# taz.de -- Klimawandel in Bayern: Das Skifahren sagt leise Servus | |
> Als erstes Gebiet in den bayerischen Alpen schließt Schönau seine Piste, | |
> Söder und Aiwanger zum Trotz. Gegen Wärme helfen auch keine | |
> Schneekanonen. | |
Bild: 1957 gab es noch genug Schnee am Jenner, Skifahren war aber schon damals … | |
SCHÖNAU AM KÖNIGSSEE taz | Früher, erinnert sich Rudi Keller, 83 Jahre alt, | |
war der Jenner noch ein richtiger Skiberg. „Wir sind immer am Morgen vor | |
neun rauf. Da war der Schnee noch so frisch. Da war es schön, Ski zu | |
fahren.“ | |
Der Architekt in Rente hat sein Leben in Schönau am Königssee verbracht, | |
der Jenner ist hier der Hausberg. Schönau liegt noch ein paar Kilometer | |
südöstlich von Berchtesgaden, im hintersten Zipfel Deutschlands. „Wir sind | |
da alle fleißig gefahren, meine Generation hat mit dem Jenner gelebt.“ | |
Jetzt, in der zweiten Februarhälfte 2024, lassen sich Wanderer und | |
Ausflügler an der auf 630 Metern liegenden Talstation der Jennerbahn nach | |
oben bringen, doch Skifahrer sind kaum da. Es hat frühlingshafte 12 Grad. | |
Ein Plakat verheißt: „Alles geht am Jenner.“ Doch die Tage sind gezählt, … | |
dem 4. März gilt: Skifahren geht nicht mehr. | |
Die Schneekanonen stellen dann die Produktion von Kunstschnee ein, die | |
Piste wird nicht mehr präpariert. Jetzt zeigt sie sich noch als weißes | |
Band, doch bald wird es am Jenner braun sein und irgendwann wohl grün. Ein | |
Skigebiet wird aufgegeben, das erste in den bayerischen Alpen. Servus. | |
## Immer weniger Schnee | |
Und damit ist der Jenner ein Symbol, ein gewaltiger Einschnitt. Eine Folge | |
des Klimawandels – es gibt immer weniger Schnee und immer wärmere | |
Temperaturen, die auch die Arbeit von Schneekanonen binnen Minuten | |
schmelzen lassen würden. An der Talstation hat der Skiverleih und | |
Sportladen Räumungsverkauf, er macht dicht. Niemand will Skier leihen, wenn | |
es keine Piste mehr gibt. | |
Musste das so kommen? Und was macht das mit einem früheren Skiort und | |
seinen 5.700 Einwohnern? Im Besprechungszimmer der Berchtesgadener Bergbahn | |
AG, die die Jennerbahn betreibt, sitzt Thomas Mühltaler. Er ist der | |
Vorstand, verantwortlich für das Zusperren des Skigebietes, und sagt: „Die | |
Nachfrage ist nicht da.“ | |
Nur 10 bis 30 Einheimische würden am Tag zum Skifahren kommen. Ähnlich sei | |
es bei den vielen Touristen – alle wollen wandern, Tourenski gehen, einfach | |
die Landschaft genießen. Hier ist er zu sehen, der Trend zu dem, was man | |
„sanften Tourismus“ nennt. | |
Die Bergbahn wird im Winter jährlich mit 1 bis 1,5 Millionen Euro | |
bezuschusst. Mit Geld, das im Frühjahr, Sommer und Herbst verdient wird. | |
„200.000 glückliche Gäste fahren im Jahr mit dieser Bahn“, berichtet | |
Mühlthaler. Fast keiner davon ist Skifahrer. | |
## Bayerns Staatsregierung rüstet auf | |
Wissenschaftler um den Forscher Hugues François haben berechnet, dass bei | |
einer Erderwärmung um zwei Grad im Vergleich zum Niveau vor der | |
Industrialisierung die Hälfte der Skigebiete in Europa ein sehr hohes | |
Risiko für Schneemangel haben werden. So berichtet es [1][tagesschau.de] | |
unter Berufung auf den Forschungsbericht in der Zeitschrift Nature Climate | |
Change. Die künstliche Beschneiung nützt demnach nichts, weil es nicht kalt | |
genug ist. Die betroffenen Regionen sollten ihre „hohe Abhängigkeit“ vom | |
Skitourismus überdenken. | |
Seit langer Zeit wird das landauf, landab gesagt – von Wissenschaftlern, | |
Naturschützern und den allermeisten Politikern. In den bayerischen Alpen | |
liegen die meisten Skigebiete in Höhenlagen unter 2.000 Metern. Einer aus | |
der Seilbahn-Szene sagt: „Die wollen aber immer weitermachen mit immer mehr | |
Schneekanonen und mehr Lifte. Auch wenn es am Ende nichts bringt.“ | |
[2][Die bayrische Staatsregierung aus CSU und Freien Wählern fördert das]. | |
Es gibt satte Zuschüsse für den Bau neuer Beschneiungsanlagen und neuer | |
Bergbahnen. Die Begründung: Man müsse den Skitourismus erhalten, damit | |
nicht alle Urlauber nach Österreich oder Südtirol abwandern. | |
Auch das Jennergebiet wurde aufgerüstet, 2019 wurden eine neue, topmoderne | |
