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# taz.de -- Grünen-Chefin Nina Stahr: „Ich habe viel Rückhalt“
> Nina Stahr bleibt nach ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag dauerhaft
> Grünen-Landesvorsitzende. Ihr Hauptjob: den Landesverband wieder
> befrieden.
Bild: „Dieser Parteitag war wirklich keine Glanzleistung“: Nina Stahr bei d…
taz: Frau Stahr, vor knapp zwei Wochen mussten Sie Ihr Bundestagsbüro
räumen, weil Ihr Mandat bei der Wiederholungswahl wegfiel. War’s das mit
der Bundespolitik? Oder werden Sie 2025 wieder für den Bundestag
kandidieren?
Nina Stahr: Das ist ja vor allem erst mal eine Entscheidung der Partei.
…der aber Ihre eigene voran gehen müsste.
Stand jetzt gehe ich davon aus, dass ich, wenn die Partei mir ihr Vertrauen
schenkt, da auch noch mal antrete.
Sie mussten seit Dezember mit der Situation leben, dass – wirkliche –
Parteifreunde Ihnen ein Ausscheiden wünschten, damit Sie dauerhaft und
nicht nur vorübergehend wieder Landesvorsitzende sein sein können wie schon
bis 2021, was nur ohne Mandat geht. Haben Sie das auch als absurd
empfunden?
Genau so war es. Ich habe mich natürlich ein bisschen geschmeichelt
gefühlt, dass Leute sich wünschen, dass ich diesen Job hier länger mache.
Das ist ja erst mal ein Signal, dass ich auch in der Partei viel Rückhalt
habe. Ich muss ehrlich zugeben: Ich bin fast ein bisschen dankbar, dass mir
diese Entscheidung abgenommen worden ist, mein Bundestagsmandat aufzugeben
oder nicht. Denn die wäre verdammt schwierig gewesen.
Sie haben über den Grünen-Landesvorsitz gesagt: „Das ist ein unheimlich
schöner Job.“ Das klang fast schon so wie Franz Müntefering, der den
SPD-Vorsitz zu „schönstes Amt neben Papst“ hochstilisierte. So begeistert
klangen Grünen-Chefs nicht immer.
Ich würde weder Papst noch SPD-Vorsitzende sein wollen, aber ja, ich finde
tatsächlich, dass der Vorsitz der grünen Partei ein schöner Job ist.
Natürlich gibt es auch schwierige Momente, gerade jetzt im Nachgang der
Landesdelegiertenkonferenz im Dezember, das brauchen wir ja gar nicht zu
beschönigen. Da gab es Gespräche, die herausfordernd waren, keine Frage.
Was ich an der grünen Partei so schätze, ist, dass wir in der Sache
durchaus streiten, aber dabei auch ernsthaft Argumente austauschen und am
Ende eine gute, gemeinsame Lösung finden. Diese konstruktive Arbeitsweise
bei uns Bündnisgrünen schätze ich sehr und das macht dieses Amt tatsächlich
zu einem so schönen Job.
Dieses Miteinander-Streiten, das sie gerade so positiv dargestellt haben,
fand zumindest beim angesprochenen Parteitag und in seinem Vorfeld in einer
Atmosphäre statt, die nun wenig inhaltlich, sondern stark von
Diffamierungen geprägt war. Werbung für grüne Diskussionskultur war das
nicht.
Dieser Parteitag war wirklich keine Glanzleistung…
…was man noch eine Untertreibung nennen könnte…
…und natürlich müssen wir das aufarbeiten. Gleichzeitig nehme ich in der
Partei wahr, dass ein großer Wille da ist, das zu klären und nach vorne zu
schauen und zu sagen: wie können wir solche Vorkommnisse in Zukunft
verhindern?
Renate Künast [1][hat im Januar ein Ende der – ihre Wortwahl –
„Flügelscheiße“ gefordert]. Sie haben darauf verhalten reagiert und gesag…
Strömungen oder Flügel hätte jeder Sportverein und jede Kirchengemeinde.
Sie empfinden die Flügelbildung also nicht als negativ?
Das kommt drauf an, ob die Flügel sich gegenseitig befruchten. Treffen
unter Gleichgesinnten – nennen wir es dann Flügel – bieten einen offenen
Denkraum, wo man Dinge auch mal antesten und vordiskutieren kann, wo man
einfach mal laut denken kann, ohne dass einem das gleich auf die Füße
fällt.
Wenn Leute bei der CDU in dieser Weise zusammensitzen, sind die Grünen
schnell dabei, das als Hinterzimmerrunden oder Klüngeleien einzuordnen.
Die Frage ist: wie transparent ist es, dass Leute sich treffen? Und mache
ich das mit fünf Leuten, mit 50 oder 150? Da ist der Unterschied in der
Größe. Ich glaube tatsächlich, dass Parteiflügel als eine Art Thinktank
agieren können und dass sie eine Bereicherung für eine Partei sein können.
