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# taz.de -- Vertreibung von Maasai in Tansania: Brutales Greenwashing
> Für den Naturschutz kooperiert Tansania mit Investoren, die
> Großwildjagden und Luxusurlaube anbieten. Die dort lebenden Maasai werden
> vertrieben.
Bild: Stehen den Interessen der tansanischen Regierung und deren Geschäftspart…
Schüsse in der Steppe. Männer in traditionellen Gewändern, Rinder und
Schafe flüchten. Auf einem Video sieht man die durch Streifschüsse
Verletzten, auch leere Patronenhülsen sind zu sehen. Über 800 Rinder hatte
Tansanias Wildtierschutzbehörde (Tanapa) bei diesem Einsatz im Januar im
Bezirk Kimotorok im Nordosten Tansanias konfisziert, acht Menschen wurden
festgenommen – es war ein erneuter Übergriff der Behörde auf die Maasai,
die hier am Rande des [1][Tarangire-Nationalparks] leben.
Ob in Kimotorok, Simajaro, Loliondo oder Ngorongoro in der Serengeti:
Überall dort, wo Tansanias Regierung ihre Schutzgebiete ausbaut, kommt es
seit zwei Jahren zu Übergriffen gegen die Maasai, die die Savanne als ihren
Lebensraum betrachten. Denn [2][Tansanias Präsidentin Samia Hassan] hat
große Pläne. Sie will die Landfläche, die unter Naturschutz steht,
erweitern: von derzeit 30 auf 50 Prozent des Territoriums. Damit wäre das
ostafrikanische Land weltweit führend in der Umsetzung internationaler
Naturschutzziele.
Aber weil sie diese Ziele auch finanzieren muss, hat Tansanias Regierung
Verträge geschlossen: etwa mit der Otterlo Business Corporation (OBC),
einer Jagdagentur aus den Emiraten, die seit den 1990er Jahren
Großwildjagden anbietet. In Loliondo investiert die Gesellschaft in eine
„Game Controlled Area“, ein Wildtierschutzgebiet, inklusive Luxushotels und
Flugplätzen.
Ein weiteres Abkommen gibt es mit der Agentur Blue Carbon aus Dubai, die in
großem Stil in Afrika Landflächen pachtet, um den ökologischen Fußabdruck
der Emirate wettzumachen. Demnach soll Blue Carbon in den südlichen
Hochebenen acht Prozent der Fläche Tansanias verwalten, um CO2-Projekte
umzusetzen. Denn die Wildtierschutzbehörde Tanapa, die bisher vor allem mit
deutschen Steuergeldern bezuschusst wurde, will sich in Zukunft auch über
CO2-Handel finanzieren.
## Die Maassai müssen draußen bleiben
Im Ngorongoro-Krater, rund 250 Kilometer vom Kilimanjaro, bauen chinesische
Investoren wiederum Touristencamps sowie Picknickanlagen mit
Aussichtsplattformen. Alles ist eingezäunt, Zugang haben nur Touristen, die
Eintritt bezahlen. Die Maasai, deren Vorfahren das Land gehörte, müssen
draußen blieben.
Dagegen wehren sie sich. Auf einem Video sieht man Hunderte Maasai in der
Tiefebene des Kraters versammelt. „Wir werden unsere Heimat nicht
verlassen!“, rufen sie im Chor. „Wir lassen uns nicht vertreiben!“
Die Bundesregierung und die Zoologische Gesellschaft Frankfurt (ZGF) sind
seit über 50 Jahren Partner. Deswegen geht die brutale Vorgehensweise auch
die Deutschen etwas an, findet Joseph Oleshangay: „Was hier betrieben wird,
ist kein Naturschutz“, so der Anwalt der Maasai, der selbst aus Ngorongoro
stammt. „Was unsere Regierung hier tut, ist reines Business.“
## Tiere geschützt, Jagen erlaubt
Oleshangay hat die Regierung verklagt. Seit über zwei Jahren geht er im
Gerichtsgebäude im tansanischen Arusha ein und aus.
Bei einigen der Verfahren wird ersichtlich, dass die Regierung ihn müde
machen will. Als Präsidentin Samia verkündete, sie wolle das von
Maasai-Gebiet in Liliondo zu einer Game Controlled Area machen, wo
Wildtiere geschützt sind, aber das Jagen erlaubt ist, zog Oleshangay im
Namen der dort lebenden Maasai vor Gericht.
Mit Erfolg: Im August 2023 suspendierte das Gericht Samias Entscheidung und
gab den Maasai im September Recht. Da erklärte die Präsidenten das Gebiet
prompt zum „Game Reserve“, wo auch Touristen, die explizit nicht jagen
wollen, Zugang erhalten. „Damit wurde das Gerichtsurteil wertlos“, so
Oleshangay.
