Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Romane von Joan Didion übersetzt: Wenn Hippies lügen
> Joan Didion, die brillante Essayistin, hat auch Romane geschrieben.
> Lesenswert! Auch wenn nicht alle so großartig sind wie ihre großen
> Reportagen.
Bild: Drastische Beschreibungen: Joan Didion in Malibu, 1972
Es gibt Joan-Didion-Momente, die man nicht vergisst. Zum Beispiel: ein
Besuch im Tonstudio der Doors, auf Jim Morrison wartend, jene
personifizierte Verheißung der neuen Zeit in schwarzen Lackhosen ohne
Unterwäsche. Oder: ein Gefängnisbesuch beim Black-Panther-Mitgründer Huey
P. Newton, bei dem die Reporterin erfolglos versucht unideologische Sätze
aus ihm herauszupressen.
Dann: Blumen pflücken mit Nancy Reagan in deren Garten in
Sacramento/Kalifornien. Brillant beobachtet und beschrieben sind ihre
politischen Reportagen und Essays aus den 1960er und 1970er Jahren mit
derlei Szenenmaterial; nachzulesen sind sie in „Das weiße Album“, das 2022
in einer neuen Ausgabe erschienen ist.
Für diese Essays ist [1][die große amerikanische Autorin Joan Didion], die
2021 [2][im Alter von 87 Jahren gestorben ist,] weltberühmt geworden. Es
gibt wohl niemanden, der über den kalifornischen Traum und Albtraum jener
Zeit, über blumige Hippie-Ideale und Hippie-Lügen so dicht und präzise
geschrieben hat wie sie. Ihre Romane sind dagegen weit weniger bekannt.
Zwei von ihnen hat Ullstein jetzt neu aufgelegt: „Play it as it lays“ aus
dem Jahr 1970 und „Wie die Vögel unter dem Himmel“ (im Original „A Book …
Common Prayer“, 1977). [3][Antje Rávic Strubel,] die auch schon die Essays
ins Deutsche übertragen hatte, hat sie neu übersetzt.
In „Wie die Vögel unter dem Himmel“ entwirft Didion eine fiktive
mittelamerikanische Republik namens Boca Grande, einen korrupten und
autokratischen Staat. Didion erzählt – über ihre Erzählerfigur – vor all…
die Geschichte von Charlotte und ihrer Tochter. Charlotte ist aus
Kalifornien nach Boca Grande gekommen, um ihre Tochter Marin zu suchen.
Marin hat sich einer terroristischen revolutionären Gruppierung
angeschlossen und spricht wie ein marxistischer Wortautomat; in jedem
zweiten Satz kommen die Worte „revolutionärer Prozess“ und „herrschende
Klasse“ vor. Ihre Mutter mäandert auf ihrer Suche nach der Tochter seltsam
unbeteiligt durch dieses Land; die Tochter kommt zunächst überwiegend in
Erzählungen vor. Als sie dann auftaucht, wirkt sie, so superdogmatisch, wie
sie dargestellt wird, überzeichnet.
## Wie riecht amerikanisch?
Das politische Setting dient hier eher dazu, Figurenkonstellationen
auszustaffieren. Mit den Charakteren wiederum kann man aber kaum Empathie
empfinden, dazu erzählt Didion zu wenig aus deren Innenleben. Wenn solche
Andeutungen vorkommen, zum Beispiel, als Charlotte über ihren dissoziativen
Charakter sinniert und darüber, „was sie das ‚Abgeschnittensein‘ nannte�…
beginnt es spannend zu werden – doch werden diese nicht weiter verfolgt.
Die Gegensätze zwischen den kalifornischen Ankömmlingen und der Bevölkerung
in Boca Grande werden zum Teil hübsch und polemisch beschrieben, da hat der
Roman große Momente („Sie riechen amerikanisch. Ich frage mich, wie
amerikanisch eigentlich genau riecht. Norteamericana-Fotze.“). Als großer
politischer Roman – der er von der Anlage her sein könnte – ist „Wie die
Vögel unter dem Himmel“ dennoch nicht gelungen, dazu ist die Erzählung zu
wenig aus einem Guss.
Der andere Roman, „Play it as it lays“, ist thematisch ein echter
Didion-Classic. Der Titel – „Play it as it lays“ – bezieht sich auf die
Redewendung, nach der man beim Kartenspiel mit dem Blatt leben muss, das
man zugewiesen bekommen hat. Der Roman handelt von der ehemaligen
Hollywood-Schauspielerin Maria Wyeth, die in einer psychiatrischen Klinik
behandelt wird und auf ihre Karriere und ihr bisheriges Leben zurückblickt.
Sie denkt an ihre in die Brüche gegangene Ehe und an viele Affären, an ihre
beeinträchtigte Tochter, die in einer Einrichtung betreut wird, an eine
Abtreibung, zu der sie einst gedrängt wurde.
## Verdrogte Hollywood-Welt
Gut hatte sich Maria Wyeth in ihrem Leben immer nur dann gefühlt, wenn sie
allein mit dem Auto über die Highways gebraust war. Ihr Zusammenbruch und
ihr Klinikaufenthalt könnte in Zusammenhang stehen mit dem Tod ihres
Freundes, der nur mit dem Akronym „BZ“ benannt wird (zugleich übrigens
Abkürzung für den damals beliebten Tranquilizer Benzodiazepin) und der sich
das Leben genommen hat – ganz klar wird das nicht.
Hervorragend sind die Beschreibungen der alten und verdrogten
Hollywood-Welt um Maria Wyeth herum, man fühlt sich bisweilen an
Fassbinders „Die Sehnsucht der Veronika Voss“ erinnert, vor allem bei den
Dialogen. „Play it as it lays“ ist konsequenter und stringenter erzählt als
„Wie die Vögel unter dem Himmel“.
Der Roman ermöglicht mit seinen Leerformeln aus den Hollywoodzirkeln auch
mehr Gegenwartsbezug, man ersetze „kalifornische Schauspielerszene“ durch
„kalifornische Start-up-Szene“ und könnte eine zeitgenössische Adaption
erzählen.
Manche mögen den Roman mit seinen drastischen Beschreibungen der Abtreibung
auch feministisch lesen, im Vordergrund steht allerdings ein kommunikativ
zerstörtes Soziotop, in dessen Trümmern man erfolglos nach echten
menschlichen Regungen sucht. In diesen Beschreibungen ist Joan Didion
brillant wie in ihren Essays.
8 Feb 2024
## LINKS
[1] /Joan-Didion-neu-uebersetzt/!5180402
[2] /Nachruf-auf-Joan-Didion/!5824281
[3] /Buchpreis-fuer-Antje-Ravik-Strubel/!5804011
## AUTOREN
Jens Uthoff
## TAGS
Literatur
Hollywood
Hippies
Schriftstellerin
Kalifornien
Roman
Literatur
Kolumne Red Flag
## ARTIKEL ZUM THEMA
Roman über Islamismus: Grenzen des Verstehens
Ein Vater versucht nachvollziehen, warum seine Tochter Dschihadistin wurde.
Sherko Fatahs Roman „Der große Wunsch“ ist wie ein Thriller erzählt.
Buch über ikonische Denkerinnen: Dem Leid mitleidlos begegnen
Deborah Nelson porträtiert sechs ikonisch gewordene Denkerinnen und
Künstlerinnen, die bis heute polarisieren.
Tod von Joan Didion: Das Spiel ist aus
Joan Didion ist tot, unsere Autorin ist geknickt. Halt findet sie in den
Alltagsbeobachtungen von Didion selbst.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.