Aber es muss ein gegenseitiger Respekt dafür da sein, dass Menschen
unterschiedliche Erfahrungen und Lebensrealitäten mitbringen und
entsprechend unterschiedliche Schwerpunkte setzen möchten. Nur wenn man das
zusammenführt, kann man auch für die ganze Stadt ein Angebot machen. Ich
kann mir gut vorstellen, dass Renate Künast das auch in diese Richtung
gemeint hat.
Die Partei als Abbild der Stadt im Großen?
Der Kern von Politik ist ja immer, einen guten Kompromiss zu finden, und
das hat auch innerhalb einer Partei umso mehr Bedeutung, je größer sie
wird.
Die Berliner Grünen haben inzwischen 13.000 Mitglieder. Als Sie 2016
erstmals Parteichefin wurden, waren es noch 5.000.
Desto wichtiger ist es, auch innerhalb der Partei erst mal diesen
Kompromiss zu finden. Aber nicht immer ist der Kompromiss die Lösung. Das
eine oder andere muss man auch mal per Abstimmung klären. Bei der Frage
nach Waffenlieferungen in die Ukraine kann man kein „Vielleicht“ als
Antwort geben. Aber an ganz, ganz vielen anderen Stellen sind gute
Kompromisse möglich.
Mit der gescheiterten Wahl von Tanja Prinz und Ihrer Rückkehr in den
Landesvorsitz hat sich der Unmut ja nicht aufgelöst, der Prinz überhaupt
erst zur Kandidatin gemacht hatte. Das war unter anderem die Kritik, die
Berliner Grünen seien zu links orientiert und hätten bürgerliche Wähler
vergrätzt.
Wir haben mit Sicherheit noch ein Stück Weg zu gehen. Denn natürlich hat
sich im Umfeld dieses Parteitages einiges abgespielt, worüber wir jetzt
weiterhin in der Partei sprechen müssen. Und genau das tun wir jetzt. Ich
bin der festen Überzeugung, dass man Unstimmigkeiten und Verletzungen nur
ausräumen kann, wenn man miteinander spricht und nicht übereinander.
Durch den Streit im Dezember ist eine Gruppierung über die Partei hinaus
bekannt geworden, „Grüne Realos in Mitte“, kurz gr@m. Manche nennen sie
Ultra-Realos. Sie gehören selbst dem Realo-Flügel an: Wie ist ihr Blick auf
diese Gruppe?
Also, ich bin in erster Linie nicht Realo-Politikerin, sondern
Parteivorsitzende für die gesamte Partei.
Aber Sie sind als Vertreterin Ihres Flügels zur Co-Vorsitzenden neben
Philmon Ghirmai von der Parteilinken geworden.
Das stimmt. Aber ich habe gute Erfahrungen damit gemacht, nicht über
einzelne Personen in der Öffentlichkeit zu sprechen. Ich kenne viele Realos
aus Mitte, die eine sehr gute inhaltliche Politik machen. Ob die sich dann
der genannten Gruppe zugehörig fühlen, das müssen Sie die Leute jeweils
selber fragen.
Tanja Prinz hatte [2][im taz-Interview gesagt]: 18,4 Prozent – das Ergebnis
der Grünen bei der Berlin-Wahl – seien nicht das Ende der Fahnenstange. Wo
ist dieses Ende denn aus Ihrer Sicht?
Wir kämpfen natürlich für so viele Wählerinnen und Wähler wie möglich, und
natürlich sehe auch ich das so, dass 18,4 Prozent nicht das Ende der
Fahnenstange ist.
Vergleichsgröße ist gern Baden-Württemberg, wo die Grünen 2021 über 32
Prozent holten.
Da müssen wir schon genauer berücksichtigen, wie die Gemengelage in Berlin
ist. Hier sind linke Parteien nochmal deutlich diverser aufgestellt. Die
Linkspartei etwa spielt hier eine viel stärkere Rolle als in
Baden-Württemberg. Und das macht natürlich dann auch einen Unterschied für
Berliner Wahlergebnisse. Gleichzeitig teile ich nicht die Analyse, dass wir
nicht genug auf das bürgerliche Lager gucken. Denn ich finde, als Politik
ist es unsere Verantwortung, für alle Menschen in dieser Stadt ein Angebot
zu machen, die eine demokratische Partei wählen wollen.
Das war und ist ja genau die Kritik von Prinz und gr@m: Dass der
Landesverband eben nicht die ganze Stadt im Blick habe.
In der Analyse der der Wahl sehen wir doch: 2021 hatten wir unser
historisches bestes Ergebnis, 2023 haben wir minimalst verloren, während
die anderen beiden Parteien, die mit uns im Senat waren, deutlich mehr
verloren haben. Das zeigt, dass wir ein Stabilitätsfaktor in dieser
Koalition waren und durchaus für die ganze Stadt ein Angebot gemacht haben.
Was wir ehrlich besprechen müssen ist, dass es im Wahlkampf oft weniger um
unser eigentliches Programm ging, sondern wir uns vor allem von der CDU in
eine Ecke haben drängen lassen als Anti-Auto-Partei. Da hätten wir stärker
zeigen müssen: Wir sind eine Partei, die alle Menschen in dieser Stadt im
Blick hat. Das haben wir vielleicht tatsächlich nicht ausreichend
vermitteln können.