Also musste Oleshangay ein neues Verfahren anstrengen. Die erste Anhörung
hätte eigentlich im Januar stattfinden sollen, wurde nun aber auf April
verschoben. „Verzögerungstaktik“, ist er sich sicher, „weil die Justiz
nicht unabhängig ist.“
## Das Leben der Maassai unerträglich machen
Solange die Verfahren andauern, patrouillieren in den umstrittenen Gebieten
bewaffnete Wildhüter. Wenn Maasai ihre Herden zu den Wasserstellen treiben,
werden diese konfisziert. Die Richter vertagten eine Entscheidung darüber,
ob dies rechtmäßig sei, ebenfalls auf April. Über 17.000 Nutztiere, so der
Anwalt, seien in Ngorongoro beschlagnahmt worden – quasi das ganze Vermögen
des Hirtenvolks. „Die Tiere wurden für Profit verkauft“, sagt Oleshangay.
Während der Anwalt in Arusha vor Gericht kämpft, schafft die Regierung in
der Savanne Tatsachen. Es wurden sämtliche staatliche Leistungen in den
Maasai-Gebieten eingestellt, um ihnen das Leben so schwer wie möglich zu
machen: Straßen werden nicht mehr repariert, kaputte Klassenzimmer nicht
mehr instandgesetzt, die Tanapa verbietet den Maasai, ihre Äcker zu
bestellen. Dies führt zur Unterversorgung mit selbst angebauten
Lebensmitteln. Die Preise für importierten Reis oder Bohnen sind enorm
gestiegen.
Selbst die medizinische Versorgung wurde eingestellt. Seit fast 40 Jahren
betreuen die Ärzte und Piloten des medizinischen Flugdienstes, einer
katholischen Hilfsorganisation, die Maasai in den abgelegenen Savannen.
Doch im April 2022 entzog die Regierung den Piloten die Fluglizenz – „aus
uns unbekannten Gründen“, wie die katholischen Ärzte in einem vertraulichen
Bericht angeben, der der taz vorliegt.
„Menschen sind gestorben“, so der Bericht. Auf 146 Notfallanrufe konnten
die Piloten nicht reagieren. Über 30.000 Kinder wurden nicht geimpft, mehr
als 9.000 schwangere Frauen konnten keine Klinik erreichen. „Über 100.000
Maasai haben keine einzige Schmerztablette“, so Oleshangay.
## Einzelschicksale mit erschreckender Systematik
Er berichtet von einer Schwangeren, die trotz Geburtskomplikationen mit dem
Auto drei Tage lang zur nächsten Klinik fahren musste. „Sie starb dort auf
dem Parkplatz.“ Ein Baby sei nun HIV-positiv, weil während der Geburt keine
Medikamente verfügbar waren, um die HIV-Übertragung von der Mutter auf das
Kind zu verhindern – lauter Einzelschicksale, die im Gesamtbild eine
erschreckende Systematik offenbaren.
Laut internationalen Gesetzen dürfen Schutzgebiete nur mit Einwilligung der
Bevölkerung errichtet werden. Tansanias Regierung erklärte, sie habe den
Maasai Häuser, Schulen, Krankenhäuser und Siedlungen gebaut. Doch von
„Freiwilligkeit“, dorthin zu ziehen, könne keine Rede sein, so der Anwalt:
Ihnen werde vielmehr „das Leben in den angestammten Gebieten unmöglich
gemacht“.
Während die Maasai aus den Savannen vertrieben werden, rücken Lastwagen
vor. Die Safari-Agentur OTB hat im Januar einen Konvoi voller Container aus
Dubai nach Loliondo verschifft, um Bürogebäude hochzuziehen.
Um auf die Lage der Maasai aufmerksam zu machen, war Anwalt Oleshangay im
vergangenen Jahr in Europa unterwegs, in Brüssel und Berlin. Bei der ZGF in
Frankfurt am Main, die die deutschen Projekte in Tansania umsetzt, bekam er
keinen Termin. Er demonstrierte daraufhin vor deren Hauptsitz, direkt neben
dem Haupteingang des Zoos.
## Von Deutschland besonders enttäuscht
Die Lobbytour hat Wirkung gezeigt. Die Menschenrechts-NGO Amnesty
International forderte von Tansanias Regierung, den „Crackdown“ gegen die
Maasai zu stoppen. Human Rights Watch mahnte, die „gewaltsamen
Vertreibungen“ zu unterbinden.
Im Dezember forderte das EU-Parlament Tansanias Regierung „nachdrücklich“
auf, die „gewaltsamen Vertreibungen von Maasai-Gemeinschaften sofort zu
stoppen, um alle Maßnahmen zu vermeiden, die negative Auswirkungen auf das
Leben, den Lebensunterhalt und die Kultur dieser Gemeinschaften haben“.
