dass sich die 41-Jährige den Delegierten und vor | |
allem den Parteilinken anbiedern und um Stimmen buhlen würde. „Heute hier | |
zu stehen, ist nicht schön“, hat Stahr ihre Vorstellungsrede vor dem | |
Wahlgang eingeleitet, hat dann den Streit der vergangenen Wochen | |
kritisiert. Darin sieht sie mehr als die übliche Härte in der Politik. In | |
Richtung von Tanja Prinz, die Samstag nach ihren drei vergeblichen Anläufen | |
den Parteitag unter Tränen verließ, sagt sie: „So wie wir mit Dir | |
umgegangen sind, das war einer feministischen Partei nicht würdig.“ Man | |
werde viel reden, „wir werden Dinge in Ordnung bringen müssen“, kündigt | |
Stahr an. „Die Welt hat genug Krisen, sie braucht nicht auch noch eine | |
Krise bei den Grünen.“ | |
13 Dec 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://gruene.berlin/fileadmin/BE/lv_berlin/LV_Berlin_Dokumente/zentrale_D… | |
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## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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