Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Maasai in Tansania: Tourismus verdrängt Lebensraum
> Im Norden Tansanias soll ein Wildtiergehege entstehen, damit Touristen
> auf Safari gehen können. Maasai, die dort leben, will die Regierung
> loswerden.
Bild: Maasai in Kenia solidarisieren sich mit den Maasai in Tansania und protes…
Kampala taz | Yannick Ndoinyos Stimme bricht, als er von den brutalen
Ereignissen der vergangenen Wochen in Tansania berichtet. Rund 165.000
Maasai, dem Nomadenvolk im Norden des Landes, droht die Vertreibung. Armee
und Polizei seien Anfang Juni in ihr Siedlungsgebiet eingedrungen und
hätten sie misshandelt. „Sie wollten mich auch festnehmen“, berichtet
Ndoinyo, Vertreter der Maasai, der taz am Telefon. Er hält sich an einem
geheimen Ort auf, versteckt sich. „Ich bin gerade so davongekommen“, sagt
er.
Fotos zeigen: Einschusswunden am Kopf und Rücken, blutige Prellungen von
Schlagstöcken. Auf einem Video sieht man die Maasai im Sitzstreik in der
Savanne. Von Weitem rücken die Sicherheitskräfte an. Plötzlich wird
gefeuert, Kugeln zischen umher, dann bricht das Video ab.
Die Region, in der die Maasai siedeln, heißt Loliondo und liegt nahe des
berühmten [1][Serengeti Nationalparks]. Aus Loliondo soll nun ein
Wildtiergehege werden. Die Jagdagentur Otterlo Business Corporation (OBC),
die Mohammed Abdulrahim Al Ali, Vizeverteidigungsminister aus Dubai gehört,
hat die Region seit 1995 gepachtet. OBC hat auf diesem Gebiet
Luxusunterkünfte und ein Flugfeld errichtet, auf dem die reichen Scheichs
aus den Emiraten zur Wildtierhatz einfliegen.
OBC zahlt an [2][Tansanias Wildtierschutzbehörde] Lizenzen für jedes
erlegte Tier. Ein Megageschäft. Der Wildtiertourismus ist eine der
Haupteinnahmequellen des tansanischen Staatshaushalts. Die Firma gilt zudem
als Sponsor der Regierungspartei CCM, die seit Jahrzehnten an der Macht
ist. Das 1.500 Quadratkilometer große Gebiet Loliondo aber ist ein
Migrationskorridor für Wildtiere und dient den Maasai als Grasland für die
Rinderherden in der Trockenzeit. Dieses Nutzungsrecht steht ihnen
gesetzlich zu.
## Von Freiwilligkeit kann keine Rede sein
Damit nicht genug, will die Regierung außerdem, dass die Maasai das
Ngorongoro-Schutzgebiet südlich von Loliondo verlassen und „freiwillig“
in die 600 Kilometer entfernte Siedlung Msomera ziehen. Dort seien von der
Regierung „moderne Steinhäuser“ mit Schulen und Krankenhaus erreichtet
worden, heißt es in einem Onlinevideo des tansanischen Geschäftsverbands.
Von Freiwilligkeit kann aber keine Rede sein. Gerade einmal 27 Familien
sind bislang weggegangen. Den 300 Familien, die geblieben sind, würde nun
jede staatliche Hilfe samt Bildung und Gesundheitsversorgung verweigert.
Die Regierung behauptet, sie stütze sich bei dem Umsiedlungsplan auf
Naturschutzorganisationen, die die zunehmende Zahl von Menschen und Vieh
als Gefahr für das Ngorongoro-Schutzgebiet sehen.
Seit 2019 spitzt sich der Konflikt zu, und seit dem 7. Juni diesen Jahres
sind nun Soldaten der Armee, Spezialkräfte der Polizei und Vertreter der
Wildtierschutzbehörde in der Region. Pindi Chana, Tansanias Ministerin für
natürliche Ressourcen und Tourismus, hatte bereits angekündigt, sie werde
das Gebiet zu einem „Game Reserve“ upgraden – einem privaten Nationalpark,
in dem Besucher Tiere beobachten und manchmal sogar jagen dürfen. Dabei ist
das laut Wildtierschutzgesetz von 2009 verboten. Das Gebiet steht den
Maasai gesetzlich als Weideland in der Trockenzeit zu.
