| # taz.de -- Ski-Legende über Naturschutz im Gebirge: „Brauchen nachhaltige K… | |
| > Man müsse sich dringend fragen, ob Sommertrainingslager noch zeitgemäß | |
| > seien, sagt Felix Neureuther. Von der Natur werde sein Sport allerdings | |
| > immer etwas abverlangen. | |
| Bild: Vater und Sohn: Christian und Felix Neureuther 2020 am Nockherberg in zü… | |
| taz: Herr Neureuther, wie oft gehen Sie denn zurzeit zum Skifahren? | |
| Felix Neureuther: Jetzt grade geh’ ich eigentlich nur mit den Kindern zum | |
| Skifahren. Und wenn das Wetter passt, sind wir eigentlich möglichst jeden | |
| Tag am Berg. | |
| Was ist denn das Tolle am Skifahren? | |
| Das Tolle? Dass selbst die Kleinsten daran schon einen riesigen Spaß haben. | |
| Dass man draußen in der Natur ist. Dass man die Natur mit all ihren | |
| unterschiedlichsten Formen wahrnimmt. Dass man dieses Adrenalin spürt, die | |
| Geschwindigkeit, den Wind im Gesicht. Und letztlich ist es auch | |
| einzigartig, oben am Berg stehen zu dürfen, ins Tal zu schauen und zu | |
| wissen: Hey, da darf ich jetzt gleich runterfahren. | |
| Das sollten alle Kinder erleben dürfen. Aber wird das nicht zu viel für die | |
| Berge? | |
| Ich finde es wichtig, dass Kinder das erleben dürfen. Es geht um die | |
| Begeisterung für die Natur und die Möglichkeiten, sich darin auszutoben. | |
| Diese Erfahrungen begleiten sie dann ein ganzes Leben. In der heutigen, | |
| digitalisierten Zeit ist es gar nicht mehr selbstverständlich, dass Kinder | |
| rausgehen in die Natur. | |
| Sie haben Schnee mal als Traummaterie bezeichnet. Was ist denn so traumhaft | |
| am Schnee? | |
| Wenn es draußen zu schneien beginnt, hängen die Kinder an den | |
| Fensterscheiben und können es nicht erwarten, raus zu kommen. Und das ist | |
| einfach wundervoll. Wenn Kinderaugen zu leuchten anfangen, dann ist das | |
| etwas Besonderes und eigentlich das schönste Leuchten, das es gibt. | |
| Nun gibt es ja immer weniger Naturschnee. Ist denn Kunstschnee auch eine | |
| Traummaterie? | |
| Natürlich nie so wie ein magisches Schneekristall. Aber er kann den | |
| Menschen doch noch sehr viel ermöglichen. Touristischer Skisport in den | |
| Alpen wäre ohne Kunstschnee nicht mehr möglich. Es kommt darauf an, den | |
| Kunstschnee so energieeffizient wie möglich zu produzieren. Auch für die | |
| Natur kann die Schneeproduktion durchaus etwas Positives haben. Gletscher | |
| können damit beschneit werden und bleiben unter der Schneedecke länger | |
| erhalten. Der Wasserhaushalt von Bergwiesen kann besser gesteuert werden. | |
| Da kann Kunstschnee wirklich helfen? | |
| Ja, auch wenn die Gletscher abschmelzen, ist es wichtig, sie so lange wie | |
| möglich zu erhalten. Das kann übrigens auch durch [1][„Snowfarming“] | |
| funktionieren. Gletscher sind nun mal die größten Wasserspeicher, die wir | |
| in den Alpen haben, und die Alpen beherbergen das größte Wasserreservoir | |
| Europas. | |
| Der Kunstschnee, der dafür sorgt, dass der Kommerzzirkus Wintersport | |
| weiterlebt, soll also die Alpen retten. Spüren Sie da nicht auch einen | |
| gewissen Widerspruch? | |
| Nein, das würde ich so nie behaupten, es ist nur ein Nebeneffekt. In | |
| Deutschland sind übrigens nur 2 Prozent der Skipisten beschneit, und in | |
| Bayern sind 0,3 Prozent der Bergflächen mit Pisten bestückt. Das Wichtigste | |
| ist doch, dass wir uns bewusst machen, wo die größten Schäden verursacht | |
| werden. Und das ist eindeutig die An- und Abfahrt in den Skiurlaub. | |
| [2][Wenn man auch diese Themen bewusst angeht und strukturiert], kann man | |
| einen großen Beitrag zu geringerem CO2-Ausstoß leisten. Das gilt allgemein | |
| für das Reisen. Alle, die sich im Wintersport engagieren, also auch die | |
