# taz.de -- Jahrestag des Bombenangriffs auf Dresden: Neonazis stehen im Regen | |
> Mehrere hundert Neonazis demonstrieren in Dresden. Der Gegenprotest ist | |
> deutlich größer. Dessen Organisator:innen kritisieren die | |
> Polizeitaktik. | |
Bild: Stoppschild für Nazis: Gegendemonstrant gegen den rechtsextremen Aufmars… | |
DRESDEN taz | In einer Seitenstraße beim Dresdener Hauptbahnhof standen | |
sie: mehrere hundert Neonazis, aufgereiht, größtenteils in Schwarz | |
gekleidet und still, ohne Parolen und zunächst auch ohne Musik. Nur der | |
Polizeihubschrauber kreiste um kurz nach 14 Uhr an diesem Sonntag hörbar | |
über der Stadt. Es regnete in Strömen. | |
Dann setzte sich der Aufzug in Bewegung – und direkt schallte es lautstark | |
von der Seite: „Alerta, alerta, Antifascista!“. Obwohl die Polizei die | |
Route der Neonazis abgeriegelt hatte, skandierten schon am Startpunkt ein | |
paar Gegendemonstrant:innen in Sicht- und Hörweite. Die Neonazis | |
trotteten vorbei und starrten sie stumm, aber böse an. Keine Parolen, so | |
lautete ihre Ansage, denn der Neonazis-Aufmarsch soll ein Gedenkmarsch | |
sein. | |
[1][Seit mehr als 25 Jahren] mobilisieren Neonazis nach Dresden, um die | |
Bombardierung der Stadt am 13. Februar 1945 in ihrem Sinne zu | |
instrumentalisieren. Zu Spitzenzeiten folgten rund 7.000 extreme Rechte dem | |
Aufruf, in diesem Jahr waren es schätzungsweise bis zu 1.000. Ihnen | |
stellten sich etwa 5.000 Menschen entgegen. | |
An mehreren Stellen versuchten Gegendemonstrant:innen, die Route der | |
Neonazis zu blockieren – allerdings ohne Erfolg. Aber die bundesweiten | |
Proteste gegen Rechts zeigen auch in Dresden ihre Wirkung. So war der | |
Gegenprotest diesmal deutlich farbenfroher als in den vergangenen Jahren. | |
Aber die Zahl der Demonstrierenden in Dresden war deutlich kleiner als die | |
in den vergangenen Wochen. | |
## Farbenfroher Protest gegen rechts | |
Nach etwa einer Stunde kamen die Neonazis nördlich des Hauptbahnhofs am | |
Georgplatz vorbei. Dort warteten am Straßenrand mehrere Tausend Menschen | |
und skandierten: „Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda.“ Dabei stand auch | |
Anne Herpertz (Piraten), die den Protest mitorganisiert hat. „Wir sind | |
froh, dass so viele Menschen gegen Nazis auf die Straße gekommen sind“, | |
sagte sie. Allerdings: Der Polizeieinsatz lasse sie fassungslos zurück. | |
Das Aufgebot an Einsatzkräften hält Herpertz für übertrieben. Nach einem | |
Blockadeversuch waren etwa 150 Gegendemonstrant:innen für etwa drei | |
Stunden in einem Kessel. Polizeibeamte haben die Identitäten von 90 | |
Personen notiert und „gegen zehn Gegendemonstranten Ermittlungsverfahren | |
eingeleitet, unter anderem wegen Landfriedensbruchs, tätlichen Angriffs auf | |
Vollstreckungsbeamte sowie Verstößen gegen das Versammlungsgesetz“, wie die | |
Polizei später in einer Pressemitteilung erklärt. | |
Neun weitere Verfahren richteten sich gegen extrem Rechte. Insgesamt waren | |
der Mitteilung zufolge 1.800 Beamte im Einsatz. An anderen Stellen setzte | |
die Polizei Pfefferspray ein und ließ Polizist:innen auf Pferden vor | |
dem Gegenprotest reiten. | |
Ebenfalls am Georgenplatz war Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert | |
(FDP), mit blauer Regenjacke gegen das Wetter gewappnet. Er hatte schon | |
vorab dazu aufgerufen, sich an den Protesten zu beteiligen: „Wir dürfen das | |
Gedenken an den 13. Februar nicht den Ewiggestrigen überlassen“. Er sei nun | |