Als die Maasai-Vertreter am 9. Juni den lokalen Regierungsvertreter
besuchten, wurden 25 von ihnen verhaftet. Als die Sicherheitskräfte am 10.
Juni anfingen, Pfähle in den Boden zu rammen, demonstrierten die Maasai
dagegen. Die Polizei feuerte Tränengas und versuchte, die Proteste mit
Gewalt aufzulösen. 30 Maasai wurden zum Teil schwer verletzt. Bei den
Protesten sei ein Polizist durch einen Pfeil getötet worden, so die
Regierung. Die am Tag zuvor verhafteten Maasai-Chefs wurden daraufhin wegen
Mordes angeklagt.
Sicherheitskräfte wurden nun losgeschickt, um in der Region nahe der Grenze
zu Kenia alle „illegalen Einwanderer“ festzunehmen – ein Begriff, der in
Tansania für die nomadischen Völker der Maasai benutzt wird, die auch im
benachbarten Kenia und Uganda vertreten sind. „Sie gingen von Hütte zu
Hütte“, berichtet Ndoinyo: „Gestern haben sie selbst den Pastor in der
Kirche verhaftet.“ Über 100 Maasai sind seitdem nach Kenia geflohen, viele
müssen sich dort medizinisch behandeln lassen. Insgesamt sitzen über 60
Maasai mittlerweile in Haft.
## Patroullierende Wildhüter
In dem nun abgesteckten Gebiet patrouillieren jetzt die Wildhüter der
Naturschutzbehörde. Sie beschlagnahmen jede Kuh und jedes Schaf, das dort
grast. Über tausend Nutztiere wurden in den vergangenen Wochen konfisziert:
„Die Wildhüter verlangen umgerechnet 40 Euro pro Vieh, wenn wir es
zurückhaben wollen“, so Ndoinyo.
Das könne sich niemand leisten. „Ohne unsere Kühe verlieren wir unsere
Kultur.“ Die Maasai fürchten, ihre Herden würden bald endgültig sterben,
denn [3][die Trockenzeit setzt bald ein], doch das Grasgebiet mit den
letzten Wasserreserven ist für sie nun verbotene Zone.
Ndoinyo hofft auf internationale Hilfe. Über 3 Millionen Menschen haben
eine Onlinepetition unterzeichnet. In einem auch an die Europäische Union
adressierten offenen Brief der Maasai-Chefs heißt es: „Wir können nirgendwo
anders hin. Der Verlust dieses Landes wird zum Aussterben unserer
Gemeinschaft führen.“
2018 hat der ostafrikanische Gerichtshof (EACJ) der tansanischen Regierung
alle Umsiedlungspläne untersagt, solange die Klage der Maasai dagegen noch
anhängig sei. Ein Urteil war für Juni angekündigt, wurde nun auf September
vertagt. Maasai-Anwälte sprechen von einer „politischen“ Entscheidung.
Ein Expertenkomitee der Vereinten Nationen kam im Februar zum Schluss:
Tansanias Regierung habe keine Einverständniserklärung der Maasai für ihre
Naturschutzpläne eingeholt, was gegen internationales Recht verstoße. Die
Pläne würden das „physische und kulturelle Überleben“ der Maasai „zum …
des Naturschutzes“ gefährden.
Die Unesco stellte daraufhin klar, sie habe zu keinem Zeitpunkt um die
Vertreibung der Maasai gebeten. Die UN-Agentur respektiere die Rechte der
indigenen Völker und fordert, „eine Lösung zu finden, bei der die Natur und
die Menschen gewinnen“.
## Tansanias deutsche Partner
Die Maasai geben den Deutschen eine Mitverantwortung an ihrer Situation.
Denn diese sind seit über 50 Jahren Tansanias engste Partner in Sachen
Naturschutz. Schon der deutsche Veterinär und Tierfilmer Bernhard Grzimek
hatte sich in den 1950er Jahren im Rahmen seines Engagements für die
Serengeti dafür eingesetzt, dass das Land in Ngorongoro nicht den Maasai
zugesprochen wird. Sowohl Bernhard Grzimek als auch sein Sohn Michael, der
1959 mit dem Flugzeug abstürzte, sind in Ngorongoro beerdigt. Neben dem
Eingang des Naturschutzgebiets prangt eine Gedenktafel für den deutschen
Tierschützer.
