# taz.de -- Zukunft des Skiports: Plan B für die Freiheit | |
> Der Winter liefert absurde Bilder von Kunstschneepisten. Wintersportorte | |
> setzen weiter auf technische Beschneiung – trotz Alternativen. | |
Bild: Rodel gut dank Schneekanonen: Kunstschneehang in Garmisch-Partenkirchen | |
Es geht um Freiheit. Natürlich. Eine Nummer kleiner geht es in dieser | |
aufgeregten Zeit nicht. Fast scheint es, als gäbe es ein Grundrecht aufs | |
Skifahren in den bayerischen Bergen. So hört es sich an, wenn Bayerns | |
Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger über den Wintersport redet. Dieses | |
Grundrecht ist bedroht. Durch den Klimawandel, klar. Aber auch durch all | |
jene, die eine künstliche Beschneiung von Pisten auch wegen des dafür | |
benötigten Energieaufwands ablehnen. Gäbe es keinen Kunstschnee, das Land | |
hätte sich längst an Bilder von grünen Hängen unter stillstehenden | |
Liftanlagen gewöhnt. | |
Solche kommen in diesem milden Winter auch aus Skigebieten, die den | |
Klimawandel schon seit Jahren vor allem mit Schneekanonen bekämpfen. Es ist | |
zu warm für die Schneeproduktion gewesen. Und es regnet zu viel, so dass | |
der schon produzierte Schnee noch schneller zu Wasser wird. „Wir haben den | |
Kampf gegen das Wetter verloren“, sagte Martina Betz, die Chefin des | |
Organisationsteams der [1][Weltcup-Rennen in Garmisch-Partenkirchen], als | |
sie die Absage einer für Ende des Monats geplanten Abfahrt und eines | |
Riesenslaloms verkünden musste. Die Diskussion über [2][die Zukunft des | |
alpinen Skisports in Zeiten der Erderhitzung] läuft auf Hochtouren. | |
„Bei uns geht ja zurzeit gar nichts“, meint Xaver Drexler, der Vorsitzende | |
des SC Bodenmais im Bayerischen Wald. Der Skibetrieb am Großen Arber ist in | |
dieser Saison noch gar nicht aufgenommen worden. Er kann sich erinnern, | |
dass es das schon einmal gegeben hat. In den 80er Jahren habe es einen | |
milden Winter gegeben. Das war vor der Ära der künstlichen Beschneiung. Bis | |
ins Tal abfahren, das war nicht immer möglich. | |
„Aber dass oben nichts geht, das ist schon neu“, meint Drexler. Oben, das | |
ist auf etwa 1.400 Metern Höhe am Großen Arber, dem höchsten Berg des | |
Bayerischen Waldes. Für ein Mittelgebirge gilt der Arber als überaus | |
schneesicher. Die Tourismusorte wie Bodenmais werben sogar mit der | |
Schneesicherheit. Doch in diesem Winter sind auch die sonst so beliebten | |
Höhenrouten für Langläufer am Bretterschachten nicht gespurt. Zu warm, zu | |
regnerisch. | |
Für den Skiclub, der die Chamer Hütte im Arbergebiet betreibt und einen | |
Teil seiner Einnahmen durch die Bewirtschaftung erzielt, wird sich der | |
milde Winter auch im Jahresabschluss negativ bemerkbar machen. Bis dato war | |
das Ende des Skiports noch kein Thema im Osten Bayerns. Die Jugend in der | |
Region habe sich keineswegs von den Brettern verabschiedet. Immer mehr | |
junge Leute würden sich für das Tourengehen begeistern, so Drexler, für das | |
Aufsteigen ohne Liftanlage und das Abfahren auf nicht präparierten Pisten. | |
Das geht schon gar nicht in diesem schneearmen Winter. Und jetzt? „Wir | |
machen Training in der Sporthalle“, sagt Drexler. „Aber das ist natürlich | |
kein Ersatz.“ Anfang Januar habe man einen Bus gemietet und sei mit | |
Klubmitgliedern nach Österreich gefahren, „damit sie wieder mal echten | |
Schnee spüren“, wie Drexler sagt. | |
## Hundertprozentige Kunstschneesicherheit | |
Die Tagestour ging nach Flachau im Salzburger Land. Dort hat man den milden | |