Wobei die Grünen ja durchaus einiges getan haben, diesem CDU-Bild zu
entsprechen: Die [3][Sperrung der Friedrichstraße fiel ja nicht vom
Himmel].
Ob die Friedrichstraße autofrei ist oder nicht, ist für einen großen Teil
der Menschen in dieser Stadt doch gar nicht entscheidend. Das ist vor allem
für die Gewerbetreibenden vor Ort wichtig. Da bin ich immer noch der
Meinung, dass man die Friedrichstraße sehr viel attraktiver gestalten kann,
als sie es derzeit als Durchgangsstraße ist. Wenn sie für die Menschen in
der ganzen Stadt attraktiver wird nutzt das wiederum den Gewerbetreibenden.
Es spielte aber keine Rolle, ob jemand tatsächlich selbst in der
Friedrichstraße unterwegs war oder nicht: Sie wurde als Symbol für grüne
Anti-Autopolitik wahrgenommen.
Vielleicht haben wir da zu sehr fokussiert auf diesen einen Punkt und nicht
geschafft zu zeigen, dass wir beim Verkehr das große Ganze im Blick haben.
Wenn ich mir anschaue, dass dieser schwarz-rote Senat jetzt an so vielen
Stellen Tempo 30 wieder zu Tempo 50 machen will, dann macht mich das
richtig sauer, denn uns geht es um Verkehrssicherheit für alle
Verkehrsteilnehmer*innen, gerade für die schwächsten. Das torpediert der
Senat, wenn er alle Fortschritte der letzten Jahre wieder zurückdreht.
Kritische Stimmen halten der Parteiführung auch vor, das Thema Innere
Sicherheit zu vernachlässigen.
Ich nehme das gar nicht mehr so wahr. Natürlich haben wir erkannt, dass
Innere Sicherheit ein Thema ist, das viele Menschen bewegt. Da haben wir
uns als Bündnisgrüne massiv weiterentwickelt. Aber was wir halt nicht
machen, ist billige Antworten zu geben. Wenn wir uns Silvester 2022/23
anschauen und die Antwort der CDU darauf ist, nach den Vornamen der Täter
zu fragen – das ist nicht unsere Politik. Übrigens: Einer unserer Berliner
Kandidat*innen für die Europawahl im Juni ist Polizist. Auch das zeigt,
dass wir dieses Thema ernst nehmen und viele Perspektiven auf innerer
Sicherheit in unserer Partei zusammenbringen.
Diese Vornamensdebatte schien schon fast vergessen, bis vorige Woche im
Abgeordnetenhaus klar wurde: Die angebliche Entschuldigung von Senatschef
Kai Wegner, damals noch CDU-Fraktionschef, die einiges bereinigen sollte,
hat es offenbar nie gegeben. Werden die Grünen da nochmal nachhaken?
Natürlich muss Kai Wegner da eine klare Position beziehen. Als Regierender
Bürgermeister einer Stadt wie Berlin, die ja auch von der Vielfalt lebt,
ist er da einfach in der Pflicht.
Wegner hat dazu im Abgeordnetenhaus gesagt: Keine Partei dieser Stadt sei
bei der jüngsten Wahl von mehr Menschen mit Migrationshintergrund gewählt
worden als die CDU, also gebe es keine Grund, sich zu entschuldigen.
Es mag sein, dass Menschen mit Migrationshintergrund die CDU gewählt haben.
Aber das entbindet einen doch nicht von der Verantwortung, das Signal
auszusenden, dass diese Menschen hier auch willkommen sind, und nicht bei
einem Vorfall wie der Silvesternacht sofort wieder die Schublade mit allen
Vorurteilen rausgezogen wird.
Es gibt aus dem Realo-Flügel heraus auch die Forderung, über die nächste
Spitzenkandidatur per Urwahl zu entscheiden und nicht bei einem Parteitag.
Unterstützen Sie das?
Mir ist diese Forderung bisher nicht bekannt. 2021 haben wir
pandemiebedingt die Liste auf einer Landesdelegiertenkonferenz aufgestellt.
Davor haben wir das üblicherweise bei einer Mitgliederversammlung gemacht,
was ja einer Urwahl nahe kommt.
Das stimmt ja so nicht: Da kamen vielleicht 15 bis 20 Prozent der
Mitgliedschaft – bei der SPD-Urabstimmung über die schwarz-rote Koalition
nahmen über 60 Prozent teil.
Wir diskutieren derzeit ohnehin über unsere Strukturen, aber das Thema
Urwahl wurde dabei bisher nicht eingespeist. Ganz ehrlich, wir sind im
Moment in der Mitte der Wahlperiode – das entscheiden wir dann zu gegebener
Zeit.
Nummer 1 Ihrer Kandidatenliste muss nach Statut immer eine Frau sein. Die
Kandidatur für den Posten des oder der Regierenden im Roten Rathaus aber
ist davon losgelöst: Könnte das 2026 ein Mann übernehmen?
Auch über das Thema Spitzenkandidatur sprechen wir zu gegebener Zeit.
15 Mar 2024
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## AUTOREN
Stefan Alberti
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