Die Zoologische Gesellschaft Frankfurt (ZGF), deren Mitbegründer und
Präsident Grzimek war, unterstützt bis heute im Auftrag der Bundesregierung
mit deutschen Steuergeldern Tansanias Naturschutzbehörde. Laut Angaben des
Ministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zahlt sie
deren Ausstattung vom Allradfahrzeug über Rangeruniformen bis zum Laptop.
Die Zoologische Gesellschaft erklärte, sie sei „schockiert“ über die Gewa…
gegen die Maasai und werde die Lage „beobachten“.
„Die ZGF verfolgt noch immer Grzimeks Ideologie, nach der die Natur ohne
die Menschen existieren soll“, behauptet Ndoinyo. „Dabei gehören Mensch und
Natur zusammen“, sagt der Maasai-Chef, der selbst lange für die ZGF
gearbeitet hat und in den Nullerjahren für die Gemeindeprojekte rund um
die Serengeti zuständig war. Funktioniert habe das nie sehr gut, erzählt
Ndoinyo: „Die Maasai hassen die ZGF, weil sie ihnen die Serengeti
weggenommen haben, unsere Heimat.“
Auch die Berliner Menschenrechtsorganisation Survival International gibt
Deutschland eine Mitschuld. „Die tansanische Regierung hat das Gefühl, dass
ihre wichtigsten Geldgeber ihre Idee unterstützten, dass die Maasai dem
Wildtierschutz weichen sollen.“ Von der Bundesregierung gibt es zu den
Ereignissen der letzten Wochen bisher keine Stellungnahme. In einem
Antwortschreiben an Survival teilte sie mit, Tansanias Regierung darauf
hingewiesen zu haben, „dass internationale Sozial-, Umwelt- und
Menschenrechtsstandards sowie Rechtsstaatsprinzipien beachtet werden
müssen“.
23 Jul 2022
## LINKS
[1] /Militarisierter-Naturschutz-in-Afrika/!5671721
[2] /Wildtierschutz-in-Tansania/!5040379
[3] /Maasai-in-Kenia/!5741034
## AUTOREN
Simone Schlindwein
## TAGS
Afrika
Vertreibung
Tansania
Tourismus
UN-Menschenrechtsrat
Tansania
Tansania
Tansania
Afrika
Schwerpunkt taz folgt dem Wasser
Kenia
Löwen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Vertreibung von Maasai in Tansania: Brutales Greenwashing
Für den Naturschutz kooperiert Tansania mit Investoren, die Großwildjagden
und Luxusurlaube anbieten. Die dort lebenden Maasai werden vertrieben.
Resolution des Europäischen Parlaments: Gegen die Vertreibung der Maasai
Das Europäische Parlament hat in einer Resolution die Vertreibung von
Maasai in Tansania verurteilt. Diese sollen einem Naturschutzgebiet
weichen.
Nach den Wahlen in Kenia: Ostafrika hält den Atem an
Drohen in Kenias Ausschreitungen – wie nach der Wahl 2007? Die Nachbarn
wappnen sich jedenfalls. So werden Warenströme teils umgeleitet.
Ökokonferenz in Ruanda: Es geht nicht um die Menschen
Die Ziele der Naturschutzkonferenz im ruandischen Kigali sind ambitioniert.
Doch das westliche Konzept unberührter Parks passt nicht zu Afrika.
Mara-Fluss in Ostafrika: Auf dem Trockenen
Das Mara-Flussbecken in Kenia und Tansania trocknet immer häufiger aus. Vor
allem die Frauen der Maasai sollen nun Wasserschützerinnen werden.
Safari-Tourismus in Kenia: Die Tiere sind jetzt unter sich
Weil Corona den Tourismus einbrechen ließ, herrscht nun Stille im beliebten
Maasai-Mara-Nationalpark. Ein Segen ist das jedoch nur für die Jagdtiere.
Wildtierschutz in Tansania: Lebende Wände gegen Großkatzen
Wenn Löwen Viehherden angreifen, droht ihnen die Jagd durch die Maasai.
Eine natürlich wachsende Einzäunung soll nun für Frieden sorgen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.