| Liftbetreiber und Touristenorte, müssen sich dieser Verantwortung stellen. | |
| Und das geschieht ja auch. Wir können aber den Menschen nicht einfach diese | |
| Freude am Leben nehmen. Dazu trägt der Wintersport wesentlich bei. | |
| Was wäre denn da eine Idee? | |
| Man sollte sich überlegen, wie man anreist, dass man vielleicht nicht jedes | |
| Wochenende in die Berge fährt, sondern lieber eine Woche Skiurlaub macht. | |
| Die An- und Abreise verursacht bis zu 80 Prozent des CO2-Ausstoßes bei | |
| einem Skiurlaub. Ich weiß aus meinem Heimatort Garmisch-Partenkirchen, | |
| welche günstigen Möglichkeiten auch die Bahn bietet. Es gibt also schon | |
| Möglichkeiten. | |
| Kann der Skisport, der als Leistungssport betrieben wird, eine | |
| Vorreiterrolle einnehmen? | |
| Unbedingt! | |
| Der müsste sich also auch verändern. | |
| Man sollte sich die Frage stellen, ob es noch zeitgemäß ist, im Juli oder | |
| August ein Trainingslager auf einem Gletscher durchzuführen. Das machen | |
| alle Nationen, auch die, die im Gegensatz zu Österreich, Italien, | |
| Frankreich oder der Schweiz im eigenen Land keinen Gletscher haben, auf dem | |
| man im Sommer Skifahren könnte, also weit anreisen müssen. Alle sollten | |
| sich daher fragen, ob diese Sommertrainiererei sinnvoll ist. Es werden ja | |
| schon zehn-, elf-, zwölfjährige Kinder zu so einem Sommertraining | |
| verpflichtet. Das ist aber in meinen Augen völlig unnötig. | |
| War das auch schon so, als Sie in diesem Alter waren? | |
| Auch, aber nicht so krass. Die Professionalisierung und der damit | |
| verbundene Aufwand des Skirennsports ist extrem fortgeschritten. Das spüren | |
| wir auch beim Nachwuchs, weil viele Eltern diesen Aufwand und die damit | |
| verbundenen Kosten nicht mehr mitmachen wollen und können. Auch die Kinder | |
| werden überfordert und haben oft keine Lust, mitten im Sommer zum Skifahren | |
| zu gehen. Eine „Sommerpause“ würde also in vielen Bereichen etwas bringen. | |
| Kinder können auch zu Hause trainieren. | |
| Was denken Sie mit all Ihrer Begeisterung für den Skisport, wenn Sie hören, | |
| dass durch die Spiele in Peking 300 Millionen Menschen an den Wintersport | |
| herangeführt werden sollen? | |
| Ich glaube sowieso nicht, dass man es schafft, 300 Millionen Chinesen | |
| nachhaltig für den Skisport zu begeistern. Bei uns in den Alpen ist der | |
| Skisport über viele Jahrzehnte hinweg gewachsen, bis letztendlich eine | |
| Begeisterung dafür entstanden ist. Aber du kannst das den Menschen doch | |
| nicht einfach hinstellen und sagen: So, bitte, und jetzt macht mal. Deshalb | |
| sehe ich es kritisch, wenn man in einer Region ein Skigebiet plant und auch | |
| durchsetzt, wo im Jahr durchschnittlich 5 Zentimeter Neuschnee fallen. | |
| So wie es im Pekinger Olympaiskigebiet Yanqing der Fall ist … | |
| … wo man in ein Naturschutzgebiet eingegriffen hat und Dörfer dafür | |
| geopfert hat. So kann der Skisport der Zukunft nicht aussehen. Wir haben | |
| eine Verantwortung für unsere Sportart, wir werden immer auch von der Natur | |
| etwas abverlangen, aber es muss im richtigen Verhältnis stehen. | |
| Gewinnmaximierung darf dabei nicht an erster Stelle stehen. Man sollte die | |
| Menschen auch emotional packen, mit nachhaltigen Konzepten, das wäre in | |
| meinen Augen die beste Gewinnmaximierung, weil dadurch eine noch größere | |
| Begeisterung entstehen könnte. | |
| 16 Feb 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.schneehoehen.de/artikel/snowfarming-was-ist-das-5387 | |
| [2] https://www.bergfreunde.de/basislager/nachhaltiger-winterurlaub/ | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Rüttenauer | |
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