Wenige Tage später erhielt Oleshangay den Menschenrechtspreis der Stadt
Weimar.
Anfang Februar reiste nun eine Delegation der Unesco, die die Serengeti und
den Ngorongoro als Welterbe schützt, nach Tansania. Sie wollten sich ein
Bild machen. Doch die Maasai wurden nicht zum Gespräch eingeladen. „Die
Delegation wurden von Regierungsfahrzeugen abgeholt und in schicke Hotels
in Arusha gebracht“, kritisieren diese in einem offenen Brief.
Von den Deutschen ist der Anwalt besonders enttäuscht. Er zeigt der taz den
Landnutzungsrahmenplan für Ngorongoro von 2023, der die Landrechte der
nächsten 20 Jahre regelt. Auf diesem sind sämtliche Maasai-Siedlungen und
Weidegebiete verschwunden. Dabei leben dort fast 100.000 Menschen.
## Was hat Deutschland da finanziert?
Auf der Titelseite des 250-Seiten-Dokuments prangt das Logo der Frankfurter
ZGF. Dabei hatte diese bereits 2022 erklärt, als die ersten Vertreibungen
in Loliondo publik wurden: „Die ZGF ist nicht an den Arbeiten zur
Grenzmarkierung in Loliondo beteiligt oder unterstützt diese.“ Im Bezirk
Ngorongoro wurden nun diese Grenzziehungen offenbar aber durchaus
finanziert.
Verwaltet werden die Gelder von der Entwicklungsbank KfW, der Kreditanstalt
für Wiederaufbau. Diese gibt auf taz-Anfrage an, die Bundesregierung habe
insgesamt 29,5 Millionen Euro für den Serengeti-Nationalpark und umliegende
Gemeinden bereitgestellt, auch für die Gebiete Loliondo und Ngorongoro.
Die ZGF gibt rund eine Million Euro dazu, aus eigenem Stiftungsgeld. Laut
KfW wurden damit Straßen, Schulen und Gesundheitseinrichtungen gebaut. Die
Tanapa bekam Fahrzeuge, Ersatzteile und Verwaltungsgebäude.
Von diesen knapp 30 Millionen Euro flossen 220.000 Euro in den
Landnutzungsplan. Das Geld wurde im Januar 2023 bereitgestellt, dabei waren
zu jenem Zeitpunkt die Übergriffe bereits bekannt. Die ZGF erklärt auf
taz-Anfrage, der Landnutzungsplan sei ein reines Planungsdokument: „Er
regelt weder die Ausweisung eines Schutzgebietes, noch beschränkt er den
Zugang zu Ressourcen.“
## Kein Geld für Waffen, aber für Fahrzeuge
Die Mitglieder des Ngorongoro-Bezirksrates sehen das anders und lehnten den
Plan am 19. Mai 2023 in einer Abstimmung mehrheitlich ab. Das deutsche
Entwicklungsministerium BMZ erklärt auf taz-Anfrage, nachdem der Bezirksrat
den Plan „mehrheitlich abgelehnt“ habe und es zudem „Kritik von
Menschenrechts- und Maasaivertreterinnen und -vertretern an dem Plan gab“,
habe die Bundesregierung die 220.000 Euro „bis auf Weiteres suspendiert“.
Die deutsche Bundesregierung stehe „in kontinuierlichem Dialog mit der
tansanischen Regierung zu den Vorwürfen über Menschenrechtsverletzungen,
den Entzug sozialer Dienstleistungen und über Zwangsumsiedlungen“ und
setzte sich für einen „Dialogprozess“ ein. Man wolle eine „friedliche, f…
alle Seiten befriedigende Lösung“ finden.
220.000 Euro sind nun allerdings nur weniger als ein Prozent der
Gesamtfördersumme von 30 Millionen Euro. Oleshangay sagt, das BMZ habe ihm
zwar im September versichert, dass „alle Gelder eingestellt wurden und sie
das Vorgehen der tansanischen Regierung nicht weiter unterstützen“.
Doch die übrigen Projekte in der Serengeti werden nun weiter gefördert. Der
Anwalt konstatiert ernüchtert: „Die Deutschen spendieren vielleicht keine
Waffen, um die Maasai zu töten. Doch sie statten die tansanischen Behörden
mit Fahrzeugen aus, die die Wildhüter dorthin transportieren, wo sie die
Maasai töten.“
26 Feb 2024
## LINKS
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Tarangire-Nationalpark
[2] /Praesidentin-Mama-Samia-in-Tansania/!5808657
## AUTOREN
Simone Schlindwein
## TAGS
Tansania
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