Winter gut im Griff. „Snow Space Salzburg“ nennt sich das riesige Skigebiet | |
mit 120 Pistenkilometern, die von 45 Seilbahnanlagen bedient werden. Auch | |
Flachau wirbt mit Schneesicherheit. Die wird vor allem mit Kunstschnee | |
erreicht. Die Pisten können zu 100 Prozent technisch beschneit werden. | |
Und das bald auch noch völlig klimaneutral, so die Behauptung. Bis zur | |
Wintersaison 2025/26 soll die Klimaneutralität erreicht werden. Durch den | |
Einsatz von Strom aus erneuerbaren Energien und Ausgleichsmaßnahmen. „In | |
weiterer Folge möchten wir durch unsere Aktivitäten im Rahmen des | |
ökologischen Skigebietsmanagements sogar mehr CO2 binden, als wir durch | |
unseren Seilbahn- und Pistenbetrieb freisetzen“, [3][heißt es auf der | |
Website des Snow Space]. | |
Wenn sich Wintersportorte klimaneutral rechnen, klammern sie den durch die | |
Anreise der Ausflügler und Urlauber entstehenden CO2-Ausstoß tunlichst aus. | |
Dabei ist der Anreiseverkehr zu 75 Prozent für die Treibhausgase des | |
Wintersporttourismus verantwortlich, wie der Bund Naturschutz in Bayern mal | |
ausgerechnet hat. | |
Das Skigebiet von Ischgl in Tirol rechnet sich die Welt besonders schön. | |
Ausgerechnet die Après-Ski-Hölle mit ihren wilden Partys, wahlweise das | |
Ibiza der Alpen oder der Ballermann in den Bergen genannt, pappt sich schon | |
heute das Label „klimaneutral“ an. Die Therme am Ort wird mit Erdwärme | |
betrieben, es gibt Solar- und Wärmerückgewinnungsanlagen, Pistenraupen mit | |
Hybridantrieb und Aufforstungsprojekte sowohl in der Region als auch in | |
Peru. | |
Und weil es mittlerweile auch bewährte Technologien gibt, mit denen sich | |
Schnee auch bei Temperaturen über dem Gefrierpunkt herstellen lässt, macht | |
man sich in Tirol erst mal keine Gedanken über ein Ende des Wintersports, | |
wie wir ihn kennen. | |
## Klimaneutral Ski fahren am Roten Meer | |
Wer diesen Ansatz für zukunftsträchtig hält, kann auch nicht viel gegen ein | |
Wintersportresort in Saudi-Arabien einwenden. Groß war der Aufschrei, als | |
vor ein paar Wochen vermeldet wurde, dass der erst noch zu errichtende Ort | |
Trojena, 40 Kilometer von der saudischen Küste des Roten Meers entfernt, | |
den Zuschlag für die Ausrichtung Asiatischer Winterspiele 2029 erhalten | |
hat. | |
Auf die Frage, ob er sich vorstellen könne, dass dort auch mal | |
Weltcuprennen stattfinden könnten, meinte der Präsident des Internationalen | |
Skiverbands Johan Eliasch: „Wenn Saudi-Arabien das klimaneutral schafft – | |
warum nicht?“ Eliasch ist als Vorstandsvorsitzender des | |
Wintersportausrüsters Head Protagonist der Skiindustrie, die für das | |
weitere Wachstum der Branche steht. Schneesicherheit ist da ein rein | |
technisches Problem. Ein Umdenken gibt es in der Branche erst mal nicht. | |
Geht es also einfach immer weiter? Auch hierzulande? Werden auch weiterhin | |
Beschneiungsanlagen mit Fördergeldern aus dem bayerischen Haushalt | |
installiert, so wie es Hubert Aiwanger möchte? Oder gibt es einen anderen | |
Weg? „Ich habe jetzt auch schon Leute wandern sehen“, sagt Xaver Drexler | |
vom SC Bodenmais auf die Frage, was denn nun die Urlauber machen in diesem | |
schneearmen Winter. So etwas habe es früher um diese Zeit nicht gegeben. So | |
einfach kann es sein. | |
Michael Pröttel spricht von einem Plan B, den man im besten Fall mitbringen | |
soll, wenn man in die Berge geht. „Wenn eine Skitour nicht klappt, weil die | |