dankbar, dass sich so viele auf die Straße begeben hätten, sagte er der | |
taz. Auch kurze Blockaden des Neonaziaufmarschs halte er für legitim. Das | |
drücke aus, „ihr seid hier nicht willkommen.“ | |
## Oberbürgermeister Hilbert reiht sich ein | |
[2][Hilbert ist seit 2015 im Amt]. Er betonte in den vergangenen Jahren | |
immer wieder, „Dresden war keine unschuldige Stadt“, und kritisierte | |
Versuche, die Geschichte umzudeuten. Zwar hatte er schon bei | |
Großereignissen wie dem Pegida-Geburtstag zu Protesten gegen rechts | |
mobilisiert. Aber am 13. Februar hatte er bisher aber nur zur Teilnahme an | |
der Menschenkette aufgerufen – nicht zu der an den Gegenprotesten, wie in | |
diesem Jahr. | |
Anne Herpertz hält das für eine Verbesserung: „Bisher war die Menschenkette | |
der Anlaufpunkt für den bürgerlichen Protest.“ Allerdings sei diese zum | |
„Selbstzweck“ geworden und habe sich nicht mehr auf den rechten Aufmarsch | |
bezogen. „In den vergangenen Jahren hat sich OB Hilbert überhaupt nicht zum | |
‚Gedenkmarsch‘ oder zum Gegenprotest geäußert“, sagt sie. | |
Könnte der Oberbürgermeister noch mehr machen? Auch wenn er für den Wunsch, | |
den Neonaziprotest zu verbieten, Verständnis habe – das Demonstrationsrecht | |
sei ein Grundrecht, entgegnet er, „und wer anfängt, an diesen zu sägen, der | |
sägt auch mit an der Demokratie.“ | |
## Geschichtsverzerrung durch „Gedenkmarsch“ | |
Gegen 16 Uhr kam der Neonazi-Aufmarsch wieder an seinem Startpunkt an und | |
brach die Stille mit Reden, wie sie schon in den vergangenen Jahren üblich | |
waren. Das [3][Gedenken an die allierten Bombenangriffe] auf Dresden ist | |
schon lange umkämpft. In den 90er Jahren mobilisierten extreme rechte | |
Akteure erstmals nach Dresden. Bei den Luftangriffen der Alliierten auf | |
NS-Deutschland, die Dresden zwischen dem 13. und 15. Februar 1945 trafen, | |
starben der historischen Forschung zufolge etwa 25.000 Menschen. | |
Unter anderem einem Banner der NPD hieß es dieses Jahr erneut, es habe | |
350.000 Tote gegeben. Auf früheren Aufmärschen war vom „Bombenholocaust“ | |
die Rede. Die übertriebene Dimension und die Verharmlosung des industriell | |
durchgeführten Massenmords an sechs Millionen Jüdinnen und Juden lockte | |
immer wieder mehrere tausend Faschisten aus dem Bundesgebiet und anderen | |
Ländern Europas nach Dresden. | |
Als 2005 etwa 6.500 extrem Rechte am sogenannten „Trauermarsch“ in Dresden | |
teilnahmen, galt das als größter Neonazi-Aufmarsch Europas. In den Jahren | |
darauf protestiert eine zunehmende Zahl von Antifaschist:innen dagegen | |
und blockiert 2010 zum ersten Mal erfolgreich den Marsch. | |
## Der Erfolg der Menschenkette | |
Erstmals bezeichnete in jenem Jahr die Dresdener Stadtspitze unter | |
Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) den Gegenprotest nicht mehr als | |
linksextrem. Stattdessen rief sie die Dresdner:innen dazu auf, sich an | |
der Menschenkette zu beteiligen, die symbolisch die Dresdner Altstadt von | |
den Neonazis abschirmen sollte. Etwa 10.000 Menschen reihten sich darin | |
ein. | |
In den Jahren danach nahm die Zahl der Neonazis stetig ab. Durch den Frust | |
über die Blockaden und interne Streitigkeiten schrumpfte der Marsch auf ein | |
paar hundert Neonazis in den vergangenen Jahren zusammen. 2023 waren noch | |
zwischen 650 und 800 Teilnehmer:innen in Dresden. | |
11 Feb 2024 | |
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## AUTOREN | |
David Muschenich | |
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