Bahn eröffnet und weitere Beschneiungsanlagen in Betrieb genommen. 57 | |
Millionen Euro hatte das gekostet, 10,5 Millionen davon kamen vom | |
Freistaat. Oben auf der Bergstation hat man den großen Gastrobetrieb | |
„Jenneralm“ hingestellt. | |
## Mensch und Natur auf engem Raum | |
Toni Wegscheider, 45 Jahre alt, stammt aus Schönau und lebt in Schönau. Er | |
sagt: „Das war hier alles völlig überdimensioniert angelegt.“ Wegscheider | |
gehört zum Landesbund für Vogel- und Naturschutz (LBV) und hat in Bayern | |
zeitweise gewisse Berühmtheit erlangt. [3][Er und Helfer hatten vor drei | |
Jahren die im Freistaat bis dahin ausgestorbenen Bartgeier im Nationalpark | |
Berchtesgaden ausgewildert]. | |
Den elterlichen Hof hat Wegscheider übertragen bekommen. Mit seiner Frau | |
vermietet er zehn Ferienwohnungen, verpachtet die Wiesen, arbeitet für den | |
LBV, ist Wanderführer. Er sagt: „Ich bin hier der grüne Spinner.“ | |
Schadenfroh will er nicht sein, doch: „Das Aus für den Skibetrieb am Jenner | |
hat der LBV schon 2018 vorhergesehen.“ | |
Schönau mit dem Jenner und dem bekannten Königssee, die Stadt Berchtesgaden | |
sowie der Watzmann liegen nur ganz wenige Kilometer auseinander. Der | |
Nationalpark Berchtesgaden grenzt direkt an – dort gibt es strenge Regeln | |
für Besucher, die Natur soll sich ungestört entwickeln. Die Menschen leben | |
allermeist im Tal. Jeder scheint da jeden zu kennen, das ist mitunter eng. | |
Am Königssee werden die Massen durchgeschleust: Bootsfahrt zur Kirche St. | |
Bartholomä, Rückkehr und dann rein in die Gassen mit Billig-Souvenirs. Man | |
erfährt, welche Anwesen am See gerade verrotten in der Hoffnung, den Grund | |
lukrativ an einen Investor verkaufen zu können, für ein großes Hotel oder | |
so. | |
## Erfolgreicher Naturschutz | |
Die Jennerbahn ist nur wenige Schritte entfernt. Rita Poser vom Bund | |
Naturschutz Berchtesgaden ist dort zu treffen. Sie erzählt, was | |
Umweltschützer alles durchgesetzt haben: Dass man die neue Bahn auf der | |
bestehenden Trasse gebaut und keine neue in den Berg geschlagen hat. Dass | |
an der Bergstation keine lärmenden Partys gefeiert werden. Allerdings | |
besitzt die „Jenneralm“ oben ein Trauzimmer für romantische Hochzeiten und | |
einen Seminarraum für Firmenveranstaltungen. „Mit Bergstation hat das | |
nichts zu tun“, kritisiert Poser. | |
Es gibt auch Leute wie Beppo Maltan, der das Skigebiet erhalten möchte. | |
„Ich bin komplett gegen eine Schließung“, sagt der Schönauer Gemeinderat | |
und Fraktionssprecher der Freien Wähler. Er ist damit [4][ganz auf Linie | |
seines Parteifreundes Hubert Aiwanger], dem bayrischen Wirtschaftsminister. | |
„Riesige Fehler“ seien gemacht worden, sagt Maltan, und zwar „vor lauter | |
Größenwahn“. | |
Aufs Korn nimmt er vor allem die drei österreichischen Investoren, die die | |
Bahn gekauft hatten. Maltan, 68, ist ein rustikaler Typ, hatte einen | |
Malerbetrieb, trägt Spitzbart und Baseballkappe. Die Österreicher, so | |
kritisiert er, hätten „an den großen Skizirkus gedacht“. Man hätte viel | |
günstiger bauen können, dann wäre jetzt mehr Geld da. | |
Schönau und der Jenner müssen sich aber wohl keine Sorgen machen, der | |
Tourismus boomt. Die Bergbahn mit ihren Zehner-Kabinen ist gut besetzt und | |
surrt nach oben. Dort auf der Bergstation in der „Jenneralm“ sind die | |
Tische mittags voll mit Gästen. Es gibt einen tollen Panoramablick auf die | |
mächtigen Berge. Draußen auf der Terrasse sitzen die Menschen in Scharen in | |
der Sonne, manche im T-Shirt. Sie trinken Cappuccino, Saftschorle und essen | |
– zwei Weißwürstl mit Brezn für 8,50 Euro. | |
Das läuft hier fast das ganze Jahr so. An Weihnachten 2023 hatte es 18 Grad | |
in Schönau. Ans Skifahren denkt da keiner mehr. | |
24 Feb 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.tagesschau.de/wissen/klima/schnee-alpen-skigebiete-klimawandel-… | |
[2] /Zukunft-des-Skiports/!5905315 | |
[3] /Biologe-ueber-Bartgeier-in-Bayern/!5854996 | |
[4] https://www.deutschlandfunk.de/interview-mit-hubert-aiwanger-fw-wirtschafts… | |
## AUTOREN | |
Patrick Guyton | |
## TAGS | |
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