Lawinengefahr zu groß ist, dann kann man vielleicht eine | |
Schneeschuhwanderung machen“, sagt er. Skifahren um jeden Preis ist seine | |
Sache nicht. Pröttel ist der Vorsitzende von Mountain Wilderness | |
Deutschland. | |
## „Friede den Bergen!“ | |
Kurz vor Weihnachten haben Aktivist:innen des Naturschutzvereins in | |
Garmisch-Partenkirchen gegen die großflächige Beschneiung der Abfahrten | |
protestiert. In der Nacht wurde ein großes Peace-Zeichen auf die Piste | |
gemalt. „Friede den Bergen, sollte das heißen“, sagt Pröttel. Unten an der | |
Talstation der Hausbergbahn wurde ein Transparent hochgehalten: „Energie | |
verpulvern – ohne uns!“, stand darauf. Es war richtig kalt an diesem Tag. | |
Ein paar Tage später wurde es warm. Es regnete in Strömen. Nun ist der | |
Großteil des Schnees weg. Was für eine Verschwendung! „Unmoralisch“ sei d… | |
in Zeiten, in denen die Bevölkerung zum Energiesparen aufgerufen wird, | |
sagen die Aktivist:innen. | |
Beliebt gemacht haben sie sich nicht bei den Skifahrern mit ihrem | |
Gewissensappell, sagt Pröttel und ist doch zufrieden mit der Aktion, die | |
für viel Aufmerksamkeit gesorgt hat. Ob er sich wohlfühlt in der Rolle des | |
Spielverderbers? Pröttel widerspricht. Die Leute von Mountain Wilderness | |
würden niemandem abraten vom Ausflug in die Berge. | |
Er erinnert an die Gründer der international agierenden Organisation. Einer | |
von ihnen ist Reinhold Messner, der Extrembergsteiger. Zu Beginn, in den | |
1980er Jahren, ging es darum, dass der Müll, der bei einer großen | |
Expedition entsteht, auch wieder zurück ins Tal genommen wird. Dann | |
erweiterte sich der Aktionsradius. Nun geht es darum, die weitere | |
Erschließung der Berge durch die Freizeitindustrie zu bremsen. | |
Es geht um Respekt der Natur gegenüber. Klettersteige, die Felswände zu | |
reinen Sportgeräten unter freiem Himmel machen, werden ebenso kritisiert | |
wie Funparks in Hochtälern und auf Almen, wo mit riesigen Rutschen, | |
Schaukeln und Abenteuerspielplätzen Familien angelockt werden sollen. | |
Pröttel zählt erstaunliche Erfolge der kritischen Alpenfreunde auf. Ein | |
geplanter Gaudiparcours mit dem Namen Gamspark am Sudelfeld über | |
Bayrischzell wird nach Protesten nun doch nicht errichtet und die | |
Erschließung des Riedberger Horns im Allgäu für den Wintersport ist auch | |
gestoppt worden. Soll man also gar nicht mehr Ski fahren? Von wegen. | |
Pröttel erzählt von Ausflügen zur Kampenwand im Chiemgau. | |
Da gibt es keine Schneekanonen. Wenn es genug geschneit hat, kann man mit | |
einem alten Einersessellift Höhenmeter überwinden. Skifahren ohne | |
Remmidemmi. Ideen für winterlichen Sport in den Bergen hat Mountain | |
Wilderness [4][in einer Broschüre zusammengefasst]. „Wilde Winter“ heißt | |
sie. Sie lädt ein, in die Berge zu fahren. „Wir sind die Letzten, die | |
jemanden aussperren möchten“, sagt Pröttel. | |
Und wenn es nicht schneit? Pröttel, selbst zertifizier Bergführer, hat in | |
diesem Winter auch schon die Wanderschuhe geschnürt. Plan B eben. | |
Freiheitsberaubung sieht wirklich anders aus. | |
14 Jan 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Alpiner-Skisport/!5899881 | |
[2] /Ski-Legende-ueber-Naturschutz-im-Gebirge/!5831039 | |
[3] https://greenmountain.snow-space.com/ | |
[4] https://www.mountainwilderness.de/medien/publikationen/ | |
## AUTOREN | |
Andreas Rüttenauer | |
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